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DSGVO: Art 12, Art 15, Art 23
Wr KAG: § 17a
Dem Begehren eines Patienten gegenüber einem Krankenanstaltenträger, ihm kostenlos erstmalig „die Krankengeschichte“ über seinen stationären Aufenthalt, Nachbehandlungen und Kontrollen herauszugeben, steht grds nicht entgegen, dass er die kostenlose Übermittlung einer Kopie der Krankengeschichte zu dem Zweck forderte, mit Hilfe der Behandlungsunterlagen Ansprüche aus einem Arbeitsunfall geltend zu machen (vgl EuGH C-307/22, Rechtsnews 34679). Einschränkungen bestehen gem der EuGH-Entscheidung C-307/22 nach Art 12 Abs 5 DSGVO in Fällen des Rechtsmissbrauchs, in denen die Anträge der betroffenen Person offenkundig unbegründet oder – insb im Fall häufiger Wiederholungen – exzessiv sind. Weiters wird auf das Recht des Verantwortlichen nach Art 15 Abs 3 DSGVO hingewiesen, für alle weiteren Kopien ein angemessenes Entgelt zu verlangen, wenn die betroffene Person bereits eine erste Kopie ihrer Daten unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag stellt.
In der Rs C-307/22 stellt der EuGH weiters klar, dass das Recht der betroffenen Person auf eine unentgeltliche erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, nicht uneingeschränkt gilt, sondern gemäß Art 23 DSGVO beschränkt werden darf. Art 23 Abs 1 lit e DSGVO erlaubt – unter den übrigen Voraussetzungen des Art 23 DSGVO – die Beschränkung von Betroffenenrechten „zum Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, etwa im Währungs-, Haushalts- und Steuerrecht sowie im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit“. Beschränkungen nach Art 23 DSGVO kommt Ausnahmecharakter zu, dem – auch aufgrund des Merkmals der „wichtigen“ Interessen – durch eine restriktive Auslegung Rechnung zu tragen ist - was nach den Leitlinien des EDSA insb für die Berücksichtigung der Belastung öffentlicher Haushalte durch die (bloßen) Kosten der Auskunftserteilung gilt. Ausgehend davon und unter Berücksichtigung dessen, dass Art 23 Abs 1 lit e DSGVO nicht irgendein, sondern ein wichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse der öffentlichen Hand verlangt, verleiht der geringe Anteil an den Verwaltungskosten dem Interesse der Bekl an der weiteren Einhebung der Kostenbeiträge für die Zurverfügungstellung einer Erstkopie der Krankengeschichte ein nur geringes Gewicht.
Dem steht das Interesse der Patienten einer Krankenanstalt gegenüber, auf ihre eigenen Behandlungsunterlagen zur Gänze selbst Zugriff zu haben – und nicht vermittelt durch ihren behandelnden (niedergelassenen) Arzt –, um in die Lage versetzt zu sein, diese selbst anderen – etwa weiteren Ärzten oder auch Rechtsvertretern im Rahmen der Geltendmachung von Ansprüchen – zur Verfügung stellen zu können.
Dass die investierten Mittel alternativ (besser) für die unmittelbare Patientenbetreuung eingesetzt werden könnten, ist angesichts des verhältnismäßig geringen Anteils an den Verwaltungsausgaben der Bekl für die von ihr betriebenen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen nicht geeignet, ein ausreichend gewichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse des Mitgliedstaats iSd Art 23 Abs 1 lit e DSGVO zu begründen, das die Einschränkung der Betroffenenrechte (des Rechts der Patienten auf eine kostenlose Erstkopie) iSd Art 23 Abs 1 DSGVO als verhältnismäßig erscheinen ließe.
Die in § 17a Abs 2 lit g Wr KAG angeordnete Kostenersatzpflicht schränkt somit das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte in einer nach Art 23 DSGVO unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Weise ein und hat daher als der DSGVO entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu bleiben.
Hinweis:
Zum ersten Rechtsgang siehe OGH 17. 12. 2020, 6 Ob 138/20t, RdW 2021/290 (Zurückverweisung an das ErstG).
Im zweiten Rechtsgang unterbrach der OGH zunächst das Verfahren bis zur E des EuGH in der C-307/22 zu Vorlagefragen des deutschen BGH. Dieses Verfahren wurde nun fortgesetzt.