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zuvor abrufbar unter: RdW_digitalOnly 2020/12
Im Arbeitsverhältnis werden Dienstleistung und Entgelt ausgetauscht. Unterbleibt die Dienstleistung, erhält der Arbeitnehmer sein Entgelt, vereinfacht gesprochen, entweder für begrenzte Zeit, wenn der Grund in seiner Sphäre liegt und eine Entgeltfortzahlung verbindlich vorgeschrieben ist, oder wenn sich ein Betriebsrisiko in der Sphäre des Arbeitgebers realisiert.1 Ereignisse in der neutralen Sphäre, die beide Parteien des Dienstverhältnisses wie auch die Allgemeinheit betreffen, führen zum Entfall der wechselseitigen Leistungspflichten. Diese Grundsätze werden durch die Gesetzgebung in der COVID-19-Pandemie, salopp gesprochen, gehörig durcheinandergewirbelt.
Vor dem skizzierten Hintergrund geht dieser Beitrag der Frage nach, ob, auf welcher Grundlage und mit welchen sonstigen Folgen Arbeitnehmer eines wegen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Betriebs Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben. Im Mittelpunkt steht die Entgeltfortzahlungsregelung des § 1155 ABGB, ihre Reichweite und ihre jüngsten, befristeten und anlassbezogenen Änderungen. Über den Anlass hinaus wird ganz generell behandelt, ob und unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer bei Betriebsschließungen in einer Pandemie einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben.2
Am 11. 3. 2020 hat der Generaldirektor der WHO den COVID-19-Ausbruch offiziell zu einer Pandemie erklärt. Einer der Anlässe war die "dramatische Zuspitzung der Lage in Bezug auf COVID-19 in der Europäischen Region der WHO, die inzwischen im Mittelpunkt dieser Pandemie steht".3
Am darauffolgenden Sonntag, dem 15. 3. 2020, wurde nach einem parlamentarischen Schnellverfahren ua das "Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz)"4 veröffentlicht. § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtigt den Bundesminister für Soziales,5 durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen zu untersagen. Gem § 2 kann zudem durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden. Diese Verordnung ist vom Bundesminister für Soziales zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt. All dies ist nur zulässig, soweit es zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.
Auf dieser Grundlage wurde mit Wirkung ab 16. 3. 2020 ua das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen verboten. Die wichtigsten Ausnahmen gelten für Apotheken, den Lebensmittelhandel, Drogerien und Drogeriemärkte.6 Darüber hinaus wurde das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten des Gastgewerbes weitgehend untersagt.7 Durch die
Verordnung gem § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz wurde in Umkehrung der Verordnungsermächtigung, die das Betreten von bestimmten Orten umfasst,8 das Betreten öffentlicher Orte generell verboten und nur Betretungen zu bestimmten Zwecken ausgenommen. Die im vorliegenden Zusammenhang wichtigste Ausnahme betrifft Betretungen, die für berufliche Zwecke erforderlich sind, vorausgesetzt, es kann am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden.
Ab Inkrafttreten mit Montag, dem 16. 3. 2020, waren daher ein Großteil der Verkaufsstellen im Handel und die Geschäftsräume vieler Dienstleister geschlossen, zB Möbelhäuser, Baumärkte, der gesamte Elektro- und Bekleidungseinzelhandel, aber auch Friseure, Fitnessstudios und viele andere mehr; das Gastgewerbe folgte am 17. 3. 2020.
Für viele Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie ihre dienstvertraglich vereinbarte Tätigkeit an ihrem Arbeitsort nicht mehr ausüben konnten. Am Beispiel eines Verkäufers im stationären Elektrohandel sei das erläutert: Zwar war nach dem Text der Verordnung nur das Betreten des Kundenbereichs der Verkaufsstelle "zum Zweck des Erwerbs von Waren" untersagt. Gem § 3 Abs 1 COVID-19-Maßnahmengesetz ist jedoch mit einer Geldstrafe von bis zu 3.600 € zu bestrafen, wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten untersagt ist. Der Inhaber der Betriebsstätte muss darüber hinaus bei Androhung von Geldstrafen bis zu 30.000 € dafür Sorge tragen, dass die Betriebsstätte nicht betreten wird (§ 3 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz). Zudem ist auch dem Verkäufer selbst das Betreten nur erlaubt, wenn es zu beruflichen Zwecken erforderlich ist. Das Betreten einer Betriebsstätte, ohne dort eine berufliche Tätigkeit ausüben zu können, wäre daher ebenfalls eine Verwaltungsübertretung und gem § 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz mit Geldstrafe von bis zu 3.600 € zu bestrafen.
Dass es sich bei den oben beschriebenen Maßnahmen in Bezug auf Verkaufsstellen und ähnliche Betriebsstätten tatsächlich um Betriebsschließungen und nicht nur um Einschränkungen der Nutzung auf bestimmte Betretungszwecke handelt, bestätigt auch der neue § 18b Abs 1 AVRAG, der die Möglichkeit einer geförderten Sonderbetreuungszeit für derartige Fälle schafft ("Werden Einrichtungen auf Grund behördlicher Maßnahmen teilweise oder vollständig geschlossen ..."). Die Maßnahmen waren als Schließung gemeint und werden auch so umgesetzt.
Ziel des Arbeitsverhältnisses ist, wie erwähnt, der Austausch von Dienstleistung und Entgelt: Entgelt gebührt grundsätzlich nur für geleistete Arbeit. Für Zeiten ohne Arbeit gebührt Entgelt nur, wenn und soweit durch Gesetz oder Kollektivvertrag Entgeltfortzahlung angeordnet ist.9
Als Grundlagen für eine Entgeltfortzahlung kamen daher in Betracht:
- | § 1154b Abs 5 ABGB und § 8 Abs 3 AngG: Der Dienstnehmer behält den Anspruch auf das Entgelt, wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Dienstleistung verhindert wird. |
- | § 1155 ABGB: Auch für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, gebührt dem Dienstnehmer das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf der Seite des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist [...]. |
- | § 32 EpG, der ua Arbeitnehmern einen Anspruch auf Vergütung für den Verdienstentgang gewährt, der zwar vom Arbeitgeber auszuzahlen, aber letztlich vom Bund zu tragen ist (§ 32 Abs 3 EpG). Es handelt sich dabei zumindest wirtschaftlich nicht um einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, sondern um einen Ersatzanspruch gegen den Bund; der Arbeitgeber ist hier nur die auszahlende Stelle. Anders als bei Schließungen in einer Epidemie aufgrund des Epidemiegesetzes zeigt sich der Bund in der COVID-19-Krise allerdings nicht generell bereit, die Kosten eines Verdienstentgangs zu tragen: Im Rahmen des Anwendungsbereichs der COVID-19-Verordnungen gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes betreffend die Schließung von Betriebsstätten ausdrücklich nicht zur Anwendung (§ 4 Abs 2 COVID-19-Maßnahmengesetz). Allerdings bleiben die Bestimmungen des Epidemiegesetzes ansonsten unberührt (§ 4 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz), wodurch schon von vornherein eine Zweiklassengesellschaft geschaffen wurde: Bei Schließungen zB von Après-Ski-Bars aufgrund des Epidemiegesetzes trägt der Staat den Verdienstentgang, bei Schließungen weiter Teile des Einzelhandels und vieler Dienstleistungsgewerbe bleibt es grundsätzlich bei der Risikoverteilung nach dem ABGB. Ganz überzeugend ist diese ungleiche Lastenverteilung rechtspolitisch nicht; ein Ausgleich soll wohl in erster Linie über die vom AMS großzügig ausgestaltete10 Kurzarbeit nach § 37b AMSG erfolgen. Allerdings ist die Kurzarbeit mit Einschränkungen, wie zB der Pflicht zum Auf- Entgeltfortzahlung während Betriebsschließung in der Pandemie - Anfang Seite 263 rechterhalten des Beschäftigtenstandes, verbunden und ist daher kein Äquivalent für die Pflicht des Staates zum Ersatz des Verdienstentgangs nach dem Epidemiegesetz. |
Damit blieben als Grundlagen für die Entgeltfortzahlung in der Woche ab 15. 3. 2020 zunächst nur die §§ 1154b und 1155 ABGB. Zu diesen hat der OGH folgende Grundsätze entwickelt:11
- | Verkehrsstörungen, die den Arbeitnehmer ohne sein Verschulden daran hindern, den Arbeitsplatz zu erreichen, sind als Hinderungsgrund iSd § 1154b ABGB anzusehen, auch wenn es sich dabei um eine Massenerscheinung handelt, die auch zahlreiche andere Arbeitnehmer betrifft. Das gilt nach dem Gesetzeswort auch für alle anderen die Person des Arbeitnehmers betreffenden Hinderungsgründe. |
- | Zur Sphäre des Arbeitgebers gehören alle die Dienstverhinderung auslösenden Ereignisse und Umstände, welche die Person des Arbeitgebers, sein Unternehmen, Organisation und Ablauf des Betriebes, die Zufuhr von Rohstoffen, Energie und sonstigen Betriebsmitteln, die erforderlichen Arbeitskräfte, die Auftrags- und Absatzlage sowie die rechtliche Zulässigkeit der betrieblichen und unternehmerischen Tätigkeit betreffen. Dazu gehören auch Fälle "höherer Gewalt", sofern von ihnen das Unternehmen, aber nicht die Allgemeinheit berührt ist. In diesen Fällen kommt es zu einer Entgeltfortzahlung nach § 1155 ABGB. |
- | Eine Pflicht zur Entgeltfortzahlung besteht nicht, wenn ein Elementarereignis, das den Arbeitnehmer daran hindert, den Arbeitsplatz zu erreichen, nicht mehr den Sphären des Arbeitgebers und Arbeitnehmers, sondern als Ereignis "höherer Gewalt" der "neutralen Sphäre" zuzuordnen ist; dies hat zur Folge, dass weder nach § 1154b noch nach § 1155 ABGB ein Anspruch bestünde. Die neutrale Sphäre schränkt der OGH wie folgt ein: Erst wenn ein Ereignis oder ein Umstand zwar auch auf Seite des Arbeitnehmers eintritt, jedoch in seiner Auswirkung über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit trifft, ist es gerechtfertigt, von einer Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers abzusehen. Das ist zB bei umfassenden Elementarereignissen, aber auch bei Seuchen, Krieg, Revolution und Terror, der sich nicht nur gegen das Unternehmen richtet, der Fall. |
Handelt es sich bei einer Pandemie um ein solches Ereignis, das zwar auch auf Seite des Arbeitnehmers eintritt, jedoch in seiner Auswirkung über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit trifft? Aus Sicht des Verfassers ist das zu bejahen. Die Argumente sind auszuführen, weil in den Medien auch andere Stimmen zu hören waren:12
- | Laut WHO kam es zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage in Bezug auf COVID-19 in der Europäischen Region der WHO, die inzwischen im Mittelpunkt dieser Pandemie steht. Ebenso dramatisch hat der Gesetzgeber reagiert und die massivsten Einschränkungen des Wirtschaftslebens seit dem zweiten Weltkrieg angeordnet. Eine derart zugespitzte Pandemie trifft die Allgemeinheit wie kaum ein anderes Ereignis. |
- | Der OGH nennt Seuchen ausdrücklich als Fall der höheren Gewalt. Dabei kann sinnvollerweise nicht nur die Seuche an sich gemeint sein, sondern auch Maßnahmen aufgrund der Seuche.13 Eine Seuche an sich hindert einen Arbeitnehmer, der nicht erkrankt ist, ja im Regelfall nicht an sich an der Ausübung seiner Tätigkeit, sondern nur aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche. |
- | Zwar ist es dem Arbeitnehmer nicht faktisch unmöglich, den Arbeitsort zu erreichen, jedoch hat der Arbeitgeber unter Strafdrohung dafür zu sorgen, dass die Betriebsstätte nicht betreten wird. Auch der Arbeitnehmer, der grundlos die geschlossene Betriebsstätte betritt, wäre nach den eingangs dargestellten Regelungen zu bestrafen. Die rechtliche Unmöglichkeit ist der faktischen Unmöglichkeit im Leistungsstörungsrecht in einer solchen Situation gleichzuhalten. Grundlage für den Entfall der wechselseitigen Pflichten aus dem Dienstverhältnis ist richtigerweise § 1447 ABGB, wonach bei Nichtanwendbarkeit der speziellen Entgeltfortzahlungsbestimmungen eine durch Zufall eintretende Leistungsunmöglichkeit die wechselseitigen Verbindungen aufhebt.14 Vorübergehende rechtliche Unerlaubtheit lässt - wie ein faktisches vorübergehendes Hindernis - ebenfalls kein Leistungsurteil zu, sondern nur ein Feststellungsurteil über den Bestand des Vertrages und die Leistungspflicht bei Wegfall des Hindernisses.15 Anders ausgedrückt: Während vorübergehender rechtlicher Unmöglichkeit ruhen die wechselseitigen Pflichten. Treffen die Auswirkungen der Verbote über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit, wie gerade im Fall einer Seuche und einer Pandemie, dann gilt diese Risikoverteilung auch im Arbeitsverhältnis. Die gesetzlichen Maßnahmen treffen beide Parteien des Arbeitsverhältnisses, und das in Betrieben in ganz Österreich und in weiten Teilen Europas und der Welt; viel stärker kann die "Allgemeinheit" von den Auswirkungen einer Pandemie kaum betroffen sein. Dementsprechend wurden auch beide Verordnungen, die im Zusammenspiel zur Betriebsschließung führen, einheitlich für das gesamte Bundesgebiet erlassen. |
- | In den meisten Fällen ist es Arbeitgebern auch nicht möglich, ausgesperrte Arbeitnehmer mit anderen Tätigkeiten zu betrauen. Zwar müssen Verkäufer im Rahmen ihrer Dienstpflichten uU an einer Warenbestandsaufnahme im Zuge der Inven- Entgeltfortzahlung während Betriebsschließung in der Pandemie - Anfang Seite 264 tur mitwirken, doch setzt das eben eine geplante Inventur voraus. Keinesfalls darf der Arbeitgeber Arbeitnehmer mit wirtschaftlich sinnlosen Tätigkeiten in der für den Kundenverkehr gesperrten Betriebsstätte betrauen, weil dann das Betreten zu beruflichen Zwecken nicht erforderlich ist. In diesem Sinn auch die Rechtsprechung: Hat ein Arbeitnehmer während des ihn betreffenden Hinderungszeitraumes überhaupt keine Möglichkeit eines allfälligen Arbeitseinsatzes, kann seine Untätigkeit auch nicht als ein Zustand der Arbeitsbereitschaft angesehen werden; wenn die Ausfahrtsstraße gesperrt ist, ist eine an sich mögliche Inbetriebnahme eines Lkw ohne Fahrmöglichkeit sinnlos und es liegt daher eine Dienstverhinderung vor.16 Nichts anderes kann gelten, wenn Betriebsstätten zwar im Prinzip zugänglich sind, der Arbeitnehmer in ihnen aber keine sinnvolle Arbeitsleistung erbringen kann. |
- | Nicht zuletzt hat der OGH bisher nur örtlich und zeitlich stark begrenzte Elementarereignisse wie Straßensperren aufgrund der Witterung als Betriebsrisiko des Arbeitgebers angesehen. Eine Betriebsschließung auf mehrere Wochen (richtigerweise jedoch wegen ständig drohender Verlängerung auf unabsehbare Zeit) ist kein typisches Betriebsrisiko, auf das sich ein Unternehmer einstellen kann. In solchen Fällen schafft § 1155 Abs 1 ABGB eine sachgerechte Lösung, die das Unternehmen, dessen Umsätze wegbrechen, umgehend von Kosten entlastet und eine Fortsetzung des arbeitsrechtlichen Austauschverhältnisses nach Ende des Hindernisses ohne Kündigung ermöglicht. Wenn Betriebsschließungen im Interesse der Allgemeinheit erforderlich sind, hätte diese auch die Kosten zu tragen, wie das im Epidemiegesetz vorgesehen wäre! Denkbar wäre auch gewesen, es bei den Rechtsfolgen des § 1155 Abs 1 ABGB zu belassen und die betroffenen Arbeitnehmer über die Arbeitslosenversicherung zu unterstützen; auch dafür wären nur überschaubare Gesetzesänderungen erforderlich gewesen. |
Der Gesetzgeber hat jedoch einen anderen Weg gewählt und durch das 2. COVID-19-Gesetz17 rückwirkend mit 15. 3. 2020 die Kosten der im Interesse der Allgemeinheit beschlossenen Maßnahmen den einzelnen, von Schließungen betroffenen Arbeitgebern auferlegt. Immerhin wurde dafür ein begrenzter Ausgleich in Form eines verpflichtenden Verbrauchs von Urlaub und Zeitguthaben durch den Arbeitnehmer vorgesehen.
Dabei wurde § 1155 ABGB um zwei Absätze ergänzt (§ 1155 Abs 3 und Abs 4). Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, gelten nunmehr zeitlich beschränkt bis 31. 12. 2020 als Umstände iSd § 1155 Abs 1 ABGB. Damit gebührt einem betroffenen Arbeitnehmer auch für die Dauer einer der hier behandelten Betriebsschließungen das Entgelt, wenn der Arbeitnehmer zur Leistung bereit war. Wenn die Maßnahmen als Umstände iSd § 1155 Abs 1 ABGB "gelten", heißt das gerade nicht, dass es sich tatsächlich um solche Umstände handelt. Vielmehr sind die Betriebsschließungen auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes nur vorübergehend solchen Umständen gleichgestellt, ohne dass dies weiter reichende Auswirkungen auf die Interpretation des § 1155 Abs 1 ABGB haben kann.
Um die Lasten dieses rückwirkenden Eingriffs in die Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gerechter zu verteilen, hat der Gesetzgeber zudem, wie angesprochen, einen Ausgleich vorgesehen: Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande kommen, sind verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Insgesamt müssen nicht mehr als acht Wochen an Urlaubs- und Zeitguthaben verbraucht werden. Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr müssen nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen verbraucht werden. Um einen echten Ausgleich für die Erweiterung des § 1155 ABGB handelt es sich allerdings nicht, weil der Verbrauch von Urlaub und Zeitguthaben anders als § 1155 Abs 1 ABGB Entgeltkosten nicht unmittelbar entfallen lässt.
Wie ist diese Pflicht durchzusetzen, wenn der Arbeitnehmer das Verlangen des Arbeitgebers ablehnt? Leider ist die Wortwahl des Gesetzgebers beim Thema Verbrauch von Urlaub und Zeitguthaben weniger klar als bei der Anordnung der Entgeltfortzahlung - insb "gilt" der Urlaub nicht ausdrücklich schon aufgrund des Zugangs des Verlangens mit Ablauf der vom Arbeitgeber angegebenen Zeitspanne als verbraucht. Formal betrachtet, müsste der Arbeitgeber daher seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen und eine Urlaubsvereinbarung einklagen. Aufgrund der gesetzlichen Pflicht des Arbeitnehmers wäre der Klage auch rückwirkend für den geforderten Zeitraum stattzugeben, wenn Lage und Umfang den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.
Ein derart kompliziertes Vorgehen würde aber erst recht unnötig Ressourcen binden, die gerade in der gegenwärtigen Krisensituation dringend benötigt werden. Aufgrund des erkennbaren Zwecks der Regelung, in einem Krisenfall rasch einen fairen Ausgleich zu schaffen, ist das Gesetz daher dahin gehend auszulegen, dass schon mit Zugang eines gesetzeskonformen Verlangens des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer eine Urlaubsvereinbarung zustande kommt, wenn dieses Verlangen die Anforderungen von § 1155 Abs 3 und 4 ABGB erfüllt.18
Darüber hinaus könnte die beharrliche ungerechtfertigte Verweigerung des Urlaubsverbrauchs bei Angestellten auch als Entlassungsgrund iSd § 27 Z 4 AngG anzusehen sein, weil die Aufforderung zum Urlaubsverbrauch aufgrund der neu geschaffenen Bestimmungen als gerechtfertigte Anordnung anzusehen sein wird.
§ 1155 ABGB ist abdingbar, weil er nicht in die Aufzählung der zwingenden Vorschriften in § 1164 Abs 1 ABGB aufgenommen wurde. Umstritten ist zwar, in welchem Umfang § 1155 ABGB einvernehmlich aufgehoben werden kann.19 Jedoch dürfte außer Zweifel stehen, dass die Entgeltfortzahlungspflicht für konkrete Anlässe aufgehoben werden kann.
Das bedeutet:
- | Arbeitgeber und Arbeitnehmer können während der Pandemie jederzeit auch eine unbezahlte Dienstfreistellung vereinbaren. |
- | Im Rahmen von Kurzarbeitsvereinbarungen wird derzeit häufig die Entgelthöhe für Arbeitszeit und Ausfall (und damit anteilig auch die Entgeltfortzahlung während des Teils der Kurzarbeit, in dem der Betrieb geschlossen ist) auf insgesamt 80 % bis 90 % des früheren Nettoentgelts beschränkt. Auch diese Einschränkungen der Entgeltfortzahlung durch Punkt VI 1. "Sozialpartnervereinbarung Einzelvereinbarung" im Rahmen der Einführung von Kurzarbeit20 sind zulässig. Die Zulässigkeit der entsprechenden Bestimmungen in der "Sozialpartnervereinbarung Betriebsvereinbarung" hängt davon ab, in welchem Umfang Sozialpartner und die Partner der Betriebsvereinbarung in Einzelverträge eingreifen dürfen.21 |
- | Für den Berater stellt sich die Frage, ob eine etwaige Entgeltfortzahlung gem § 1155 ABGB bei Seuchen und Pandemien in Dienstverträgen für die Zukunft ausgeschlossen werden sollte. Hoffentlich bleiben diese Fälle selten. Aufgrund der enormen Kostenbelastungen in jedem einzelnen Fall ist in Zukunft aber damit zu rechnen, dass vertragliche Einschränkungen der Entgeltfortzahlung häufiger werden. Denkbar wäre zB in Anlehnung an § 1154b ABGB ein Ausschluss der Entgeltfortzahlung, wenn solche Ereignisse länger als eine Woche dauern. |
Einen ganz anderen Weg - Entgeltfortzahlung, die letztlich vom Krankenversicherungsträger übernommen wird - hat der Gesetzgeber hingegen zum Schutz von COVID-19-Risikogruppen vor einer Infektion gewählt. Dieser betrifft va Dienstnehmer mit Vorerkrankungen.
§ 735 ASVG gewährt einem - an sich arbeitsfähigen - Dienstnehmer bis zumindest Ende April 2020, allenfalls aber bis Jahresende, unter detailliert geregelten Voraussetzungen einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung und Fortzahlung des Entgelts, wenn er zur COVID-19-Risikogruppe gehört und dem Dienstgeber ein COVID-19-Risiko-Attest vorlegen kann und zudem - vereinfacht ausgedrückt - Homeoffice nicht möglich ist (§ 735 Abs 3 ASVG). Das gilt nicht für Betroffene, die in Bereichen der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind (§ 735 Abs 4 ASVG). Der Dienstgeber hat Anspruch auf Erstattung des an den Dienstnehmer geleisteten Entgelts sowie der Dienstgeberanteile am Sozialversicherungsbeitrag, Arbeitslosenversicherungsbeitrag und sonstigen Beiträgen durch den Krankenversicherungsträger (§ 735 Abs 5 ASVG).
Zur Risikoverteilung zB Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1155 ABGB Rz 4.
Zur Themenabgrenzung: Themen wie die Erkrankung des Arbeitnehmers selbst (insb § 8 Abs 1-2a AngG) oder die Pflege erkrankter Angehöriger (Pflegefreistellung nach § 16 UrlG sowie die §§ 14 ff AVRAG) werden nicht näher behandelt. Die vorübergehend eingeführte Sonderbetreuungszeit zur Kinderbetreuung gem § 18b ASVG ist weiterhin nicht als Rechtsanspruch ausgestaltet. Auf den neuen § 735 ASVG, der als Teil des 3. COVID-19-Gesetz am 5. 4. 2020 im BGBl kundgemacht wurde, wird hingegen am Schluss dieses Beitrags hingewiesen. Zu all diesen Themen Schrank, Arbeitsrechtlich Wichtiges zur Corona-Krise, RdW 4/2020, 265 ff (in diesem Heft).
http://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/news/news/2020/3/who-announces-covid-19-outbreak-a-pandemic (abgefragt am 4. 4. 2020).
Art 8 des COVID-19 Gesetzes, BGBl I Nr 12/2020 v 15. 3. 2020; seither mehrfach geändert, der jeweilige letzte Stand ist für die Dauer der Maßnahmen ausschließlich dem BGBl zu entnehmen.
Vollständig: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
§§ 1 ff der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, Stammfassung BGBl II Nr 96/2020 v 15. 3. 2020. Diese Verordnung wird ebenso wie die weiteren COVID-19-Verordnungen laufend geändert, der genaue Inhalt muss daher dem BGBl entnommen werden.
§§ 1 ff der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, Stammfassung BGBl II Nr 98/2020 v 15. 3. 2020. Die eintägige begrenzte Ausnahme für das Gastgewerbe durch die exakt am 16. 3. 2020 anwendbare Verordnung BGBl II Nr 97/2020 ist im Rückblick eher ein pandemiehistorisches Kuriosum.
Dazu Noll, Corona-Krise: Der Verordnungsstaat. Vom Siechen der Grundrechte in Zeiten der Seuche am Beispiel der vom Gesundheitsminister verordneten Ausgangsbeschränkung, Der Standard vom 25. 3. 2020, am 5. 4. 2020 abrufbar unter https://www.derstandard.at/story/2000116124769/corona-krise-der-verordnungsstaat Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse muss hier bedauerlicherweise eher auf Zeitungsartikel als auf Fachliteratur zurückgegriffen werden.
Schrank, Außergewöhnliche Witterungsgewalten und Arbeitsausfall - wann fortzahlungsfreie neutrale Sphäre? RdW 2019, 254.
Vgl die Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-COVID-19) v 1. 3. 2020, derzeitige Fassung datiert 25. 3. 2020, geändert am 27. 3. 2020, BGS/AMF/0702/9988/2020. Aktuelle Fassung unter https://www.ams.at/unternehmen/personalsicherung-und-fruehwarnsystem/kurzarbeit/downloads-kurzarbeit
OGH 16. 12. 1987, 9 ObA 202/87; 27. 1. 1988, 9 ObA 27/88.
Zutreffend zunächst Peschek, Der Betrieb sperrt zu - und was jetzt? Der Standard vom 16. 3. 2020, https://www.derstandard.at/story/2000115774889/der-betrieb-sperrt-zu-und-was-jetzt; unzutreffend zB AK Wien-Direktor Christoph Klein https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200318_OTS0124/ak-klein-auch-entgelt-wenn-betrieb-gesetzlich-geschlossen, der die Anwendung der Grundsätze des OGH als Meinung einzelner Rechtsanwälte abtut und diese zutreffende Meinung in einem Fernsehinterview sinngemäß als einen überholten Grundsatz des römischen Rechts dargestellt hat.
So mit weiteren Argumenten über die hier behandelten Betriebsschließungen hinaus auch für Betriebseinschränkungen Schrank, RdW 4/2020, 265 ff.
Schrank, RdW 2019, 254.
Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 920 Rz 116.
BGBl I Nr 16/2020 v 21. 3. 2020.
Ebenso im Ergebnis, wenn auch mit abweichender Begründung, Schrank, RdW 4/2020, 265 ff.
Siehe zB Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1155 ABGB Rz 5 ff.
Vereinbarungsmuster Stand 27. 3. 2020, https://www.wko.at/service/corona-kurzarbeit.html unter 32. Dokumente und weiterführende Infos (abgefragt am 5. 4. 2020).
Dazu zB Drs, Arbeitsrechtliche Instrumentarien zur Beschäftigungssicherung, in Resch (Hrsg), Beschäftigungssicherung in der Wirtschaftskrise 17 (52 ff).