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EuGH: Vorratsdatenspeicherung iZm schwerer Kriminalität

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

GRC: Art 7, 8, 11, Art 52

RL 2002/58/EG idF RL 2009/136/EG: Art 15

Art 15 Abs 1 der RL 2002/58/EG (DatenschutzRL für elektronische Kommunikation; e-Datenschutz-RL) idF RL 2009/136/EG ist im Licht der Art 7, 8 und 11 sowie von Art 52 Abs 1 GRC dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der Verkehrs- und der Standortdaten vorsehen. Die e-Datenschutz-RL beschränkt sich nämlich nicht darauf, den Zugang zu solchen Daten durch Garantien zu regeln, die Missbrauch verhindern sollen, sondern regelt insb auch den Grundsatz des Verbots der Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten.

Dagegen steht Art 15 Abs 1 e-Datenschutz-RL im Licht der Art 7, 8 und 11 sowie von Art 52 Abs 1 GRC Rechtsvorschriften nicht entgegen, die zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit

-eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen Zeitraum vorsehen, der auf das absolut Notwendige begrenzt, aber verlängerbar ist;
-eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP‑Adressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum vorsehen;
-eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der Daten betr die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel vorsehen;
-vorsehen, dass den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste durch eine Entscheidung der zuständigen Behörde aufgegeben werden kann, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern; diese Entscheidung muss einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.

Diese nationalen Rechtsvorschriften müssen durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Datenspeicherung die materiellen und prozeduralen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen.

EuGH 5. 4. 2022, C-140/20, Commissioner of the Garda Síochána ua

Zu einem irischen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Zu den weiteren Vorlagefragen hält der EuGH außerdem fest, dass der Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den gespeicherten Daten einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle zu unterwerfen ist, um in der Praxis die vollständige Einhaltung der strengen Voraussetzungen für den Zugang zu personenbezogenen Daten wie Verkehrs- und Standortdaten zu gewährleisten. Die Entscheidung des Gerichts (der unabhängigen Verwaltungsstelle) erfordert einen begründeten Antrag der Behörde.

Die Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit werden durch eine nationale Regelung nicht ausreichend erfüllt, wonach die zentralisierte Bearbeitung der Ersuchen der Polizei um Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten der Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste einem Polizeibeamten obliegt, der von einer Einheit unterstützt wird, die innerhalb der Polizei eingerichtet ist, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben über einen gewissen Grad an Autonomie verfügt und deren Entscheidungen später gerichtlich überprüft werden können.

Werden nationale Rechtsvorschriften, die den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorschreiben, wegen Unvereinbarkeit mit Art 15 Abs 1 e-Datenschutz-RL und GRC von einem nationalen Gericht für ungültig erklärt, darf dieses die Ungültigerklärung nicht zeitlich begrenzen. Eine Aufrechterhaltung der Wirkungen solcher nationaler Rechtsvorschriften würde nämlich bedeuten, dass durch diese Rechtsvorschriften den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste weiterhin Verpflichtungen auferlegt würden, die gegen das Unionsrecht verstoßen und mit schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte der Personen verbunden sind, deren Daten gespeichert wurden.

Die Zulässigkeit von Beweismitteln, die durch eine solche (unzulässige) Vorratsspeicherung erlangt wurden, unterliegt nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dem nationalen Recht, wobei ua die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten sind.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32351 vom 07.04.2022