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EuGH: Fahrzeug-Identifizierungsnummern (FIN) – Datenschutz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

DSGVO: Art 4, Art 6

VO (EU) 2018/858: Art 3, Art 61, Anhang X

Gemäß Art 61 Abs 1 Satz 1 VO (EU) 2018/858 [über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen ...] sind die Fahrzeughersteller verpflichtet, unabhängigen Wirtschaftsakteuren uneingeschränkten, standardisierten und diskriminierungsfreien Zugang ua zu „Fahrzeugreparatur- und ‑wartungsinformationen“ iSv Art 3 Nr 48 der VO zu gewähren.

Nach Art 61 Abs 1 Satz 2 VO (EU) 2018/858 sind alle diese Angaben leicht zugänglich in Form von maschinenlesbaren und elektronisch verarbeitbaren Datensätzen darzubieten. Diese Verpflichtung gilt für alle „Reparatur- und Wartungsinformationen“ iSv Art 3 Nr 48 VO (EU) 2018/858 und nicht nur für Ersatzteilinformationen nach Anhang X Nr 6.1 VO (EU) 2018/858.

Die Fahrzeughersteller sind nicht verpflichtet, Fahrzeugreparatur- und Wartungsinformationen über eine Datenbankschnittstelle zugänglich zu machen, die eine maschinengesteuerte Abfrage und den Download der Ergebnisse ermöglicht. Sie müssen diese Informationen jedoch in Dateien bereitstellen, deren Format der unmittelbaren elektronischen Weiterverarbeitung der enthaltenen Datensätze dient.

Die Fahrzeughersteller sind iVm Art 61 Abs 4 und Anhang X Nr 6.1 Abs 3 VO (EU) 2018/858 verpflichtet, eine Datenbank einzurichten, die ermöglicht, nicht nur anhand der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), sondern auch anhand zusätzlicher Merkmale lt Anhang X Nr 6.1 Abs 3 VO (EU) 2018/858 nach allen Teilen zu suchen, mit denen das Fahrzeug vom Hersteller ausgerüstet ist.

Daten wie die FIN – die gem Art 2 Nr 2 VO (EU) 19/2011 als alphanumerischer Code definiert sind, den der Hersteller einem Fahrzeug zu dem Zweck zuweist, dass es einwandfrei identifiziert werden kann – stellen als solche keine „personenbezogenen“ Daten dar. Die FIN wird jedoch ein personenbezogenes Datum iSv Art 4 Nr 1 DSGVO der in der Zulassungsbescheinigung ausgewiesenen Person, sofern derjenige, der Zugang zur FIN hat, über Mittel verfügen könnte, die es ihm ermöglichen, die FIN zur Identifizierung des Fahrzeughalters zu nutzen. Selbst in den Fällen, in denen die FIN als personenbezogene Daten einzustufen sind, steht die DSGVO aber dem nicht entgegen, dass Fahrzeughersteller verpflichtet sind, sie unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen.

EuGH 9. 11. 2023, C-319/22, Gesamtverband Autoteile-Handel

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Anhang X Nr 2.5.1 der VO (EU) 2018/858, auf den Art 61 Abs 4 der Verordnung verweist, stellt klar, dass die Fahrzeugreparatur- und Wartungsinformationen eine „eindeutige Identifizierung des Fahrzeugs“ beinhalten. Des Weiteren muss die FIN gem Nr 6.1 Abs 4 dieses Anhangs in der Datenbank enthalten sein, die der Hersteller nach Nr 6.1 Abs 3 für die Fahrzeugteile einzurichten hat, die durch Ersatzteile ausgetauscht werden können. Diese unionsrechtlichen Bestimmungen erlegen den Fahrzeugherstellern somit eine „rechtliche Verpflichtung“ iSv Art 6 Abs 1 Buchst c DSGVO auf, unabhängigen Wirtschaftsakteuren neben anderen Daten die FIN bereitzustellen. Eine solche „rechtliche Verpflichtung“ erfüllt die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Zweck dieser Verpflichtung der Fahrzeughersteller ist nach Art 61 Abs 1 VO (EU) 2018/858, unabhängigen Wirtschaftsakteuren uneingeschränkten, standardisierten und diskriminierungsfreien Zugang ua zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen iSv Art 3 Nr 48 VO (EU) 2018/858 zu gewähren. Diese „rechtliche Verpflichtung“ der Hersteller, die FIN ihrer Fahrzeuge unabhängigen Wirtschaftsakteuren bereitzustellen, entspricht somit dem Ziel, einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Markt für Fahrzeugreparatur- und Fahrzeugwartungsinformationsdienste zu gewährleisten. Nach dem 50. Erwägungsgrund der VO (EU) 2018/858 ist ein solcher Wettbewerb für ein besseres Funktionieren des Binnenmarkts notwendig, insb für den freien Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. Das Ziel eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs liegt im öffentlichen Interesse und ist folglich legitim (vgl C-184/20, Rn 75). Die zweite Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten ist somit erfüllt.

Was schließlich die dritte Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten angeht (Art 6 Abs 3 DSGVO), wonach diese Verarbeitung „in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck“ stehen muss, genügt die Feststellung, dass nur die Suche über die FIN zur exakten Identifizierung der Daten eines bestimmten Fahrzeugs führt und die dem Gerichtshof vorliegende Akte keine andere, mildere Maßnahme der Identifizierung aufzeigt, die die Effektivität der Suche über die FIN wahrt und es zugleich ermöglicht, das oben dargelegte, im öffentlichen Interesse liegende Ziel zu verfolgen. Art 61 Abs 1 VO (EU) 2018/858 erfüllt somit die dritte Voraussetzung.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34736 vom 14.11.2023