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Online-Videorecorder – Privatkopien, öffentliche Wiedergabe?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2001/29/EG: Art 3, Art 5

UrhG: § 42

Die Bekl bietet ua eine „On Premises IPTV-Komplettlösung“ an, bei der sie neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV-Programmen über das Internet – inkl Online-Videorecorder – auch technischen Support leistet und laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden betrieben wird. Für den OGH stellen sich in diesem Verfahren mehrere Fragen iZm der RL 2001/29/EG (MultimediaRL; InfoSocRL; UrheberrechtsRL).

Hinsichtlich des Online-Videorecorders neigt der OGH zur Ansicht, dass die damit vorgenommenen Vervielfältigungen geschützter Inhalte nicht unter die Privatkopieausnahme des § 42 Abs 4 UrhG fallen. Da jedoch nicht vom einem „acte clair“ auszugehen ist, hat der OGH in diesem Zusammenhang ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt.

Zu prüfen ist weiters die Frage, ob die Bekl im Rahmen der On-Premises-Komplettlösung selbst eine öffentlichen Wiedergabe von geschützten Sendungsinhalten iSd Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG zu verantworten hat. Nach Auffassung des OGH bedarf es in diesem Zusammenhang noch einer Klarstellung, insb in Ansehung der Frage, welche subjektiven Tatbestandsmerkmale beim Bereitstellenden der maßgeblichen Einrichtungen vorliegen müssen, damit von dessen „zentraler Rolle“ bei der Übertragung ausgegangen werden kann.

OGH 27. 5. 2021, 4 Ob 40/21t

Vorlagefragen

1.Ist eine nationale Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar, die auf Grundlage des Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) den Betrieb eines von einem kommerziellen Anbieter bereitgestellten Online-Videorecorders erlaubt, der
a.aufgrund des technisch angewandten De-Duplizierungsverfahrens nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vornimmt, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen;
b.eine Replay-Funktion hat, in deren Rahmen das gesamte Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr aufgenommen und über sieben Tage hinweg zum Abruf bereitgestellt wird, soweit der Nutzer einmalig im Menü des Online-Videorecorders bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens eine entsprechende Auswahl trifft; und
c.dem Nutzer (entweder eingebettet in einen Cloud-Dienst des Anbieters oder im Rahmen der vom Anbieter bereitgestellten on premises IPTV-Komplettlösung) auch Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber vermittelt?
2.Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl L 167, S 10) dahin auszulegen, dass diese von einem kommerziellen Anbieter einer (on premises) IPTV-Komplettlösung vorgenommen wird, in deren Rahmen er neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV-Programmen über das Internet auch technischen Support leistet sowie laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden betrieben wird, wenn der Dienst dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber zugestimmt haben, sondern auch auf solche geschützten Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und der Anbieter
a.Einfluss darauf nehmen kann, welche TV-Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können,
b.weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, allerdings
c.nicht mit dieser Möglichkeit zur unerlaubten Nutzung seines Dienstes wirbt und dadurch einen wesentlichen Anreiz zum Erwerb des Produkts schafft, sondern vielmehr seine Kunden bei Vertragsabschluss hinweist, dass sie sich eigenverantwortlich um die Rechteeinräumung kümmern müssen, und
d.durch seine Tätigkeit keinen speziellen Zugang zu Sendungsinhalten schafft, die ohne sein Zutun nicht oder nur schwer empfangen werden könnten?

Zur 1. Frage:

Sich auf die Privilegierung des Privatgebrauchs zu berufen, kann wohl jedenfalls Betreibern von Online-Videorecordern nicht zugebilligt werden, die im Rahmen ihres Geschäftsmodells den technischen Vorgang der Vervielfältigung (hier: im Rahmen der Replay-Funktion) in einer Intensität betreiben, dass sie letztlich in der praktischen Auswirkung eine solche Menge an Sendeinhalten vorhalten, dass sie sich dem Angebot einer Online-Mediathek bzw eines Streaming-Portals zumindest annähern; bei wertender Gesamtschau geht eine solche Dienstleistung doch sehr wohl über jene eines Speicherplatzanbieters hinaus. Auf die formale Frage, wer den (Dauer-)Kopiervorgang initiiert, kann es demnach schon deshalb nicht ankommen, weil sich sonst durch geschickte Vertragsgestaltung oder auch Gestaltung der im Hintergrund ablaufenden technischen Vorgänge Umgehungsmöglichkeiten ergäben.

Nimmt man weiters darauf Bedacht, dass sich die Bekl im vorliegenden Fall im Rahmen der angebotenen Komplettlösungen nicht auf die Organisation der Vervielfältigung beschränkt, sondern Nutzern darüber hinaus Zugang zu geschützten Sendungsinhalten der Kl ohne deren Zustimmung vermittelt, scheitert die Anwendung der Privatkopieausnahme überdies – jedenfalls in Bezug auf den Cloud-Dienst der Bekl – schon am Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe iSd Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG.

Die hier aufgeworfene Auslegungsfrage zur Reichweite des Art 5 Abs 2 lit b RL2001/29/EG ist allerdings aus Sicht des OGH nicht so eindeutig zu beantworten, dass von einem Fehlen von Auslegungszweifeln („acte clair“) auszugehen wäre.

Zur 2. Frage:

Mit ihrer IPTV-Komplettlösung bietet die Bekl kein Produkt an, das geradezu auf den Eingriff in Werknutzungsrechte ausgerichtet ist, indem es einen speziellen Zugang zu geschützten Werken verschaffte, die sonst nur schwer empfangen werden könnten. Im vorliegenden Fall ist eine unmittelbare öffentliche Wiedergabe geschützter Werke seitens der Bekl im Rahmen ihrer On-Premises-Lösung nach Rechtsansicht des OGH daher zu verneinen, wenn man ein zielgerichtetes Tätigwerden des Anbieters als entscheidendes Kriterium für die Bejahung einer „zentralen Rolle“ bei der Übertragung voraussetzt (dh dass die Bereitstellung der Einrichtungen gerade auf den Eingriff in geschützte Werke abzielen muss).

Dieses Verständnis ist allerdings nicht zwingend und kontrastiert auch mit den Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen vom 16. 7. 2020 zu C-682/18 und C-683/18, Rn 110 ff (Anm d Red: Die Vorabentscheidung dazu ist bereits ergangen – siehe Rechtsnews 31095). Danach soll das „wissentliche Erleichtern“ der rechtswidrigen Handlungen Dritter ausreichen, ohne dass neben dieser kognitiven Komponente des Vorsatzes noch auf ein zusätzliches voluntatives Element abzustellen wäre, also auf eine – speziell gesteigerte – Wollenskomponente. In diesem Fall hätte die Bekl (ausgehend von den Sachverhaltsannahmen des vorliegenden Falls) eine öffentliche Wiedergabe iSd Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG zu verantworten.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31215 vom 21.07.2021