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EuGH: Gemeinschaftsgeschmacksmuster – technisch bedingte Erscheinungsmerkmale

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 6/2002: Art 3, Art 8, Art 36

Art 3 Buchst a VO (EG) 6/2002 [über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster; GGVO) definiert ein Geschmacksmuster als „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insb aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“. Somit ist die Erscheinungsform im Rahmen der Systematik der GGVO das entscheidende Merkmal eines Geschmacksmusters.

An Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, kann gem Art 8 Abs 1 GGVO kein Gemeinschaftsgeschmacksmuster bestehen. Wie sich aus dem zehnten Erwägungsgrund der GGVO ergibt, soll diese Bestimmung verhindern, dass technologische Innovationen behindert werden. Art 8 Abs 1 GGVO schließt den Schutz durch die GGVO daher für den Fall aus, dass das Bedürfnis, eine technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses zu erfüllen, der einzige Faktor ist, der den Entwerfer dazu bewogen hat, sich für ein bestimmtes Erscheinungsmerkmal dieses Erzeugnisses zu entscheiden, während anderweitige Erwägungen – insb solche iZm der visuellen Erscheinung des Erzeugnisses – bei der Entscheidung für dieses Merkmal keine Rolle gespielt haben. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster ist für die Anwendung des Art 8 Abs 1 GGVO nicht ausschlaggebend. Das Gleiche gilt, wenn es sich um mehrere alternative Geschmacksmuster handelt, die der Inhaber des betreffenden Geschmacksmusters hat eintragen lassen.

Die Frage, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses iSd Art 8 Abs 1 GGVO ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, ist vom nationalen Gericht somit auf Grundlage tragfähiger Beweise im Hinblick auf alle objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, insb diejenigen, die die Wahl dieser Merkmale leiten, das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, durch die sich diese technische Funktion erfüllen lässt, und den Umstand, dass der Inhaber des betreffenden Geschmacksmusters auch Inhaber einer Vielzahl alternativer Geschmacksmuster ist, wobei der zuletzt genannte Umstand für die Anwendung des Art 8 Abs 1 GGVO nicht entscheidend ist.

Bei der Prüfung der Frage, ob die Erscheinungsform eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt ist, ist nicht zu berücksichtigen, dass die Gestaltung dieses Erzeugnisses eine Mehrfarbigkeit zulässt, wenn die Mehrfarbigkeit (wie hier) nicht aus der Eintragung des betreffenden Geschmacksmusters ersichtlich ist.

EuGH 2. 3. 2023, C-684/21, Papierfabriek Doetinchem

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33759 vom 08.03.2023