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EuGH: Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht – gerechter Ausgleich

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2001/29/EG: Art 5

Unter der Voraussetzung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten und ein System seiner Finanzierung errichtet wird, sind die Mitgliedstaaten gem Art 5 Abs 2 Buchst a und b RL 2001/29/EG [zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft; MultimediaRL = InfoSocRL = UrheberrechtsRL] berechtigt (aber nicht verpflichtet), eine der dort vorgesehenen Ausnahmen (etwa für „Privatkopien“) in Bezug auf das ausschließliche Vervielfältigungsrecht (ua der Urheber in Bezug auf ihre Werke) in ihren Rechtsordnungen einzuführen.

Art 5 Abs 2 Buchst a und b RL 2001/29/EG hat unmittelbare Wirkung. Wurde diese Bestimmung nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt, kann sich ein Einzelner auf sie berufen, um zu erwirken, dass nationale Normen unangewendet bleiben, die ihn zur Zahlung einer Vergütung verpflichten, die unter Verstoß gegen die genannte Bestimmung festgelegt wurde. Dieses Recht, sich unmittelbar auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer RL zu berufen, steht dem Einzelnen nach stRsp nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten und ihren Einrichtungen ieS zu, sondern auch – insb – gegenüber Einrichtungen, die einer öffentlichen Stelle oder deren Aufsicht unterstehen, eine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrnehmen und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

Im vorliegenden Fall ist nach nationalem (belgischem) Recht mit der Einhebung und Verteilung des gerechten Ausgleichs eine privatrechtliche Genossenschaft (Reprobel) betraut, die keine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist und auch nicht unter der Aufsicht des belgischen Staates steht. Zu prüfen ist daher, ob diese Genossenschaft eine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrnimmt und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt:

Reprobel verfügt über eine Reihe besonderer Rechte, ua im Bereich der Anforderung von Auskünften (nicht nur von den zur Zahlung des gerechten Ausgleichs Verpflichteten, sondern auch von anderen Wirtschaftsteilnehmern, wie eta Unternehmen, die sich mit der Wartung von Kopiergeräten befassen). Dass Reprobel nicht über das Recht verfügt, Wirtschaftsteilnehmer zu sanktionieren, die der Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht nachkommen, ist ohne Bedeutung; bei Auskunftsverweigerung drohen nämlich strafrechtliche Sanktionen, die naturgemäß nur von den Gerichten verhängt werden können. Auch das Recht, die erforderlichen Auskünfte von der Zollverwaltung, der Steuerverwaltung und den Sozialversicherungsträgern einzuholen, stellt ein besonderes Recht dar, das über das hinausgeht, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

Dass Reprobel die Höhe der Vergütung nicht selbst festlegen kann (sondern Hoheitsträger), ist ohne Bedeutung. Die Wahrnehmung von Aufgaben im öffentlichen Interesse bedeutet nämlich weder, dass die Einrichtung alle Aspekte der übertragenen Aufgaben selbständig bestimmt, noch, dass die Rechte, über die sie zu diesem Zweck verfügt, diskretionärer Natur sein müssen. Die Begrenzung des Handlungsspielraums einer Einrichtung, die Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnimmt, bestätigt vielmehr, dass diese Einrichtung im Namen des Staates tätig wird und diesem Staat zuzurechnen ist.

EuGH 14. 11. 2024, C-230/23, Reprobel

Zu einem belgischen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 36100 vom 19.11.2024