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EuGH: Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet – Zuständigkeit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuGVVO 2012: Art 7

Als Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art 4 EuGVVO 2012 (Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Bekl seinen Wohnsitz hat) ist die besondere Zuständigkeitsregel des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 eng auszulegen (Ansprüche aus unerlaubter Handlung – Zuständigkeit vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht). Diese besondere Zuständigkeitsregel beruht darauf, dass zwischen der Streitigkeit und diesen Gerichten eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt.

Im vorliegenden Fall macht der Kl geltend, durch einen Inhalt auf einer Website in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden zu sein. Damit die Ziele der EuGVVO 2012 – Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften und Rechtssicherheit – erreicht werden können, darf die enge Verbindung nicht auf ausschließlich subjektiven Elementen beruhen, die allein mit der persönlichen Sensibilität dieser Person zusammenhängen. Die enge Verbindung muss vielmehr auf objektiven und nachprüfbaren Elementen beruhen, anhand derer sich die betreffende Person unmittelbar oder mittelbar individuell identifizieren lässt.

Auch die bloße Zugehörigkeit einer Person zu einer großen identifizierbaren Gruppe (hier: polnisches Volk) ist nicht geeignet, zur Verwirklichung der Ziele der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften und der Rechtssicherheit beizutragen. Der Mittelpunkt der Interessen der Mitglieder einer solchen Gruppe kann sich potenziell nämlich in jedem beliebigen Mitgliedstaat der Union befinden.

Macht eine Person geltend, durch einen Inhalt auf einer Website in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt worden zu sein, ist für die Entscheidung über ihre Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens das Gericht des Ortes, an dem sich der Mittelpunkt der Interessen dieser Person befindet, somit nur dann zuständig, wenn der Inhalt objektive und überprüfbare Elemente enthält, anhand derer sich die Person unmittelbar oder mittelbar individuell identifizieren lässt.

EuGH 17. 6. 2021, C-800/19, Mittelbayerischer Verlag

Zu einem polnischen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Im vorliegenden Fall bezieht sich der Inhalt auf der Website des deutschen Verlags nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts weder unmittelbar noch mittelbar in irgendeiner Weise auf den Kl, und zwar auch nicht bei der weitestmöglichen Auslegung. Der Kl hat seine Ansprüche darauf gestützt, dass er durch die Verwendung des Ausdrucks „polnisches Vernichtungslager Treblinka“ in seiner nationalen Identität und Würde verletzt worden sei; in Anbetracht seiner Zugehörigkeit zum polnischen Volk stelle die Verwendung dieses Ausdrucks einen Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte dar.

Der Kl wird in dem Inhalt auf der Website offenkundig weder unmittelbar noch mittelbar individuell identifiziert.In einem solchen Fall fehlt es an einer besonders engen Verbindung zwischen dem Gericht des Ortes, an dem sich der Mittelpunkt der Interessen des Kl befindet, und dem betreffenden Rechtsstreit, so dass dieses Gericht nicht gem Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 dafür zuständig ist, über den Rechtsstreit zu entscheiden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31059 vom 18.06.2021