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Grenzüberschreitendes, verschlüsseltes Satellitenprogramm-Bouquet

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 93/83/EWG: Art 1

RL 2001/29/EG: Art 3

Gem Art 1 Abs 2 lit b RL 93/83/EWG [zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung] (SatellitenRL) ist davon auszugehen, dass die „öffentliche Wiedergabe“ über Satellit nur in dem Mitgliedstaat stattfindet, in dem die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt (Sendelandprinzip). Bei kodierten programmtragenden Signale erfordert eine „öffentliche Wiedergabe“ über Satellit, dass die Mittel zur Dekodierung der Sendung durch das Sendeunternehmen selbst oder mit seiner Zustimmung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind (Art 1 Abs 2 lit c RL 93/83/EWG).

Zu den urheberrechtlichen Ansprüchen gegen einen „Satellitenbouquet-Anbieter“ (= Bekl des Ausgangsverfahrens mit Sitz in Luxemburg) richtet der OGH zwei Vorlagefragen an den EuGH. Ein „Satellitenbouquet-Anbieter“ bündelt mehrere verschlüsselte High-Definition-Signale von Free– und Pay–TV–Programmen verschiedener Sendeunternehmen nach seiner Vorstellung zu einem Paket und bietet das so geschaffene eigenständige audiovisuelle Produkt seinen Kunden entgeltlich an.

Der OGH möchte vom EuGH nun wissen, ob ein Rechteinhaber (auch) im Empfangsstaat (Österreich) Ansprüche aus konsenslosen Verwertungshandlungen gegen den Satellitenbouquet-Anbieter stellen kann. Die Rechtsauffassung, dass die Rechtsdurchsetzung dem Rechteinhaber ausschließlich im Sendestaat vorbehalten wäre, ist nach Ansicht des OGH nicht derart zwingend, dass vom Fehlen jeglichen Auslegungszweifels ausgegangen werden könnte.

Weiters stellt sich für den OGH die Frage, inwieweit den konkreten Nutzungshandlungen der bekl Bouquet-Anbieterin durch das Erreichen einer neuen Öffentlichkeit urheberrechtliche Relevanz zukommt (vgl dazu C-431/09 und C-432/09, Airfield, und C-325/14, SBS Belgium [= Rechtsnews 20730] betr Schaffung eines „neuen Publikums“). Hinsichtlich der verschlüsselten HD-Signale von Free-TV-Programmen erhalten ihre Abonnenten nämlich Zugang zu geschützten Werken, die im Sendegebiet bereits für jedermann frei nutzbar sind (wenngleich in schlechterer SD-Qualität), sodass eine neue Öffentlichkeit (über das Zielpublikum des Sendeunternehmens hinaus) gar nicht erreicht wird.

OGH 20. 4. 2021, 4 Ob 195/20k

Ausgangsfall

Kl ist hier eine österreichische Verwertungsgesellschaft mit der Befugnis zur treuhändigen Wahrnehmung von Senderechten auf dem Gebiet der Republik Österreich, die mit ausländischen Verwertungsgesellschaften Gegenseitigkeitsverträge abgeschlossen hat.

Die Bekl hat ihren Sitz in Luxemburg und bietet gegen Entgelt in Österreich Programme zahlreicher Rundfunkunternehmen in unterschiedlichen Paketen (Satellitenbouquets) über Satellit in High Definition (HD) und Standard Definition (SD) verschlüsselt an. Ihren Kunden stellt sie mit Zustimmung der Sendeunternehmen Zugangsschlüssel zur Verfügung. Die Eingabe der jeweiligen programmtragenden Satellitensignale in die Kommunikationskette (Uplink) erfolgt zum überwiegenden Teil durch die Sendeunternehmen selbst und in ihrer Verantwortung, in wenigen Fällen durch die Bekl, durchwegs jedoch nicht in Österreich, sondern in anderen EU-Mitgliedstaaten. Im Sendestream ist das gesamte Programm in HD-Qualität mitsamt allen zusätzlichen Informationen enthalten (wie Audiodaten, Untertiteldaten usw). Beim Empfang mittels SAT-Empfangsanlage wird der Stream geteilt, und die einzelnen Programme werden dem Nutzer über ein Endgerät zugänglich. Verschlüsselte Programme müssen von der Empfangsanlage decodiert werden, um genützt werden zu können. Die Sendebouquets „entstehen“ durch die Kombination der Zugangsschlüssel. Die Bouquets beinhalten sowohl Pay– als auch Free-TV-Programme. Letztere sind im Hoheitsgebiet der Republik Österreich über Satellit für jedermann in SD-Qualität zu empfangen.

Die Bekl steht auf dem Standpunkt, dass sie lediglich Infrastruktur zur Verfügung stelle – mit Zustimmung der Sendeunternehmen –, sodass das Sendelandprinzip des § 17b Abs 2 UrhG iVm Art 1 Abs 2 lit b SatellitenRL greife und die Kl daher zur Geltendmachung von Ansprüchen aus der Verwertung nicht aktiv legitimiert sei (sondern nur die Verwertungsgesellschaft im jeweiligen Uplink-Staat). Die Endnutzer entrichteten das Entgelt nicht für den Zugang zur Wiedergabe, sondern bloß für die Bereitstellung der technischen Voraussetzungen. Auf Seiten der Bekl traten dem Verfahren mehrere Sendeunternehmen als Nebenintervenientinnen bei.

Nach Ansicht der Kl ist die Bekl jedoch nicht bloß technischer Dienstleister. Sie richte ihr Angebot in Gewinnerzielungsabsicht direkt an Kunden und handle dabei im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, wähle die Fernsehprogramme aus, bündle diese zu einem neuen audiovisuellen Produkt und entscheide, in welcher Form die verschlüsselten Programme ihren eigenen zahlenden Empfängerkreis erreichen. Sie habe so ihren eigenen Kundenkreis im Empfangsland und trage die inhaltliche Verantwortung für die öffentliche Wiedergabe über Satellit iSd Art 1 Abs 2 lit a RL 93/83/EWG (SatellitenRL).

Vorabentscheidungsersuchen

1.Ist Art 1 Abs 2 lit b RL 93/83/EWG des Rates vom 27. 9. 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl L 248, S 15) dahin auszulegen, dass nicht nur das Sendeunternehmen, sondern auch ein an der unteilbaren und einheitlichen Sendehandlung mitwirkender Satellitenbouquet-Anbieter eine – allenfalls zustimmungsbedürftige – Nutzungshandlung bloß in jenem Staat setzt, in dem die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt, dies mit der Folge, dass es durch die Mitwirkung des Satellitenbouquet-Anbieters an der Sendehandlung zu keiner Verletzung von Urheberrechten im Empfangsstaat kommen kann?
2.Wenn Frage 1 verneint wird:
Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 1 Abs 2 lit a und c RL 93/83/EWG des Rates vom 27. 9. 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (ABl L 248, S 15) sowie in Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass der während einer öffentlichen Wiedergabe über Satellit als weiterer Akteur mitwirkende Satellitenbouquet-Anbieter, der mehrere verschlüsselte High-Definition-Signale von Free- und Pay-TV-Programmen verschiedener Sendeunternehmen nach seiner Vorstellung zu einem Paket bündelt und das auf diese Weise geschaffene eigenständige audiovisuelle Produkt seinen Kunden entgeltlich anbietet, eine gesonderte Erlaubnis des Inhabers der betroffenen Rechte auch hinsichtlich der geschützten Inhalte in den im Programmpaket enthaltenen Free-TV-Programmen benötigt, obwohl er seinen Kunden insoweit ohnedies bloß Zugang zu solchen Werken verschafft, die im Sendegebiet bereits für jedermann – wenngleich in schlechterer Standard-Definition-Qualität – frei zugänglich sind?
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30904 vom 18.05.2021