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(Un-)Zulässigkeit des „Ibiza-Videos“ – Recht auf Privatsphäre, Meinungsäußerungsfreiheit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

ABGB: § 16

DSG: § 12

EMRK: Art 8, Art 10

StGB: § 120

UrhG: § 78

Im sogenannten „Ibiza-Video“ sind zwei österreichische (Ex-)Politiker im Gespräch mit einer vermeintlichen reichen Nichte eines „russischen Oligarchen“, in Wahrheit einer Schauspielerin, zu sehen. Der Kl ist einer der beiden Politiker. Der Bekl ließ das Gespräch heimlich filmen, um die Aufnahmen zu verkaufen. Zwei Medienunternehmen haben die Aufnahmen bekommen und in Ausschnitten veröffentlicht.

Nach Rechtsansicht des Senats ist die Rechtswidrigkeit der Eingriffe in die Privatsphäre des Kl einerseits durch die Herstellung der Videoaufnahme, andererseits durch ihre Weitergabe, gesondert zu beurteilen:

Im vorliegenden Fall (Sicherungsverfahren) schlägt die Interessenabwägung zwischen dem Recht des Kl auf Achtung seiner Persönlichkeit und dem Recht des Bekl auf freie Meinungsäußerung hinsichtlich der Herstellung der Ton- und Bildaufnahmen zugunsten des Kl aus. Es ist bescheinigt, dass der Bekl durch vorsätzliche Täuschung über die Identität und die Absichten der Gesprächspartnerin – der vermeintlichen reichen Ausländerin – überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schuf, dass das Gespräch zustande kam, in dem ua über verdeckte Parteienfinanzierung und die im Gegenzug mögliche Einflussnahme auf die Vergabe öffentlicher Aufträge gesprochen wurde. Der Bekl kann sich nicht darauf stützen, mit der Veranlassung der heimlichen Videoaufnahme das Motiv verfolgt zu haben, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen. Auszugehen ist vielmehr von dem im vorliegenden Sicherungsverfahren bescheinigten Sachverhalt, wonach er die Aufnahme veranlasste, um das Video gewinnbringend zu verkaufen. Mit der bloßen Weitergabe gegen Entgelt, allenfalls an einen sehr eingeschränkten Personenkreis, ist aber noch kein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse verbunden. Daraus ergibt sich kein von Art 10 EMRK geschütztes Interesse des Bekl, das höher zu bewerten wäre als das Interesse des Kl, während eines nicht in der Öffentlichkeit geführten Gesprächs nicht heimlich in Bild und Ton aufgenommen und nicht über die Identität seiner Gesprächspartner getäuscht zu werden.

Hinsichtlich der Überlassung der Aufnahmen an zwei Medienunternehmen und der dadurch ermöglichten Veröffentlichung kann sich der Bekl aber – anders als hinsichtlich der Herstellung der Aufnahmen – zur Rechtfertigung des dadurch bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Kl auf die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit stützen, weil die hier zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. Denn durch die Weitergabe des Videos an zwei Medienunternehmen und die dadurch ermöglichte Veröffentlichung wird die Öffentlichkeit in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild über die persönliche Integrität (ua) des Kl zu machen und daraus Schlüsse auf seine Eignung zur Ausübung hoher politischer Ämter zu ziehen.

OGH 23. 1. 2020, 6 Ob 236/19b

Entscheidung

Die Veröffentlichung der Ton- und Bildaufnahme erweist sich auch als das gelindeste Mittel zur Zweckerreichung. Die Rückschlüsse auf die Eignung (ua) des Kl zur Bekleidung hoher öffentlicher Ämter ergeben sich nämlich im vorliegenden Fall nicht nur aus dem Inhalt des Gesprächs, sondern auch aus den äußeren Gegebenheiten, die nur durch Anschauen der Aufnahme, nicht aber durch ein Transkript des Gesprächs erfassbar sind.

Inhalt des Gesprächs waren ua verdeckte Parteispenden, eine Beteiligung an der „Kronen-Zeitung“, das Angebot von Staatsaufträgen für den Fall einer Regierungsbeteiligung der FPÖ, die Privatisierung der österreichischen Wasserversorgung, die Kontrolle der österreichischen Medienlandschaft und die Privatisierung des ORF (vgl die Zusammenfassung des Gesprächsinhalts im Bericht der Wiener Zeitung vom 22. 5. 2019, Beilage ./D, die der Kl zum Bestandteil seines Unterlassungsbegehrens erhebt).

Es ist von Bedeutung, dass derartige Themen, die ua Dispositionen der öffentlichen Hand betreffen, nicht im Rahmen eines geschäftlich ausgestalteten Arbeitstreffens, sondern an einem Urlaubsort bei reichlich Alkoholkonsum diskutiert wurden. Gerade dieses Umfeld und die Art der Diskussion ermöglichen die Beurteilung der Integrität und des Verantwortungsbewusstseins des (ua) Kl als Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter.

Die Veröffentlichung der Videoaufnahme leistete einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse. Dieser Beitrag ist im vorliegenden Fall höher zu gewichten als das Interesse des Kl an der Wahrung der Vertraulichkeit des stattgefundenen Gesprächs.

Die dargestellte Interessenabwägung ist nicht nur hinsichtlich des aus § 16 ABGB abgeleiteten Persönlichkeitsrechts des Kl an seinem gesprochenen Wort und am eigenen Bild vorzunehmen, sondern auch im Hinblick auf das Verbot des § 120 Abs 2 StGB und des § 12 Abs 5 DSG.

Das Verbot des § 120 Abs 2 StGB vermag nicht das – im Verfassungsrang verankerte – Recht auf freie Meinungsäußerung gem Art 10 EMRK abzubedingen, sondern es sind die Garantien des Art 10 EMRK bei der Beurteilung nach § 120 Abs 2 StGB zu beachten.

Auch der Konflikt des Grundrechts des Kl auf Datenschutz mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen, bei der die dargelegten Wertungen maßgeblich sind. Auch im Hinblick auf § 12 Abs 5 DSG schlägt die Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen hinsichtlich der hier zu beurteilenden Datenweitergabe (Weitergabe der Bild- und Tonaufnahme an zwei Medienunternehmen) daher zugunsten des Bekl aus.

Klarzustellen ist, dass dem Senat nur jene Teile der Aufnahme von wenigen Minuten Dauer bekannt sind, die allgemein zugänglich veröffentlicht wurden. Eine sich allenfalls aus der Weitergabe der übrigen Teile der Aufnahme ergebende Rechtswidrigkeit kann – mangels Kenntnis der übrigen Teile der Aufnahme – nicht erkannt werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28766 vom 10.03.2020