Wirtschaftsrecht

Der digitale Pfandschein

Univ.-Prof. Dr. Prof. TU Graz e.h. Georg Eisenberger / Dr. Sandra Tauß-Grill

Pfandleihanstalten sind eine jahrhundertealte Einrichtung. Seit jeher dienten sie dazu, das Kreditbedürfnis breiter Bevölkerungsgruppen zu befriedigen.1 Heute liegt die Bedeutung der Pfandleihanstalten in ihrer Spezialisierung. Sie verzichten auf eine Kreditwürdigkeitsprüfung und konzentrieren sich auf die Wertobjekte, die von Banken idR nicht als Sicherheit akzeptiert werden. Gegen Übergabe des Pfands bekommt der Darlehensnehmer in kürzester Zeit sein Darlehen ausbezahlt.2

Der Darlehensnehmer und Pfandgeber bekommt vom Pfandleiher nicht nur das Darlehen, sondern auch einen Pfandschein ausgehändigt. Diesem kam und kommt eine wesentliche Bedeutung bei der Einlösung des Pfands zu. Soll das Pfand wieder ausgelöst werden, ist nicht nur das Darlehen samt Zinsen und Gebühren zurückzahlen, sondern idR auch der Pfandschein vorzulegen.

Mit zunehmender Digitalisierung ist das Interesse der Pfandnehmer - und insb auch der Pfandgeber - an einer Online-Variante der Pfandleihe entstanden. Aufgrund der erforderlichen physischen Übergabe des Pfands kommt auch die Online-Pfandleihe nicht ohne analoge Abwicklung von Teilen des Geschäftes aus. Das Pfand muss nach wie vor in den Besitz des Pfandnehmers gelangen, was bei vielen Modellen der Online-Pfandleihe durch Paketversand erfolgt. Für den Pfandnehmer stellt sich die Frage, ob er umgekehrt dem Pfandgeber auch einen "physischen Pfandschein" ausstellen muss oder ob Pfandscheine auch digital zur Verfügung gestellt werden können. Diese Frage soll im vorliegenden Beitrag beantwortet werden.

1. Gesetzliche Vorgaben

Zivilrechtlich ist der Pfandnehmer gem § 1370 ABGB dazu verpflichtet, dem Pfandgeber einen Pfandschein auszustellen. Im Pfandschein sind die unterscheidenden Kennzeichen des Pfandes zu beschreiben. Optional können auch die wesentlichen Bedingungen des Pfandvertrags angeführt werden. Diese Verpflichtung besteht seit dem Inkrafttreten des ABGB, somit seit dem 1. 1. 1812.3

Aus verwaltungsrechtlicher Sicht sind die Regelungen der GewO über das Gewerbe der Pfandleiher relevant, wobei als Pfandleiher nach der Judikatur des VwGH "jene privaten (physischen) oder juristischen Personen zu verstehen [sind], die gewerbsmäßig jedermann gegen Übergabe von Faustpfändern und Ausfolgung von Pfandscheinen Darlehen gewähren, für die ihnen keine andere Sicherheit als die Pfandsache geboten wird, durch deren Verkauf sie sich schadlos halten können, wenn das Darlehen nicht termingemäß zur Rückzahlung gelangt".4 Nach § 155 GewO hat der Bewerber um eine Gewerbeberechtigung der Behörde eine von dieser zu genehmigende Geschäftsordnung vorzulegen, die Bestimmungen über die Ausstellung und den Verlust von Pfandscheinen zu enthalten hat. Wie diese Bestimmungen inhaltlich auszusehen haben, sagt die GewO nicht.

Das Gesetz gibt also (wenige)5 Vorgaben zum Inhalt, nicht aber zur Form des Pfandscheins. Weder das ABGB noch die GewO enthalten nähere Regelungen dazu, ob der Pfandschein wirklich "auf Papier" ausgestellt werden muss oder ob der Pfandnehmer auch mit einem elektronisch ausgestellten Pfandschein seiner Nebenpflicht nach § 1370 ABGB ausreichend nachkommt. Ob ein Pfandschein elektronisch ausgestellt werden kann, hängt mangels gesetzlicher Vorgaben im Wesentlichen davon ab, welche Funktionen der Pfandschein erfüllen muss und welche Rolle er bei der Abwicklung des Pfandleihvertrags einnimmt.

2. Meinungsstand in der Lehre und Bedeutung für den digitalen Pfandschein

Zur Funktion des Pfandscheins hat sich in der Lehre folgender Meinungsstand herausgebildet:

-Die Ausstellung des Pfandscheins stellt kein Formerfordernis für das Zustandekommen des Pfandvertrags, sondern nur eine Nebenpflicht dar.6
Dies legt nahe, dass es für das Zustandekommen des Pfandvertrags nicht relevant ist, ob der Pfandschein auf Papier oder digital ausgestellt wird.

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-Dem Pfandschein wird eine Beweisfunktion zuerkannt. Die Ausstellung eines Pfandscheins mit dem gesetzlich geforderten Inhalt (Kennzeichen des Pfands) soll als Beweis über die Pfandhingabe dienen und zukünftigen Streitigkeiten vorbeugen.7
Auch diese Funktion kann durch einen elektronisch ausgestellten Pfandschein (zB durch ein dem Pfandgeber übermitteltes PDF-Dokument) genauso gut erfüllt werden wie mit einem "klassischen" Pfandschein auf Papier.
-Der Pfandschein soll auch eine Legitimationsfunktion erfüllen. Als Legitimationspapier, das nicht mehr zu den Wertpapieren gehört, weist er Elemente von Inhaber- und Namenspapieren auf.8 Der gutgläubige Pfandnehmer soll durch die Leistung an den Inhaber des Scheins von seiner Rückstellungspflicht befreit werden, wenn er den Mangel von dessen Papiereigentum bzw Ermächtigung nicht kannte.9 Der Pfandnehmer ist aber nicht gezwungen, an den Inhaber des Pfandscheins zu leisten. Er kann auch den Nachweis des Papiereigentums und damit die Berechtigung zur Auslösung des Pfands verlangen und die Herausgabe verweigern, wenn dieser Nachweis nicht erbracht wird.10 Die Legitimationsfunktion stellt sohin vor allem einen Vorteil für den Pfandnehmer dar: Er kann grundsätzlich ohne nähere Prüfung der Berechtigung an den Inhaber des Pfandscheins leisten, er muss aber nicht. Der Pfandschein entfaltet damit seine Legitimationswirkung (vor allem) zugunsten des Pfandnehmers.
Durch die Legitimationsfunktion erlangt der Pfandschein einen gewissen Wert; er ist nach hA veräußerbar (und damit auch verpfändbar und pfändbar).11
Auch diese Funktion könnte durch einen digitalen Pfandschein unter bestimmten Voraussetzungen erfüllt werden. Theoretisch könnte sogar digital übermittelten Pfandscheinen, die nach Belieben vervielfältigt werden können (wie zB PDF-Dokumenten oder E-Mails), eine Legitimationswirkung zugunsten des Pfandnehmers zuerkannt werden. Solange der Pfandgeber den digitalen Pfandschein nicht an Dritte übermittelt, unterscheidet sich die Situation nicht wesentlich von jener der Ausstellung eines Pfandscheins auf Papier. Das ändert sich aber, sobald der Pfandgeber die Pfandsache veräußert oder seinen Herausgabeanspruch auf einen Dritten überträgt und diesem den Pfandschein "übergibt", also zB per E-Mail übermittelt. Der Dritte kann nicht kontrollieren, ob der Pfandgeber nach Übermittlung das digitale Dokument löscht oder weiterhin im Besitz des Dokuments ist. Auch die Gefahr von Missbrauch ist bei PDF-Dokumenten deutlich höher. Im Vergleich zum Pfandschein auf Papier steigt also das Risiko, dass derjenige, der den digitalen Pfandschein vorlegt, gar nicht (mehr) zur Auslösung des Pfands berechtigt ist.
Vor diesem Hintergrund ist ohne zusätzliche Maßnahmen (wie zB die tiefer stehend beschriebene Nutzung der NFT-Technik für den Pfandschein) zweifelhaft, ob der Pfandnehmer überhaupt noch darauf vertrauen darf, dass derjenige, der ihm den von ihm ausgestellten digitalen Pfandschein vorlegt, überhaupt zur Einlösung des Pfands berechtigt ist. Es muss daher von einer entscheidenden Einschränkung der Legitimationsfunktion von digitalen Pfandscheinen ausgegangen werden.
Macht man sich bei Ausstellung von digitalen Pfandscheinen die Blockchain-Technologie zunutze, kann der Pfandnehmer auch einmalige/nicht vervielfältigbare digitale Pfandscheine (NFTs) herstellen. NFT-Pfandscheine könnten die Legitimationswirkung genauso gut erfüllen wie Pfandscheine auf Papier und diesen daher gleichgestellt werden.
-Eine Wertpapierfunktion kommt dem Pfandschein nach hA nicht zu. Der Anspruch auf Herausgabe des Pfands ist nicht zwingend von der Vorlage des Pfandscheins abhängig.12
Dieser Aspekt ist daher für die Frage der Zulässigkeit eines digitalen Pfandscheins nicht relevant.

Als Zwischenergebnis kann damit festgehalten werden: Die Ausgabe von analogen oder nicht vervielfältigbaren Pfandscheinen ist keine zwingende Voraussetzung für das Zustandekommen eines Pfandvertrags. Digitale Pfandscheine können ebenso gut als Beweis über die Hingabe eines Gegenstands als Pfand dienen wie auf Papier gedruckte Pfandscheine. Die Legitimationsfunktion zugunsten des Pfandnehmers kann durch digitale Pfandscheine grundsätzlich ebenso erfüllt werden, ist aber bei Verkauf der Pfandsache an oder Übertragung des Herausgabeanspruchs auf einen Dritten mit massiven Unsicherheiten verbunden. Die Gefahr von Missbrauch ist höher als bei auf Papier gedruckten Pfandscheinen. Solche Unsicherheiten können durch technische Lösungen überwunden werden, wie zB die Nutzung der Blockchain-Technologie mittels Ausstellens von NFT-Pfandscheinen.

Da der Pfandnehmer durch die Vorlage des Pfandscheins allein nicht zur Herausgabe verpflichtet ist, sondern er weitere Nachweise vom Inhaber des Pfandscheins über dessen Berechtigung fordern darf, kommt die dem (analogen) Pfandschein zugeschriebene Legitimationsfunktion vor allem dem Pfandnehmer zugute. Er kann schuldbefreiend leisten, ohne die Berechtigung des Inhabers aufwendig prüfen zu müssen. Damit stellt sich die Frage, ob der Pfandnehmer auf diesen Vorteil verzichten


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und digitale Pfandscheine ausstellen darf, denen bloß eine eingeschränkte oder allenfalls gar keine Legitimationsfunktion zuerkannt werden kann.

Anders gefragt: Wenn ein Pfandschein ausgegeben wird, muss dieser dann zwingend eine Legitimationsfunktion erfüllen?

3. Legitimationsfunktion unter der Lupe

3.1. Keine Hinweise im Gesetz

Aus dem Gesetz ergeben sich keine Hinweise auf eine zwingende Legitimationsfunktion des Pfandscheins. An keiner Stelle des ABGB oder der GewO wird zB normiert, dass eine Herausgabe des Pfands nur gegen Ausfolgung des Pfandscheins erfolgt oder allein die Innehabung des Pfandscheins zur Auslösung des Pfands berechtigt. § 1369 ABGB fordert - bereits seit 1. 1. 181213 - lediglich die Befriedigung des Pfandnehmers, um das Pfand auslösen zu können: "Der Pfandnehmer muß das Hauptpfand wohl verwahren und es dem Verpfänder, sobald dieser die Befriedigung leistet, zurück geben."14

3.2. Judikatur des OGH

In den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts maß der OGH15 dem Pfandschein bei der Auslösung des Pfands noch große Bedeutung bei: "Der Pfandleiher und das Versatzamt sind nach dem Vertrag und dem Gesetz nicht verpflichtet, ohne Rückgabe des Pfandscheines oder des Vormerkscheines den Pfandgegenstand zurückzugeben oder den Verkaufsüberschuß auszuzahlen." Umgekehrt konnte schon damals der Inhaber des Pfandscheins aus dessen Innehabung allein kein Recht auf Auslösung des Pfands geltend machen: "Der Inhaber des Pfandscheines ist anderseits nicht berechtigt, auf Grund des Papierbesitzes allein die auf dem Pfandschein verbrieften Rechte geltend zu machen. Der Pfandleiher hat vielmehr das Recht, die Legitimation, das materielle Recht des Pfandscheininhabers zu prüfen." Der OGH leitete daraus eine Legitimationswirkung des Pfandscheins zugunsten des Pfandnehmers ab: "Diese Regelung, die sich zugunsten des Ausstellers des Pfandscheines auswirkt, führte dazu, daß der Pfandschein in der Literatur und Rechtsprechung nicht als bloße Beweisurkunde, sondern überwiegend als Legitimationspapier, vereinzelt auch als echtes Inhaberpapier angesehen wird."

1960 hielt der OGH16 zwar fest: "Die Ausstellung des Pfandscheins dient nur Beweiszwecken. Der Pfandschein ist nur Beweisurkunde und Legitimationspapier." Allerdings hatte sich der OGH in dieser Entscheidung nur mit der Frage des Zustandekommens eines Pfandvertrags auseinanderzusetzen und dabei zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Pfandscheins ein Formerfordernis darstellt. Dies verneinte der OGH und beschränkte die Funktion des Pfandscheins eben auf die Beweis- und eine Legitimationsfunktion, ohne auf Letztere näher einzugehen.

Auch eine Entscheidung des OGH17 aus den 70er-Jahren führt diese Rechtsprechung fort. Der OGH qualifiziert Pfandscheine als Legitimationspapiere, die eine Mittelstellung zwischen Inhaber- und Namenspapieren einnehmen. "Sie teilen mit ersteren, daß der Schuldner sich durch die Leistung an den Wertpapierinhaber befreien kann, wenn er nur den Mangel von dessen Papiereigentum bzw. Ermächtigung nicht kannte. Mit letzteren haben sie gemeinsam, daß der Schuldner den Nachweis des Papiereigentums und damit der Gläubigerschaft auf gleiche Weise wie beim Namenspapier verlangen kann, widrigenfalls er die Leistung zu verweigern berechtigt ist [...]. Die Wertpapiereigenschaft wird dadurch begründet, daß der Schuldner nur an den Papierinhaber zu leisten braucht."

Der Pfandleiher sollte also die Rückgabe des Pfands verweigern können, wenn der Pfandgeber keinen Pfandschein vorlegen kann. Dies steht im Widerspruch zur heute herrschenden Auffassung, wonach der Herausgabeanspruch nicht zwingend von der Vorlage des Pfandscheins abhängig sein soll.18

Im Jahr 2009 beschäftigte sich der OGH19 erneut mit der Legitimation im Zusammenhang mit der Pfandleihe. Allerdings ging es dabei um die Legitimierung des Pfandgebers bei Abschluss des Pfandleihvertrags. Für eine ordnungsgemäße Abwicklung eines Pfandleihgeschäfts sei - so der OGH -"grundsätzlich die Verpflichtung des Pfandgebers, sich (durch einen Lichtbildausweis) zu legitimieren, und jene des Pfandleihers nach entsprechender Ausweiskontrolle zu fordern". Diese Maßnahme sei ein probates Abschreckungsmittel, um der Verpfändung gestohlener Gegenstände entgegenzuwirken. Sie sei nur bei Bagatellgeschäften (Darlehensbetrag bis zu etwa 100 €) unzumutbar. Der OGH beschäftigte sich aber mangels Relevanz für seine Entscheidung nicht mit der Frage, ob auch die Legitimation zur Auslösung des Pfands durch Vorlage des Lichtbildausweises statt durch Vorlage des Pfandscheins nachgewiesen werden kann.

3.3. Rechtshistorische Analyse

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Einlösung des Pfands gegen Rückgabe des Pfandscheins nicht bloß von der Praxis gelebt wurde, sondern früher auch gesetzlich verankert war.

Im Patent vom 1. Feber 1785,20 das Vorschriften für das Pfandamt vorsah, normierte § 3, dass dem Pfandgeber nach Übergabe des Pfands "und nebst dem zu seiner Sicherheit, und um das Pfand wieder einlösen zu können , ein Pfandzettel eingehändiget [wird], welcher mit dem in der Ordnung auf ihn ausgefallenen Nummer und dem gewöhnlichen Amtsstämpel versehen ist".21 Gleichzeitig war auch vorgesehen, dass - bis auf wenige Ausnahmen - eine an-


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onyme Pfandleihe möglich sein muss.22 In Fällen der anonymen Pfandleihe kommt der Legitimationsfunktion des Pfandscheins natürlich eine besondere Bedeutung zu. Ist dem Pfandnehmer der Pfandgeber namentlich nicht bekannt, kann der Pfandgeber seine Berechtigung zur Einlösung des Pfands auch nicht durch Nennung des Namens bzw durch den Nachweis, dass es sich bei ihm um diese Person handelt, einlösen. Zum Nachweis der Berechtigung sind andere Mittel - zB die Innehabung eines Papiers - erforderlich.

Knapp einhundert Jahre später wurde das Pfandleihergewerbe durch § 15 Z 13 der Gewerbeordnung zum konzessionierten Gewerbe erklärt.23 Die Ausgestaltung näherer Bestimmungen wurde zunächst dem Verordnungsgeber überlassen.24 Schon zwei Jahre später wurden mit dem Gesetz vom 23. März 1885 Bestimmungen hinsichtlich des Pfandleihergewerbes erlassen,25 wobei auch hier für die Ausgestaltung näherer Bestimmungen der Verordnungsgeber zuständig sein sollte.26

Zwar wurde in der auf dieser Grundlage erlassenen Verordnung vom 24. April 188527 eine Pflicht zur Ausstellung eines Pfandscheins vorgesehen. Doch weder im Gesetz noch in der Verordnung war die Erforderlichkeit des Pfandscheins zur Einlösung des Pfands ausdrücklich festgeschrieben, wie dies im Patent vom 1. Feber 1785 noch der Fall gewesen ist. Gestrichen wurde auch die Verpflichtung, eine anonyme Pfandleihe zu ermöglichen.

Die in der Verordnung vom 24. April 1885 enthaltenen Bestimmungen über den Verlust des Pfandscheins und die Ausstellung eines Vormerkscheins ließen allerdings den Schluss zu, dass der Pfandschein grundsätzlich erforderlich sein sollte, um das Pfand ausgehändigt zu bekommen. Bei Verlust des Pfandscheins war unter bestimmten Voraussetzungen ein Vormerkschein auszufolgen. Das Pfand (oder der aus dem Erlös erzielte Überschuss) konnte dann erst nach Ablauf eines Jahres ab Verlustanzeige bzw nach 14 Tagen vom Verfallstag an gegen Rückstellung des Vormerkscheins ausgefolgt werden. Davor konnte das Pfand nur gegen gleichzeitige Übergabe des Original-Pfandscheins und des Vormerkscheins ausgefolgt werden.28

Mit Inkrafttreten der Gewerbeordnung 197329 traten die Bestimmungen des Gesetzes vom 23. März 1885 und der Verordnung vom 24. April 1885 weitgehend außer Kraft.30 Die Bestimmungen zum Verlust des Pfandscheins wurden im Wesentlichen inhaltsgleich in die Gewerbeordnung 1973 übernommen.31 Später wurden sie innerhalb der GewO zwar an andere Stelle verschoben,32 blieben zunächst aber auch nach Einführung der GewO 1994 inhaltlich gleich.

Mit der nun beinahe zwanzig Jahre zurückliegenden 3. GewO-Novelle 2003,33 die das Ziel einer Liberalisierung von Berufszugang und Nebenrechten insb auch durch Eliminierung von nicht mehr erforderlichen oder allzu kasuistischen Regelungen verfolgte,34 sind diese Bestimmungen zum Verlust des Pfandscheins und zur Ausfolgung des Pfands aber entfallen. Seitdem überlässt es die GewO dem Pfandleiher, selbst Bestimmungen zur Ausstellung und zum Verlust des Pfandscheins in der eigenen Geschäftsordnung zu treffen, ohne Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung zu machen. Seit diesem Zeitpunkt besteht keine gesetzliche Grundlage für eine Erforderlichkeit der Vorlage des Pfandscheins bei Auslösung des Pfands oder für eine verpflichtende Legitima-


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tionsfunktion des Pfandscheins. Die Judikatur des OGH aus den 50er- bis 70er-Jahren ist mangels inhaltsgleicher Regelungen auf die aktuelle Rechtslage nicht übertragbar.

3.4. Zwischenergebnis

Zivilrechtlich bestand in Österreich in der Vergangenheit (nur) eine Pflicht zur Ausstellung eines Pfandscheins. Eine Legitimations- oder Wertpapierfunktion war und ist aus den pfandrechtlichen Bestimmungen des ABGB nicht ableitbar.

Die OGH-Judikatur aus den 1950er- und 1970er Jahren, wonach dem Pfandschein eine Legitimationsfunktion zukommt, ist vor dem Hintergrund der älteren verwaltungsrechtlichen Bestimmungen für Pfandämter und das Gewerbe der Pfandleihanstalten zu betrachten. Nach diesen kam dem Pfandschein eine wesentliche Bedeutung zu.

Schon 1785 wurde nämlich festgelegt, dass die Ausfolgung des Pfandscheins (auch) der späteren Einlösung des Pfandes dient. Ab 1885 ergibt sich dies (nur mehr indirekt) aus den Bestimmungen zum Verlust des Pfandscheins.

Diese Regelungen zum Verlust des Pfandscheins sind mit der 3. GewO-Novelle 2003 - und somit nach der angesprochenen Judikatur des OGH - entfallen. Es obliegt nun allein dem Pfandnehmer, zu entscheiden, wie er seinen Pfandschein ausgestaltet und welche Bestimmungen er dazu in seiner Geschäftsordnung normiert.

4. Ausstellung und Ausgestaltung eines (digitalen) Pfandscheins obliegt dem Pfandleiher

Mangels gesetzlicher Vorgaben obliegt es daher dem Pfandleiher, durch entsprechende Ausgestaltung seiner der Gewerbebehörde vorzulegenden Geschäftsordnung dem Pfandschein Legitimationswirkung zu verleihen - oder eben auch nicht.

Will der Pfandleiher bei Auslösung des Pfands nicht näher prüfen müssen, ob der Inhaber des Pfandscheins zur Entgegennahme des Pfands berechtigt ist, sollte er beim bisherigen System des Pfandscheins auf Papier bleiben oder digitale, nicht vervielfältigbare Pfandscheine ("NFT-Pfandscheine") ausgeben. Ein solches System hat für den Pfandgeber den Mehrwert, dass der Pfandschein nach hM einfach veräußerbar und verpfändbar ist.

Sollte aber dieser Aspekt der Vereinfachung bei der Auslösung des Pfands für den Pfandnehmer weniger wichtig sein als eine einfache, digitale Ausstellung des Pfandscheins, spricht nichts gegen eine Ausstellung von digitalen Pfandscheinen oder simplen Bestätigungen, selbst wenn diese vervielfältigbar sind. Der Pfandnehmer kann ein anderes System schaffen, um die Berechtigung zur Auslösung des Pfands prüfen zu können. Für den Pfandgeber hat die fehlende Legitimationsfunktion den Vorteil, auch bei Verlust oder Diebstahl des (digitalen) Pfandscheins das Pfand ohne weitere Probleme einlösen zu können. Der Nachteil besteht darin, dass die Veräußerung der Forderung an Dritte - je nach konkreter Ausgestaltung des Systems durch den Pfandleiher - uU aufwendiger oder sogar unmöglich ist.

Exekutionsrechtlich dürfte die Ausgestaltung eines Pfandscheins ohne Legitimationswirkung bloß folgende, im Ergebnis unbedenkliche Auswirkung haben: Zieht ein Gläubiger des Pfandgebers dessen Anspruch gegen den Pfandnehmer auf Herausgabe des Pfands gegen Einlösung der Darlehensschuld bzw auf den Verwertungserlös in Exekution und ist der Pfandschein mit Legitimationswirkung ausgestattet, muss der betreibende Gläubiger (auch) gem § 253 EO den Pfandschein pfänden und dem Pfandnehmer (Drittschuldner) vorlegen. Handelt es sich um einen Pfandschein ohne Legitimationswirkung, dann wird dieses (zusätzliche) Exekutionserfordernis wohl entfallen.

Denkbar wäre auch ein kombiniertes System, in dem standardmäßig digitale Pfandscheine in Form von PDF-Bestätigungen oder E-Mails ausgestellt werden. Zusätzlich kann auf (allenfalls auch spätere) Anforderung des Pfandgebers ein klassischer Pfandschein oder ein nicht vervielfältigbarer digitaler Pfandschein mit Legitimationsfunktion ausgestellt werden, der die einfache Veräußerung der Forderung ermöglicht.

Eine gesetzliche Regelung in diese Richtung findet sich zB im Versicherungsrecht. Nach § 3 VersVG wird die elektronische Übermittlung von Versicherungsscheinen grundsätzlich für zulässig erachtet, außer der Versicherungsschein soll ein Inhaberpapier darstellen. Natürlich könnte der Gesetzgeber eine entsprechende Bestimmung auch für Pfandleiher einführen. Aufgrund des bereits bestehenden Spielraums des Pfandleihers scheint dies aber nicht zwingend erforderlich, um die Ausstellung von digitalen Pfandscheinen - egal ob vervielfältigbar oder nicht - zu ermöglichen. Zudem würde die Erlassung einer entsprechenden Regelung den Zielen des Gesetzgebers der 3. GewO-Novelle 2003 widersprechen, nämlich Nebenrechte zu liberalisieren und nicht erforderliche oder allzu kasuistische Regelungen zu eliminieren.


2

Damrau, Pfandleiherverordnung3 (2020) Einl Rz 11.


3

JGS 1811/946.


4

VwGH 27. 4. 1929, B 756/28, VwSlg 15.634/A.


5

Umfassende Vorgaben zum Inhalt des Pfandscheins fordert hingegen die Pfandleiherverordnung in Deutschland (siehe § 6 Abs 2 PfandlV).


6

Faber in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar4 (2016) § 1370 ABGB Rz 1; Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), Klang3 (2020) § 1370 ABGB Rz 1; Schuster in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar5 (2020) § 1370 ABGB Rz 1; so auch schon OGH 10. 2. 1960, 5 Ob 586/59, EvBl 1960/139.


7

Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1370 Rz 1; Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 2; Schuster in Schwimann/Neumayr, ABGB5 § 1370 Rz 3.


8

Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 3.


9

Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 3; Schuster in Schwimann/Neumayr, ABGB5 § 1370 Rz 2; vgl auch Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), ABGB6 (2020) § 1370 ABGB Rz 1; Oberhammer/Domej in Kletečka/Schauer (Hrsg), ABGB-ON1.03 § 1370 Rz 2 (Stand 1. 5. 2017, rdb.at).


10

Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 3; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 1370 Rz 1 (Stand 1. 1. 2002, rdb.at); Schuster in Schwimann/Neumayr, ABGB5 § 1370 Rz 2; Oberhammer/Domej in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1370 Rz 2.


11

Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1370 Rz 1; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 1370 Rz 1; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB6 § 1370 Rz 1; Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 4; Schuster in Schwimann/Neumayr, ABGB5 § 1370 Rz 2.


12

Faber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1370 Rz 1; Rassi in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1370 ABGB Rz 3; Oberhammer/Domej in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1370 Rz 2.


13

JGS 1811/946.






18

Siehe schon FN 12.



20

JGS 1785/385.


21

Hervorhebung ergänzt.


22

§ 10 erster Satz Patent vom 1. Feber 1785: "Es kann dem Pfandgeber daran liegen, unbekannt zu bleiben. Es stehet also jedermann frei, nicht nur selbst und unter eigenem Nahmen zu verpfänden, sondern durch eine vertraute Person und unter fremden Nahmen verpfänden zu lassen, und der Pfandgeber kann unter keinem Vorwande verhalten werden, seinen oder den Nahmen von dem Eigenthümer des Pfandes zu entdecken, ausgenommen bei dem (nach §. 2.) mit Familien-Wapen bezeichneten Gold und Silber, bei Pfändern, die für Militärsachen angesehen, oder als entfremdet erkannt würden."


23

Art I, Art II § 15 Z 13 des Gesetzes vom 15. März 1883, betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, RGBl 1883/39.


24

In welcher Weise die Inhaber von Pfandleihergewerben ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kontrolle über den Umfang und die Art ihres Geschäftsbetriebs sie sich zu unterwerfen haben, sollte nach § 54 Gewerbeordnung im Verordnungsweg festgelegt werden.


25

Gesetz vom 23. März 1885, mit welchem einige Bestimmungen hinsichtlich der Pfandleihergewerbe erlassen werden, RGBl 1885/48.


26

Nach § 7 des Gesetzes vom 23. März 1885 war eine Verordnung mit Bestimmungen darüber zu erlassen, in welcher Weise die Inhaber von Pfandleihgewerben ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kontrolle über den Umfang und die Art ihres Geschäftsbetriebs sie sich zu unterwerfen haben und auf welche Weise die von jedem Inhaber eines Pfandleihergewerbes der Verleihungsbehörde zur Bestätigung vorzulegende Geschäftsordnung, in der namentlich die Höhe der von dem Gewerbeinhaber in seinem Geschäftsbetrieb beanspruchten Zinsen und Nebengebühren genau festgesetzt sein muss, den Kunden durch Aushang in seinem Geschäftslokal zur Kenntnis gebracht wird.


27

Verordnung der Ministerien des Handels, des Innern, der Finanzen und der Justiz vom 24. April 1885 betreffend Betrieb des Pfandleihergewerbes RGBl 1885/49.


28

§§ 10, 11 der Verordnung vom 24. April 1885.



30

Durch § 374 Abs 1 Z 10, 11 iVm § 375 Abs 1 Z 2 GewO 1973 idF BGBl 1974/50 traten das Gesetz vom 23. März 1885 und die Verordnung vom 24. April 1885 mit Ausnahme der Bestimmungen des § 1 Abs 5 zweiter Satz, Abs 6 und § 2 der Verordnung vom 24. April 1885 RGBl 1885/49 idF RGBl 1903/115 (betreffend Form- und Inhaltsvorschriften für Pfandbücher) außer Kraft. Unklar ist, ob der Verweis auf § 4 Abs 4 der Verordnung vom 24. April 1885 RGBl 1885/49 idF GBlÖ 1939/86 (betreffend gutgläubigen Erwerb durch den Pfandgläubiger) in § 291 GewO 1973 idF BGBl 1974/50 als speziellere Regelung die durch § 374 Abs 1 Z 1 Z 11 GewO 1973 angeordnete Aufhebung der Verordnung vom 24. April 1885 insoweit verdrängt hat und auch § 4 Abs 4 der Verordnung weiterhin in Geltung bleiben sollte (diese Bestimmung wurde bei den nachfolgenden Novellierungen der GewO übernommen und findet sich nun in § 155 Abs 4 GewO). Nach einer Übergangsbestimmung zu § 1396a ABGB, Art 2 BGBl I 2005/51, ist diese Bestimmung jedenfalls nicht mehr anzuwenden, wenn eine Sache vom Inhaber eines Pfandleihergewerbes nach dem 31. Mai 2005 übernommen wurde. § 17 Abs 2 Kraftloserklärungsgesetz 1951 BGBl 1951/86 verweist auf § 10 der Verordnung vom 24. April 1885 über verlorene Pfandscheine. Das KraftloserklärungsG wurde allerdings vor Aufhebung der Verordnung vom 24. April durch § 374 Abs 1 Z 11 Gewerbeordnung 1973 BGBl 1974/50 erlassen. Seit der Aufhebung dieser Verordnung bzw spätestens seit Aufhebung der sinngleichen Bestimmung in der GewO (vgl noch § 288 GewO 1973 idF BGBl 1974/50, § 238 GewO 1973 idF BGBl 1993/29, § 275j GewO 1994 idF BGBl 1997/63) durch die GewO-Novelle 2003 BGBl 2002/111 geht der Verweis in § 17 Abs 2 Krafloserklärungsgesetz ins Leere und führt uE nicht zur weiteren Geltung dieser später aufgehobenen Bestimmung (lex posterior derogat legi priori). Hier wären Klarstellungen des Gesetzgebers durch Aufhebung des § 155 Abs 4 GewO und des Verweises auf die Verordnung von 1885 in § 17 Abs 2 KraftloserklärungsG wünschenswert.


31

Siehe § 288 GewO 1973 idF BGBl 1974/50.


32

Mit der Novelle BGBl 1993/29 wurden die Bestimmungen in die §§ 238, 239, 240 GewO 1973 verschoben; mit der Novelle BGBl 1997/63 in die §§ 275j, 275k, § 275l GewO 1994.




Artikel-Nr.
RdW 2022/307

17.06.2022
Heft 6/2022
Autor/in
Georg Eisenberger

Univ.-Prof. Dr. Prof. TU Graz e.h. Georg Eisenberger ist Universitätsprofessor am Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz und Partner des Rechtsanwaltsbüros Eisenberger Rechtsanwälte, experts in public law and policy mit Büros in Wien, Graz und Brüssel. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen im öffentlichen Recht.

Sandra Tauß-Grill

Dr. Sandra Tauß-Grill ist als Rechtsanwältin des auf öffentliches Recht spezialisierten Rechtsanwaltsbüros Eisenberger vorwiegend an der Schnittstelle zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht tätig. Sie ist Autorin zahlreicher Artikel in Fachzeitschriften und Mitautorin des Ratgebers „Richtiges Verhalten vor dem Untersuchungsausschuss“.