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DSGVO: Art 82
Ein Shitstorm als solcher kommt erst durch die Beteiligung mehrerer Schädiger zustande – die in aller Regel zumindest fahrlässig handeln – und bewirkt einen anderen Schaden, als er durch die Schmähung eines Einzelnen hervorgerufen wird, erlebt doch die betroffene Person eine Verurteilung (scheinbar) durch die „Öffentlichkeit“ und nicht (bloß), dass sich ein Einzelner zu Unrecht gegen sie wendet. Dieser Umstand löst über die tatsächlich wahrgenommenen (ausgeforschten oder an die Person herangetragenen) negativen Reaktionen oder Konfrontationen (mit dem Drang oder gar Zwang zur Rechtfertigung) samt den damit verbundenen Kränkungen hinaus zusätzliche Ängste aus. Es ist damit nämlich auch die Sorge über das (noch unbekannte und vielleicht auch bis zuletzt ungewiss bleibende) Ausmaß der Verbreitung verbunden und wiederum damit die Furcht des Betroffenen vor zukünftigen Anwürfen, wie sie erst durch die Massivität der vielfach verbreiteten Entrüstung (durch das Zusammenwirken) hervorgerufen werden kann.
Richtig mag zwar sein, dass die Aufklärung der konkreten Verursachung eines bestimmten Schadens durch einen einzelnen Beitrag umso schwieriger wird, je mehr sich am (damit intensiver werdenden) Shitstorm beteiligen. Diese Unaufklärbarkeit führt aber nicht zur Entlastung der einzelnen Täter. Die Unaufklärbarkeit der Verursachung einzelner Folgen durch das konkrete (Re-)Posting geht im Regelfall mit einem Shitstorm einher und hat (auch im Fall von Schädigern, die das „Ursprungsposting“ teilen) nach der wertenden Betrachtung im Schadenersatzrecht der Schädiger zu tragen. Für die Bejahung der Kausalität (und damit der Haftung) des einzelnen (rechtswidrig und schuldhaft handelnden) Posters kommt es nicht darauf an, ob das Opfer eines Shitstorms bei jeder erlittenen Gefühlsbeeinträchtigung, bekanntgeworden Konfrontationen oder Reaktion die konkrete „Quelle“ der herabsetzenden Äußerung in Bezug auf den in Anspruch genommenen einzelnen Poster als deren (direkte oder indirekte) Ursache benennen und nachweisen kann (was typischerweise nicht der Fall sein wird). Setzen alle Poster (die wohl im Regelfall zumindest fahrlässig und damit schuldhaft handeln) ein – konkret gefährliches und daher mit dem Kausalitätsverdacht belastetes – Fehlverhalten, das bis auf den strikten Nachweis der Ursächlichkeit (des gesamten aufgetretenen Schadens) alle haftungsbegründenden Elemente enthält, ist das Unaufklärbarkeitsrisiko von ihnen und nicht vom Geschädigten zu tragen. Dies gilt jedenfalls für das Teilen des Postings bei weltweiter Abrufbarkeit, kann letztlich aber auch bei eingeschränktem Empfängerkreis nicht anders gesehen werden.
Wer sich an einem Shitstorm beteiligt, muss damit rechnen, dass er den Gesamtschaden gegenüber dem Opfer (vorweg) leisten und sich in der Folge der Mühe der Aufteilung des Ersatzes unter den anderen Schädigern unterziehen muss. Die Schädiger sind dann damit belastet, untereinander im Wege des § 896 ABGB Regress zu nehmen. Das Risiko der Uneinbringlichkeit (bei einzelnen Schädigern) und die Schwierigkeit, andere Schädiger ausfindig zu machen, ist damit im Wesentlichen auf die Schädiger verlagert. Die einzelnen Poster, die zumindest teilweise untereinander vernetzt sind und wissen, an welche „Freunde“ sie den Beitrag weitergeleitet haben, können auch ungleich leichter die Anzahl der Schädiger eruieren und den Schaden im Regressweg untereinander aufteilen.
Entscheidung
Verhältnis der Anspruchsgrundlagen zueinander
Das Schwergewicht des eingetretenen Schadens liegt hier in der Schädigung des Rufs des Kl – im Wege von Verletzungen des Bildnisschutzes, des Datenschutzes und der Schutzgüter der §§ 6, 7a und 7b MedienG – , dessen Kränkung und der dadurch bewirkten Ängste und Sorgen.
Der Kl hat neben den Voraussetzungen für Schadenersatz nach der DSGVO (die wegen des Fehlens einer Erheblichkeitsschwelle leichter nachzuweisen sind) auch die Anspruchsberechtigung nach dem UrhG bewiesen, nämlich, dass er in der Öffentlichkeit (wofür schon eine Mehrzahl genügt: A. Kodek in Handig/Hofmarcher/Kucsko, urheber.recht3 [2023] § 78 UrhG Rz 19) eine objektivierbare erhebliche schwere Kränkung erlitten hat (auch in Form der derben, herabsetzenden Kommentare; vgl für Ersatz nach dem UrhG 4 Ob 281/98x). Eine genaue Zuordnung einzelner Teile der Entschädigung auf einzelne Ansprüche je nach DSGVO, DSG, UrhG und MedienG ist im vorliegenden Fall – soweit überhaupt möglich – nicht notwendig.
Sowohl § 78 iVm § 87 UrhG als auch Art 82 DSGVO iVm § 29 Abs 1 DSG und ebenso §§ 6 ff MedienG gewähren Ersatz für immateriellen Schaden. Dass zwischen den Ansprüchen aus §§ 78, 87 UrhG und den §§ 6 ff MedienG keine Spezialität besteht, ist bereits geklärt. Im Einklang mit der Rsp des OGH wird in der Lit von einer „Anrechnung“ der im Medienverfahren für die erlittene Kränkung zugesprochenen Beträge auf den Anspruch nach dem UrhG ausgegangen. Die gebotene Anrechnung ist ein Mittel, die Konkurrenz zwischen den Ansprüchen zu entschärfen und erfüllt einen mit der Konsumtion deckungsgleicher Ansprüche vergleichbaren Zweck. Sie stellt sicher, dass keine Mehrfachinanspruchnahme erfolgt. Tatsächlich läge kein Rechtsgrund für jene Leistungen vor, die in Erfüllung desselben Leistungszwecks doppelt erbracht würden. Gleiches gilt auch für den Ersatz nach Art 82 Abs 1 DSGVO iVm § 29 DSG (sowohl im Verhältnis zur Entschädigung nach dem MedienG als auch zum Ersatz für die Nachteile nach dem Bildnisschutz, die in keinem Vermögensnachteil bestehen), zumal es auch insoweit um den (zwar) vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden geht (nach dem Schutzgut von § 7a MedienG etwa um den Schaden, der durch die Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen gewährt wird), nicht aber um die Verhängung von Strafschadenersatz, hat doch auch der Schadenersatz nach der DSGVO (und nach dem DSG) nur Ausgleichs-, aber keine abschreckende oder sogar Straffunktion.
Der Ersatz darf daher nicht in einer Höhe bemessen werden, die über den vollständigen Ersatz hinausgeht. Soweit der Ersatz denselben Schaden abdecken soll, hat eine volle Anrechnung zu erfolgen.
Bemessung des Schadenersatzes
Die Bemessung von immateriellem Schadenersatz nach § 87 Abs 2 UrhG, der bei Verletzung des Bildnisschutzes gebühren mag, erfolgt nicht im Wege der Rechnungslegung (kein „angemessenes Entgelt“ nach § 86 UrhG), sondern im Wege des § 273 ZPO. Die vom Kl geforderte Berücksichtigung des „Ausmaßes der Verbreitung des Mediums, bei Websites auch der Zahl der Endnutzer“ (in Anlehnung an die Wertungen von § 8 Abs 1 MedienG) erfolgt ohnehin bei der Schadensbemessung nach § 273 ZPO, zumal dabei alle Verfahrensergebnisse zu berücksichtigen sind, insb Verschuldensgrad, Dauer und Intensität der Verletzung, Art der Veröffentlichung und ihre Reichweite. Dieser Umstand begründet aber für sich keinen Auskunftsanspruch und noch weniger einen Rechnungslegungsanspruch.
Auch für die Datenschutzverletzung hat die Bemessung des Schadens – innerhalb der vom EuGH aufgezeigten Grenzen (Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität) – nach nationalem Recht gem § 273 ZPO zu erfolgen (vgl EuGH C-667/21 [Rn 83] unter Verweis auf C-300/21 [Rn 53, 54 und 59], Rechtsnews 34888). Klargestellt ist durch die Rsp des EuGH aber doch, dass Art 82 DSGVO nicht verlangt, dass die Schwere des Verstoßes (der Grad des Verschuldens) bei der Bemessung des als Entschädigung für immateriellen Schadenersatz gewährten Betrags berücksichtigt wird. Es geht vielmehr um einen „vollständigen Ausgleich des erlittenen Schadens“ (EuGH C-667/21 [Rn 102 f]). Der Begriff des immateriellen Schadens nach der DSGVO ist wegen des Ziels der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus zwar weit zu verstehen und umfasst auch die – begründete – Befürchtung, personenbezogene Daten könnten von Dritten missbräuchlich verwendet werden. Ein „rein hypothetisches Risiko der Verwendung“ kann dagegen nicht zu Ersatz führen (C-687/21 [Rn 65, 67, 68], RdW 2024/244).
Höhe des Schadenersatzes
Der Kl begehrt insgesamt 3.000 €. Er erhielt bereits 650 € vom Bekl und weitere 550 € (wie aus dem Verfahren 6 Ob 43/24b gegenüber einem anderen Poster bekannt). Daneben verfügt er bereits über einen Titel über 650 € gegen den Bekl. Am Bekl wäre es gelegen, einen darüber hinausgehenden bereits erfolgten Ausgleich (des Gesamtschadens) nachzuweisen.
Mit dem Zuspruch von (weiteren) 3.000 € erhält der Kl aber (bei Zahlung) insgesamt nicht einmal 5.000 €. Angesichts der Schwere der unberechtigten Vorwürfe gegen den Kl (Amtsmissbrauch bzw Anwendung völlig unangebrachter Gewalt), der Massivität des vielfachen „Angriffs“ in Form der öffentlichen Anprangerung und der dadurch herbeigeführten und einhergegangenen Belastungen ist unzweifelhaft, dass der gesamte Zahlungsanspruch der Höhe nach berechtigt ist, und zwar neben den bereits erhaltenen Beträgen auch unter Einschluss des im Verfahren nach dem MedienG erwirkten Titels und ohne dass der Gesamtschaden im vorliegenden Fall betraglich genau festgelegt werden müsste.
Der Anregung des Bekl, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, weil die Behandlung eines Shitstorm „eine Grundfrage des Binnenmarkts“ betreffen soll, ist nicht zu folgen, zumal es (nur) um Ausgleich des Schadens und (gerade) nicht um eine „Umgehung“ des „Doppelverfolgungsverbots“ durch „ein nationales Rechtssystem“ geht und auch nicht um ein „Sanktionsverfahren“, das durch eine „Vielzahl von Einzelverfahren“ ins „Unermessliche aufkumuliert“.
Hinweis:
Der Kl konnte sich nicht auf § 16 ECG („Schadenersatz bei Hass im Netz“) idF des DSA-Begleitgesetzes (BGBl I 2023/182) stützen und diese Bestimmung ist auf den vorliegenden Fall auch noch nicht anzuwenden (siehe § 28 Abs 5 ECG: verletzende Handlung nach dem 16. 2. 2024).