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Online-Filesharing – Sperrverfügung gegen Access-Provider

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2001/29/EG: Art 3

UrhG: § 18a, § 81

Das Bereitstellen und Betreiben einer BitTorrent-Plattform mit dem Zweck des Online-Filesharing unter den Nutzern dieser Plattform ist eine den Urhebern vorbehaltene „öffentliche Wiedergabe“. Auch gegen den Zugangsvermittler (Access-Provider) besteht ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch, wobei eine Interesssensabwägung vorzunehmen ist (Abwägung der Urheberrechte der Rechteinhaber und deren Recht auf wirksame Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Grundrecht der Internetnutzer, der Webseitenbetreiber und des Access Providers auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit und auf unternehmerische Freiheit). Der Anspruch gegen den Access-Provider ist gegenüber dem Anspruch gegen den unmittelbaren Rechtsverletzer nicht subsidiär.

OGH 24. 10. 2017, 4 Ob 121/17y

Ausgangslage

Kernfrage des vorliegenden Sicherungsverfahrens ist es, ob Urheberrechtsverletzungen im Internet mittels BitTorrent-Plattformen mit Sperrverfügungen gegen Zugangsvermittler (Access-Provider) betreffend derartige Webseiten unterbunden werden können. Auf BitTorrent-Plattformen selbst sind zwar keine urheberrechtlich geschützten Werke zum Abruf gespeichert, deren Dateien (Torrents) dienen aber als Wegweiser und ermöglichen es Nutzern, urheberrechtlich geschützte Werke auszutauschen und abzurufen.

Der Senat hatte das Revisionsrekursverfahren (zu 4 Ob 175/16p Rechtsnews 23591 = RdW 2017/270) bis zur Entscheidung des EuGH über ein niederländisches Vorabentscheidungsersuchen unterbrochen. Nachdem diese Entscheidung nun ergangen ist (C-610/15, Rechtsnews 23738), wurde das Verfahren nun fortgesetzt.

Entscheidung

BitTorrent-Plattform – „öffentliche“ Wiedergabe

In seinen Entscheidungsgründen hält der OGH zunächst fest, dass der Betrieb einer BitTorrent-Plattform mit dem Zweck des Online-Filesharing unter den Nutzern dieser Plattform eine den Urhebern vorbehaltene „öffentliche Wiedergabe“ ist.

Der OGH erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass es der Beurteilung eines Internet-Sachverhalts als „öffentliche Wiedergabe“ nicht entgegensteht, dass vom Handelnden selbst (hier also dem Plattformbetreiber) kein urheberrechtlich geschütztes Material abrufbar gehalten oder übertragen wird. Es genügt vielmehr das technische Erleichtern oder Fördern der Urheberrechtsverletzung, wenn – wie hier – die sonstigen entsprechenden Tatbestandselemente vorliegen und sich der Betroffene bewusst war (oder es ihm zumindest bewusst hätte sein müssen), dass er einen Beitrag zur Urheberrechtsverletzung leistet (vgl EuGH 8. 9. 2016, C-160/15, GS Media, Rechtsnews 22278).

Am Vorliegen dieser Voraussetzung kann nach Ansicht des OGH im Anlassfall kein Zweifel bestehen, haben doch die Betreiber der entsprechenden Plattformen die dort aufrufbaren „Torrents“ mit dem entsprechenden Inhalt indiziert und damit bewusst angepriesen; dieses Verhalten setzt voraus, dass sie die hinter den Torrents stehenden (geschützten) Inhalte kannten.

Sperrverfügung gegen Access-Provider

Ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch besteht aber auch gegen Vermittler (hier die Access-Provider, Antragsgegnerinnen), die einen Beitrag zu einer Rechtsverletzung im Internet leisten (vgl § 81 Abs 1a UrhG, der Art 8 Abs 3 RL 2001/29/EG [InfoRL] umsetzt).

Einer Sperrverfügung stehen im vorliegenden Fall weder das Haftungsprivileg nach ECG entgegen (die Antragsgegnerinnen wurde in einem vorprozessualen Aufforderungsschreiben über die Sachlage und deren Rechtswidrigkeit informiert) noch die VO (EU) 2015/2120 [über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet]. Regelungsgehalt der VO (EU) 2015/2120 ist es, dass eine Sperre von Webseiten einer ausdrücklichen oder ausreichenden Rechtsgrundlage bedarf (vgl Fötschl in MR-Int 2015, 99 [105]). Dies ist hier mit § 81 Abs 1a UrhG der Fall.

Nach Ansicht des OGH liegen auch die Voraussetzungen einer Sperrverfügung gegen die Zugangsvermittler vor:

Grundrechtsabwägung

Dass Sperranordnungen gem Art 8 Abs 3 InfoRL im Einklang mit den Grundrechten stehen und insb die unternehmerische Freiheit von Anbietern von Internetzugangsdiensten wahren müssen, hat der EuGH bereits in der Rs C-314/12, UPC Telekabel (= Rechtsnews 16984 = RdW 2014/196) festgehalten (zur erforderlichen Abwägung bei Kollision mehrerer Grundrechte vgl va Rz 45 f und Rz 64 der E C-314/12 bzw Rz 93 der Schlussanträge dazu).

Auch im vorliegenden Fall hat daher eine Abwägung zu erfolgen, und zwar zwischen dem als geistiges Eigentum geschützten Urheberrecht der Rechteinhaber (Art 17 Abs 2 GRC) sowie deren Recht auf wirksame Rechtsdurchsetzung (Art 47 GRC) einerseits und dem Grundrecht der Internetnutzer und Webseitenbetreiber auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Art 11 GRC) sowie dem Grundrecht der Antragsgegnerinnen auf unternehmerische Freiheit (Art 16 GRC) andererseits (vgl Nazari-Khanachayi in GRUR 2015, 115).

Außerdem hält der OGH fest, dass bei der Grundrechtsabwägung in einer Gesamtschau neben quantitativen Elementen auch qualitative Kriterien zu berücksichtigen sind, indem auch der Wesensgehalt der auf der Webseite abrufbaren legalen Informationen in die Abwägung einbezogen wird. Legalen Informationen, die exklusiv über die betreffende Webseite zur Verfügung stehen, muss im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ein stärkeres Gewicht zukommen als solchen Inhalten, die auch auf anderen Seiten im Internet abrufbar sind und somit einen Informationsbedarf der Nutzer nicht exklusiv befriedigen können.

Anscheinsbeweis

Die im Rahmen der Grundrechtsabwägung zu prüfende Tatfrage, ob die von der Sperrverfügung betroffenen Webseiten deshalb strukturell rechtsverletzend sind, weil sie zur massenweisen Vermittlung illegaler Musikvervielfältigungen beitragen, indem sie den Nutzern zur leichteren Auffindung gewünschter Musiktitel indizierte BitTorrent-Dateien zur Verfügung stellen, ist einem Anscheinsbeweis zugänglich. Der bescheinigte technische Sachverhalt ist typisch für Plattformen, die dazu beitragen, dem Nutzer eine Wiedergabe geschützter Musikwerke ohne Einwilligung der Berechtigten zu ermöglichen. Dazu kommen weiters die offensichtlich als Lockmittel eingesetzten Namen der Plattformen („thepiratebay“), die auf einen illegalen Zugang zu nicht gemeinfreien Werken hinweisen.

Den Entlastungsbeweis der konkreten Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs (Vermittlung überwiegend legaler Inhalte und exklusiver Informationen) haben die Antragsgegner bisher nicht erbracht, weshalb der OGH die Sperrverfügung des ErstG unter dem Aspekt der Grundrechtsabwägung für zulässig hält.

Keine Subsidiarität

§ 81 Abs 1a UrhG bietet keine Grundlage für eine Subsidiarität des Anspruchs gegen einen Vermittler gegenüber dem Anspruch gegen den unmittelbaren Rechtsverletzer. Die genannte Bestimmung („... kann ... auch geklagt werden“) gewährt dem Verletzten vielmehr einen direkten Anspruch, der unabhängig von einer Rechtsverfolgung des unmittelbaren Verletzers zur Verfügung steht.

Im Übrigen besagen schon die europäischen Rechtsakte (vgl Erwägungsgrund 59 InfoRL), dass der Access-Provider derjenige ist, der am effektivsten einer Urheberrechtsverletzung ein Ende setzen kann, weil er den Zugriff zum Internet bereitstellt. Dazu kommt, dass es Betreiber strukturell rechtsverletzender Webseiten gerade darauf anlegen, nicht ausgeforscht zu werden, oder ihre Leistungen aus Ländern anbieten, in denen die Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sind (im vorliegenden Fall ua Taiwan, Mikronesien, Laos und Tonga). So enthalten etwa die gegenständlichen Webseiten den ausdrücklichen Hinweis, dass eine Kontaktaufnahme aussichtslos ist, weil „Inhalte niemals entfernt werden“. Der vom ErstG erlassenen Sperrverfügung kann daher auch nicht unter dem Aspekt der Subsidiarität entgegengetreten werden, so der OGH.

Keine weiteren Bedenken des OGH

Die Anregung, einen Antrag zur Normenprüfung beim VfGH zu stellen, griff der erk Senat nicht auf, weil er die Bedenken der Bekl iZm dem Gleichheitssatz nicht teilt. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber Internet-Sperrverfügungen zwar bei Urheberrechtsverletzungen ermöglicht, in anderen Fällen (gravierenderer) Rechtsverletzungen jedoch nicht (die Antragsgegnerinnen verweisen hier etwa auf Kinderpornografie und Terrorismus), macht § 81 Abs 1a UrhG noch nicht gleichheitswidrig, weil diese Norm alle Betroffenen gleich behandelt.

Auch hat der VfGH schon wiederholt ausgesprochen, dass der Gleichheitssatz den Gesetzgeber nicht zu einem positiven Tun verpflichte und die Untätigkeit des Gesetzgebers gestützt auf dieses Grundrecht nicht bekämpft werden könne (VfSlg 3810/1960, 4150, 4277/1962). Auch darf der Gesetzgeber unterschiedliche Ordnungssysteme schaffen und ist nicht verpflichtet, verschiedene an sich ähnliche Rechtsinstitute oder Regelungsmaterien gleich zu behandeln (VfSlg 10.367/1985: grundsätzlich keine Vergleichbarkeit zwischen zivilgerichtlichem und verwaltungsgerichtlichem Verfahrensrecht); dies muss auch für das Verhältnis von Zwangsmaßnahmen zur Abstellung von zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Rechtsverletzungen gelten.

Auch eine neuerliche Befassung des EuGH erschien dem OGH nicht erforderlich, weil dieser mit seinen bisherigen Entscheidungen ausreichende Klarheit geschaffen hat, um die hier anstehenden Rechtsfragen des Unionsrechts zu lösen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24504 vom 16.11.2017