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EuGH: Entnahme und Weiterverwendung des Inhalts von Datenbanken

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 96/9/EG: Art 7

Ist für die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung des Inhalts einer Datenbank in qualitativer oder quantitativer Hinsicht eine wesentliche Investition erforderlich, muss der Hersteller der Datenbank nach Art 7 Abs 1 RL 96/9/EG [über den rechtlichen Schutz von Datenbanken] DatenbankRL nach nationalem Recht berechtigt sein, die Entnahme und/oder die Weiterverwendung der Gesamtheit oder eines in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentlichen Teils des Inhalts dieser Datenbank zu untersagen. Gem Art 7 Abs 2 DatenbankRL bedeutet „Entnahme“ die “ständige oder vorübergehende Übertragung der Gesamtheit oder eines wesentlichen Teils des Inhalts einer Datenbank auf einen anderen Datenträger, ungeachtet der dafür verwendeten Mittel und der Form der Entnahme“ (Art 7 Abs 2 Buchst a DatenbankRL). „Weiterverwendung“ bedeutet “jede Form öffentlicher Verfügbarmachung der Gesamtheit oder eines wesentlichen Teils des Inhalts der Datenbank durch die Verbreitung von Vervielfältigungsstücken, durch Vermietung, durch Online-Übermittlung oder durch andere Formen der Übermittlung“ (Art 7 Abs 2 Buchst b DatenbankRL).

Eine „Entnahme“ und eine „Weiterverwendung“ des Inhalts einer Datenbank iSd Art 7 Abs 1 und 2 DatenbankRL liegen vor, wenn eine spezialisierte Internet-Suchmaschine (hier: spezialisiert auf den Stellenmarkt) die Gesamtheit oder wesentliche Teile von im Internet frei zugänglichen Datenbanken kopiert und indexiert und es dann ihren Nutzern ermöglicht, auf ihrer eigenen Website Recherchen in diesen Datenbanken nach bestimmten Kriterien durchzuführen. Dass ein solcher Aggregator Hyperlinks zu den ursprüglichen Datenbank-Websites bereitstellt, ist nur eine nachrangig bedeutsame äußere Erscheinungsform dieser Entnahme und Weiterverwendung.

Bei der Abwägung der beteiligten legitimen Interessen (des Datenbankerstellers und der Nutzer und Mitbewerber) ist das Hauptkriterium die potenzielle Beeinträchtigung der wesentlichen Investition des Datenbankerstellers, dh das Risiko, dass diese Investition nicht amortisiert werden kann (vgl Art 7 Abs 1 DatenbankRL). Das vorlegende Gericht muss daher erstens prüfen, ob die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung des Inhalts der Datenbank eine wesentliche Investition darstellt, und zweitens, ob die Entnahme oder Weiterverwendung ein Risiko für die Möglichkeiten darstellt, diese Investition zu amortisieren.

EuGH 3. 6. 2021, C-762/19, CV-Online Latvia

Sachverhalt

Zu einem lettischen Vorabentscheidungsersuchen.

CV-Online, eine Gesellschaft lettischen Rechts, veröffentlicht auf ihrer Website www.cv.lv eine Datenbank mit Stellenanzeigen, die von CV-Online entwickelt wurde und auch regelmäßig aktualisiert wird. Die Meta-Tags („Mikrodaten“) dieser Website ermöglichen es Internet-Suchmaschinen, den Inhalt jeder Seite besser zu erkennen, um ihn korrekt zu indexieren (hier: Schlüsselwörter „Stellenbezeichnung“, „Firmenname“, „Arbeitsort“ und „Datum der Veröffentlichung der Anzeige“ für jede Stellenanzeige der Datenbank).

Melons, ebenfalls eine Gesellschaft lettischen Rechts, betreibt die Website www.kurdarbs.lv, eine auf Stellenanzeigen spezialisierte Suchmaschine. Mit dieser Suchmaschine lassen sich mehrere Websites mit Stellenanzeigen anhand verschiedener Kriterien durchsuchen, ua nach der Art der Stelle und dem Arbeitsort. Die Website www.kurdabs.lv leitet die Nutzer mit Hilfe von Hyperlinks auf die Websites weiter, auf denen die gesuchten Informationen ursprünglich veröffentlicht wurden, ua auf die Website von CV-Online. Durch Klicken auf einen solchen Link kann der Nutzer ua auf die Website www.cv.lv zugreifen, um von dieser Website und ihrem vollständigen Inhalt Kenntnis zu erlangen. In der Ergebnisliste, die man bei der Nutzung der Suchmaschine von Melons erhält, werden auch die Informationen der Meta-Tags angezeigt, die CV-Online bei der Programmierung ihrer Website eingefügt hat.

CV-Online hält dies für einen Eingriff in ihr Schutzrecht sui generis nach Art 7 DatenbankRL und macht geltend, dass Melons den wesentlichen Teil des Inhalts ihrer Datenbank „entnehme“ und „weiterverwende“.

Entscheidung

Entnahme und Weiterverwendung

Unter Heranziehung seiner bisherigen Rsp präzisiert der EuGH in seinen Entscheidungsgründen zunächst Tragweite und Zweck des Schutzrechts sui generis der DatenbankRL.

Im vorliegenden Fall benutzt die Suchmaschine von Melons nicht die Suchformulare der ausgewerteten Websites und übersetzt nicht die Suchanfragen ihrer Nutzer in Echtzeit in Kriterien, die von diesen Formularen verwendet werden. Indessen indexiert sie diese Websites regelmäßig und hält eine Kopie dieser Websites auf ihren eigenen Servern vor. Mit Hilfe ihres eigenen Suchformulars ermöglicht sie es dann ihren Nutzern, Suchanfragen anhand der von ihr vorgeschlagenen Kriterien durchzuführen, wobei diese Suche in den zuvor indexierten Daten durchgeführt wird.

Damit bietet die Suchmaschine von Melons ihren Nutzern die Möglichkeit, gemäß den Kriterien, die aus der Sicht dieser Personen relevant sind, gleichzeitig in mehreren Datenbanken Recherchen durchzuführen, und stellt ihren Nutzern damit einen Zugang zum gesamten Inhalt dieser Datenbanken auf einem anderen Weg zur Verfügung als dem vom jeweiligen Hersteller vorgesehenen. Zudem richtet sich diese Verfügbarmachung an die Öffentlichkeit iSv Art 7 Abs 2 Buchst b DatenbankRL, da die Suchmaschine von Melons von jedem benutzt werden kann.

Ferner überträgt diese Suchmaschine dadurch, dass sie auf ihrem eigenen Server den Inhalt von Websites indexiert und als Kopie abspeichert, den Inhalt der Datenbanken, den diese Websites darstellen, auf einen anderen Datenträger (Art 7 Abs 2 Buchst a DatenbankRL).

Im Ausgangsfall handelt es sich daher um Maßnahmen zur Entnahme bzw zur Weiterverwendung von Datenbanken, die nach Art 7 Abs 1 DatenbankRL unter der Voraussetzung verboten sind, dass sie die Wirkung haben, dieser Person Einnahmen zu entziehen, die es ihr ermöglichen sollen, die Kosten dieser Investitionen zu amortisieren.

Bei der Bereitstellung der Hyperlinks zu den Anzeigen auf der Website von CV-Online und der Wiedergabe der Informationen in den Meta-Tags dieser Website handelt es sich dann nur um nachrangig bedeutsame äußere Erscheinungsformen dieser Entnahme und Weiterverwendung.

Interessenabwägung

Zur Frage der Eignung der inkriminierten Handlungen zur Beeinträchtigung der Investition des Datenbankerstellers verweist der EuGH ebenfalls auf seine bisherige Rsp. Danach ist ein angemessenes Gleichgewicht herzustellen zwischen dem legitimen Interesse der Hersteller von Datenbanken (Amortisation ihrer wesentlichen Investitionen) und dem Interesse der Nutzer und Wettbewerber dieser Hersteller, Zugang zu den Informationen dieser Datenbanken zu erhalten und innovative Produkte auf der Grundlage dieser Informationen zu erstellen.

Die Tätigkeiten von Aggregatoren von Internetinhalten ermöglichen es nämlich auch, das Ziel der DatenbankRL zu erreichen, einen Anreiz für die Einrichtung von Datenspeicher- und Datenverarbeitungssystemen zu geben, um zur Entwicklung des Informationsmarkts beizutragen. Die Aggregatoren tragen zur Schaffung und Verteilung von Waren und Dienstleistungen mit einem Mehrwert im Informationssektor bei. Indem sie ihren Nutzern eine vereinheitlichte Schnittstelle anbieten, die es ermöglicht, Recherchen in mehreren Datenbanken nach Kriterien durchzuführen, die im Hinblick auf ihren Inhalt relevant sind, tragen sie zu einer besseren Strukturierung der Information bei und erleichtern die Suche im Internet. Sie tragen auch zu einem reibungslosen Funktionieren des Wettbewerbs und zur Transparenz von Angeboten und Preisen bei.

Da Art 7 Abs 1 DatenbankRL das Schutzrecht sui generis den Datenbanken vorbehält, für deren Erstellung oder Betrieb eine in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investition erforderlich ist, muss somit das Hauptkriterium für die Abwägung der beteiligten legitimen Interessen die potenzielle Beeinträchtigung der wesentlichen Investition der Person sein, die die betreffende Datenbank erstellt hat, dh das Risiko, dass diese Investition nicht amortisiert werden kann. Im Ausgangsverfahren muss daher nun das vorlegende Gerichts erstens prüfen, ob die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung des Inhalts der Datenbank von CV-Online eine wesentliche Investition darstellt, und zweitens, ob die Entnahme oder Weiterverwendung ein Risiko für die Möglichkeiten darstellt, diese Investition zu amortisieren.

Ausdrücklich weist der EuGH im Übrigen auch darauf hin, dass die DatenbankRL die Wettbewerbsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten unberührt lässt (vgl Art 13 DatenbankRL).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30996 vom 07.06.2021