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EuGH: Urheberrechtsschutz – Gebrauchsgegenstand (Faltrad)

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2001/29/EG: Art 2 bis 5

Gemäß den Art 2 bis 5 der RL 2001/29/EG [zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft] sind Urheber davor geschützt, dass ihre Werke ohne ihre Zustimmung vervielfältigt, öffentlich wiedergegeben und öffentlich verbreitet werden.

Der in Art 2 bis 5 der RL 2001/29/EG vorgesehene Urheberrechtsschutz findet auf ein Erzeugnis (hier: Faltrad) Anwendung, dessen Form, zumindest teilweise, zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, wenn es sich bei diesem Erzeugnis um ein aus einer geistigen Schöpfung entspringendes Originalwerk handelt, weil der Urheber des Werkes mit der Wahl der Form des Erzeugnisses seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck bringt, indem er freie und kreative Entscheidungen trifft, so dass diese Form seine Persönlichkeit widerspiegelt. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller einschlägigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob dies der Fall ist.

EuGH 11. 6. 2020, C-833/18, Brompton Bicycle

Sachverhalt

Zu einem belgischen Vorabentscheidungsersuchen.

Brompton, eine Gesellschaft englischen Rechts, deren Gründer SI ist, vermarktet ein Faltrad, das in seiner derzeitigen Form seit dem Jahr 1987 verkauft wird (im Folgenden: Brompton-Fahrrad). Das Brompton-Fahrrad war durch ein inzwischen abgelaufenes Patent geschützt.

Merkmal des Brompton-Fahrrads ist, dass es drei unterschiedliche Positionen einnehmen kann (eine gefaltete Position, eine entfaltete Position und eine Zwischenposition, die es dem Fahrrad ermöglicht, auf dem Boden im Gleichgewicht zu bleiben).

Get2Get ihrerseits vermarktet ein Fahrrad (im Folgenden: Chedech-Fahrrad), das dem Brompton-Fahrrad sehr ähnlich sieht und ebenfalls diese drei Positionen einnehmen kann.

Strittig ist, ob die Chedech-Fahrräder das Urheberrecht von Bromtpon und die Urheberpersönlichkeitsrechte von SI verletzten.

Entscheidung

Um festzustellen, ob das betroffene Erzeugnis nach dem Urheberrecht schutzfähig ist, muss das vorlegende Gericht bestimmen, ob der Urheber des Erzeugnisses mit der Wahl von dessen Form seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, indem er freie und kreative Entscheidungen getroffen und das Erzeugnis dahin gehend gestaltet hat, dass es seine Persönlichkeit widerspiegelt.

In diesem Kontext, und da bloß die Originalität des betroffenen Erzeugnisses zu beurteilen ist, lässt die Existenz anderer möglicher Formen, mit denen das gleiche technische Ergebnis erreicht werden kann, zwar darauf schließen, dass eine Wahlmöglichkeit besteht, ist aber nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage, von welchen Faktoren sich der Schöpfer in seiner Wahl leiten hat lassen. Auch kommt es im Rahmen dieser Beurteilung nicht auf den Willen des angeblichen Rechtsverletzers an.

Das Vorhandensein eines früheren und inzwischen ausgelaufenen Patents in der Ausgangsrechtssache sowie die Wirksamkeit der Form zur Erreichung des gleichen technischen Ergebnisses wären nur dann zu berücksichtigen, wenn es möglich wäre, aufgrund dieser Aspekte die Erwägungen zu Tage zu fördern, die bei der Wahl der Form des betreffenden Erzeugnisses berücksichtigt wurden.

In jedem Fall ist es für die Beurteilung der Frage, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Faltrad eine eigenständige Schöpfung und somit urheberrechtlich geschützt ist, Aufgabe des vorlegenden Gerichts, alle einschlägigen Aspekte des Falls zu berücksichtigen, wie sie bei der Ausgestaltung dieses Gegenstands vorlagen, und zwar unabhängig von äußeren und nach der Schaffung des Erzeugnisses aufgetretenen Faktoren.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29228 vom 15.06.2020