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DSGVO: Kostenlose Kopie der Krankengeschichte?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

DSGVO: Art 12, Art 15, Art 23, Art 79

ZPO: § 500

Ein gerichtlicher Rechtsbehelf nach Art 79 Abs 1 DSGVO ist auch für die Geltendmachung des Rechts auf Zurverfügungstellung einer Datenkopie nach Art 15 Abs 3 DSGVO zulässig, und zwar unabhängig davon, ob der Kl eine Verletzung der DSGVO behauptet oder nicht. Ein Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO ist nicht erforderlich.

Nach Art 15 Abs 3 DSGVO ist eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Aus Art 15 Abs 3, Art 12 Abs 5 DSGVO ergibt sich grundsätzlich das Recht des Patienten auf Zurverfügungstellung einer Kopie seiner Krankengeschichte, wobei die erste Kopie (grds) kostenlos zur Verfügung zu stellen ist (für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen). Die Kopie hat grds vollständig zu sein; die Aushändigung des Patientenbriefs ist daher nicht ausreichend. Sind in der Krankengeschichte Daten enthalten, die sich nicht auf den Kl beziehen, hat dies nicht schlechthin die Klageabweisung zur Folge. Vielmehr bestünde in einem solchen Fall ein Anspruch der betroffenen Person auf Zurverfügungstellung einer Teilkopie, die bloß ihre personenbezogenen Daten enthält oder in der die übrigen Daten unkenntlich gemacht sind.

Eine Einschränkung der Unentgeltlichkeit der ersten Kopie muss den Anforderungen des Art 23 DSGVO genügen (hier: § 17a Abs 2 lit g Wr KAG, wonach der Patient das Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte hat, für eine Kopie jedoch Kostenersatz erhoben wird – derzeit noch fehlende Feststellungen zur Verhältnismäßigkeit).

OGH 17. 12. 2020, 6 Ob 138/20t

Entscheidung

Einschränkungen der Betroffenenrechte gem Art 15 DSGVO müssen den Anforderungen des Art 23 DSGVO genügen (soweit sie über den – hier nicht relevanten – Art 15 Abs 4 DSGVO hinausgehen). Dies gilt auch für die Einschränkung der Unentgeltlichkeit (hier in § 17a Abs 2 lit g Wr KAG, wonach er Patient das Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte bzw auf Herstellung einer Kopie der Krankengeschichte gegen Kostenersatz hat). Art 23 DSGVO ermöglicht der Union und den Mitgliedstaaten, Ausnahmen von den Betroffenenrechten zu schaffen oder beizubehalten, so auch von den Rechten gem Art 15 DSGVO und den Verfahrensbestimmungen des Art 12 DSGVO. Die Beschränkung muss im Weg von „Gesetzgebungsmaßnahmen“ erfolgen, den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achten, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und verhältnismäßig sein, eines der taxativ aufgezählten Ziele verfolgen und bestimmten Anforderungen genügen.

Ob die Kostenersatzpflicht des § 17a Abs 2 lit g Wr KAG für die Herstellung der ersten Kopie der Krankengeschichte diesen Anforderungen entspricht, kann nach den derzeitigen Verfahrensergebnissen noch nicht abschließend beurteilt werden, weil zur Frage der Verhältnismäßigkeit noch kein Tatsachensubstrat vorliegt, das eine auch nur annäherungsweise Einschätzung des wirtschaftlichen Gewichts des Aufwands erlaubt, der für die Krankenanstalten mit der Zurverfügungstellung von Abschriften verbundenen ist.

Keine Bedenken hegt der OGH jedenfalls hinsichtlich folgender Punkte:

-Dass § 17a Abs 2 lit g Wr KAG gegenüber der DSGVO die ältere Norm ist, steht einer Qualifikation als nach Art 23 DSGVO zulässigen Einschränkung nicht entgegen, weil Art 23 DSGVO den Mitgliedstaaten auch erlaubt, bestehende Beschränkungen beizubehalten.
-Die Bereichsausnahme des § 17a Abs 2 lit g Wr KAG für bestimmte Gruppen von Verantwortlichen (Krankenanstalten) und bestimmte Daten (Krankengeschichte) entspricht der Struktur des Art 23 Abs 1 lit e DSGVO, der wichtige finanzielle Interessen betreffend einen bestimmten Bereich, nämlich die öffentliche Gesundheit und soziale Sicherheit, ausdrücklich als Einschränkungsgrund anerkennt.
-Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 17a Abs 2 lit g Wr KAG ergeben sich die in Art 23 Abs 2 DSGVO angesprochenen inhaltlichen Vorgaben hinsichtlich Gegenstand und Reichweite der Beschränkung; das verfolgte Ziel (Schutz der finanziellen Interessen der Krankenanstalten) ist aus dem Regelungsgegenstand selbst erkennbar und bedarf daher keiner weiteren Anführung in der Rechtsvorschrift selbst (vgl Haidinger in Knyrim, DatKomm, Art 23 DSGVO Rz 24, Art 15 DSGVO Rz 60).
-Das Einschränkungsziel – wichtige wirtschaftliche und finanzielle Interessen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit – ist von Art 23 DSGVO anerkannt und wird mit einem grds tauglichen Mittel verfolgt (der Anordnung einer Kostenersatzpflicht für Kopien der Krankengeschichte).

Die Abwägung des Gewichts der Interessen der Krankenanstalten und der Patienten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist daher nun entscheidend. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Krankenanstalten gesetzlich zur Verarbeitung personenbezogener Daten ihrer Patienten verpflichtet sind (siehe nur § 17 WrKAG; § 10 Abs 1 KAKuG [Grundsatzbestimmung]). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass § 17a Abs 2 lit g Wr KAG den Patienten die (bloße) Einsicht in die Krankengeschichte kostenlos ermöglicht.

Zur Einschätzung des wirtschaftlichen Gewichts des Aufwands für die Krankenanstalten werden im fortgesetzten Verfahren Feststellungen dahin zu treffen sein, welcher ungefähre Anteil der Patienten über den Patientenbrief hinaus weitere Kopien aus der Krankengeschichte verlangt und ob die eingehobenen Kostenbeiträge, wie behauptet, am tatsächlichen Verwaltungsaufwand orientiert sind. Auch wird mit der Bekl zu erörtern sein, aus welchen Umständen sich eine allfällige relevante wirtschaftliche Belastung ergibt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30533 vom 02.03.2021