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Missbräuchliche Klauseln sind nach Art 6 Klausel-RL 93/13 "für den Verbraucher unverbindlich". Dass er den Wortlaut ernst nimmt, hat der EuGH seit dem Banesto-leading case (C-618/10) wiederholt bewiesen: Die Klauseln entfallen ersatzlos, eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus, die Anwendung dispositiven Rechts ist nur ausnahmsweise zulässig, nämlich bei sonstiger Gesamtnichtigkeit des Vertrags, wenn diese für den Verbraucher besonders nachteilig wäre. Der EuGH stützt seinen Take-no-prisoners-Ansatz auf den Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts und die generalpräventiven Ziele der Klausel-RL. Man mag diese Akzentuierung öffentlicher Interessen im Privatrechtsverhältnis rechtspolitisch kritisieren. De lege lata lässt sich schwerlich leugnen, dass die in nicht weniger als 18 Urteilen entwickelte Effet-utile-Rechtsprechung des EuGH konsequent ist: Sie steht im Einklang mit dem Normzweck des AGB-Rechts, für das der europäische wie auch der österr Gesetzgeber aufgrund eines partiellen Marktversagens (kein "Konditionenwettbewerb") eine echte Inhaltskontrolle vorgesehen haben. Dazu passt, dass das Verbraucherrecht - im Gegensatz zum ABGB - zwecks Praxiswirksamkeit ganz allgemein mit schematisch-pauschalierenden Lösungen arbeitet.
Die Entscheidung in der Causa Gupfinger (C-625/21) ist denn auch weniger in der Sache mit Spannung erwartet worden, als vielmehr deshalb, weil es sich um das erste Urteil zum österreichischen Recht handelt. Zugleich bot die präzise Vorlage des 4. Senats (4 Ob 131/21z) dem EuGH Gelegenheit, seine über weite Strecken im Kreditrecht entwickelte Rechtsprechung auf einen weniger komplexen, gleichsam "banalen" Standardfall anzuwenden: Dem Verkäufer steht laut Haftungsklausel für den Fall eines unberechtigten Rücktritts des Käufers vom Vertrag wahlweise ein pauschalierter Schadenersatz iHv 20 % des Kaufpreises oder der Ersatz des verursachten Schadens zu. Ersteres verstößt gegen § 879 Abs 3 ABGB, Letzteres entspricht § 921 ABGB.
Die Entscheidung des EuGH fällt knapp aus und on point: Der Unternehmer kann - wie nach Dexia (C-229/19) - keine Entschädigung nach § 921 ABGB verlangen. Das gilt auch dann, wenn er sich gar nicht auf die Klausel stützt, sondern ausschließlich auf § 921 ABGB. Versuchen einer "geltungserhaltenden Klauselabgrenzung" schiebt der EuGH einen Riegel vor: Die Klausel ist im Hinblick auf die Wahlmöglichkeit des Unternehmers insgesamt missbräuchlich und als Ganzes nichtig.
Spannend ist, dass der EuGH erstmals in aller Deutlichkeit klarstellt, dass die Klausel-RL keine "materielle Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien" im Einzelfall anstrebt, sondern auf eine überindividuelle, von den konkreten Vertragsparteien abstrahierte Ausgewogenheit abzielt, um der "Verwendung missbräuchlicher Klauseln mittels Abschreckung langfristig ein Ende zu setzen". Ein windfall profit des individuellen Verbrauchers im Sinne einer gezielten Vorteilszuwendung ist folglich gewollt. Dieser einseitigen Konsequenz pro consumptore kommt letztlich reiner Sanktionscharakter zu.
Implizit ist daraus abzuleiten, dass die Nichtigkeit der Klausel nicht nur dazu führt, dass der unberechtigt zurücktretende Verbraucher von jeder Haftung befreit ist, sondern auch dazu, dass dem Unternehmer kein vertraglicher Erfüllungsanspruch gegen den Verbraucher zusteht. Dieser entspräche im Ergebnis dem vom EuGH abgelehnten Ersatz des positiven Interesses und würde die bezweckte Abschreckungswirkung vereiteln. Dem Verbraucher kommt maW ein kostenloses Stornorecht zu.
Klare Implikationen hat die Entscheidung schließlich für unzulässige Entgeltklauseln. Der 9. Senat (9 Ob 85/17s) hatte zum Partnervermittlungsvertrag bereits entschieden, dass dem Unternehmer für erbrachte Leistungen kein Ex-contractu-Anspruch auf ein "angemessenes Entgelt" gem § 1152 ABGB zukommt. Offen blieb damals, ob dem Unternehmer stattdessen eine - inhaltsgleiche (§§ 1437, 1152 ABGB per analogiam) - bereicherungsrechtliche Abgeltung zusteht. Aufhorchen ließen hier zuletzt die Schlussanträge von GA Szpunar in der Rs C-395/21, der den Bereicherungsanspruch eines Rechtsanwalts nach Wegfall unzulässiger Honorarklauseln nicht als unanwendbares dispositives Recht anzusehen scheint, sondern als für den Verbraucher etwaig nachteilige Folge der Gesamtnichtigkeit. Im Lichte von Gupfinger scheidet jedenfalls ein Bereicherungsanspruch, der den vertraglichen Anspruch substituiert, zwingend aus.
Last but not least: Der OGH unterwirft in seinen rezenten "Fitnesscenter-Urteilen" Kreditbearbeitungsgebühren der Inhaltskontrolle und geht damit "in unionsrechtlichem Lichte" ausdrücklich von seiner bisherigen Rechtsprechung ab (4 Ob 59/22p). In der Sache qualifiziert er Sonderentgelte wie Service-, Verwaltungs- oder Bearbeitungspauschalen ohne konkreten Konnex zu einer Zusatzleistung und ohne konkreten Aufwand als gröblich benachteiligend, wenn sie nicht über das übliche, mit jeder Vertragsbegründung einhergehende Maß hinausgehen. Ein Paukenschlag. So dürfte Kreditbearbeitungsgebühren seit Lexitor zwar für Neuverträge kaum noch Bedeutung zukommen. Dass Kreditnehmer in der Vergangenheit gezahlte Gebühren binnen 30-jähriger Verjährungsfrist rückfordern können, dürfte aber spätestens mit Gupfinger auch in Österreich nicht mehr zweifelhaft sein.