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Im Verwaltungsstrafrecht wird die Fahrlässigkeit bei Ungehorsamsdelikten widerleglich vermutet. Seit 1. 1. 2019 gilt diese Vermutung nicht, wenn die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von über 50.000 € bedroht ist. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich zunächst allgemein mit der Bedeutung der Fahrlässigkeitsvermutung des Verwaltungsstrafrechts, insb auch für Verwaltungsübertretungen im Umfeld juristischer Personen oder eingetragener Personengesellschaften. In der Folge werden die am 1. 1. 2019 in Kraft getretenen Änderungen dargestellt. Es wird der Frage nachgegangen, ob die Differenzierung zwischen "leichten" und "schweren" Verwaltungsübertretungen zulässig ist. Zudem wird untersucht, welche Auswirkungen die Änderungen auf die Ausgestaltung eines wirksamen Kontrollsystems haben.
Im Verwaltungsstrafrecht genügt - wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt - zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten (§ 5 Abs 1 Satz 1 VStG).1 Bei den sogenannten Ungehorsamsdelikten wird Fahrlässigkeit widerleglich vermutet.2 Ein Ungehorsamsdelikt liegt vor, wenn zum
Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört, sondern wenn es sich um reine Handlungsdelikte oder schlichte Unterlassungsdelikte handelt.3 Macht der Täter nicht glaubhaft, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft, ist die Fahrlässigkeit ohne Weiteres anzunehmen (vgl § 5 Abs 1 Satz 2 VStG). Seit 1. 1. 2019 sieht § 5 Abs 1a VStG eine Ausnahme davon vor, die in Punkt 3. näher dargestellt wird.
Die Verteilung der Beweislast gestaltet sich bei Ungehorsamsdelikten somit wie folgt: Die Behörde trifft lediglich die Beweislast hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Die Schuld (in Form der Fahrlässigkeit) wird bis zur Glaubhaftmachung des Gegenteils durch den Täter widerleglich vermutet.4 Für die Glaubhaftmachung genügt die Herbeiführung eines Urteils über die Wahrscheinlichkeit einer Tatsache. Ein Entlastungsbeweis durch den Beschuldigten im Sinne einer Herbeiführung eines behördlichen Urteils über die Gewissheit des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache ist nicht erforderlich.5 Zur Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens genügt es nicht, wenn der Beschuldigte unsubstanziierte allgemeine Behauptungen aufstellt.6 Er muss initiativ alles darlegen, was für seine Entlastung spricht.7 Das unterbreitete Tatsachenvorbringen muss aber nicht bis ins letzte Detail vollständig sein. Es ist nicht erforderlich, dass eine Erörterung der Beweislage mit dem Täter entbehrlich sein muss.8
Bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die die Behörde am Verschulden des Beschuldigten zweifeln lassen, ist hingegen auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären. Die Behörde hat von sich aus Umstände zu berücksichtigen, von denen sie etwa bereits bei der Ermittlung des äußeren Tatbestandes Kenntnis erlangt hat.9
Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit bei juristischen Personen oder eingetragenen Personengesellschaften ist in § 9 VStG geregelt. Sofern die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte bestellt sind, ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist (§ 9 Abs 1 VStG).10 Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit kann durch Bestellung an "verantwortliche Beauftragte" übertragen werden (§ 9 Abs 2-5 VStG). Die Strafbarkeit der verantwortlichen Person entsteht allerdings nur im Rahmen eigenen Verschuldens. Bei Ungehorsamsdelikten hat sie daher iSd § 5 Abs 1 VStG von sich aus glaubhaft zu machen, dass sie an der Verletzung der Verwaltungsvorschriften kein Verschulden trifft.11
Kommt es daher in einem Unternehmen zu einem Rechtsverstoß, hat der verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche grundsätzlich dafür einzustehen, soweit er nicht durch geeignete Maßnahmen entsprechende Vorsorge zur Vermeidung solcher Rechtswidrigkeiten getroffen hat. Als geeignete Maßnahme kommt die Einrichtung und Effektuierung eines Kontrollsystems in Betracht.12
Ein wirksames Kontrollsystem liegt nach der Rechtsprechung des VwGH vor, "wenn dadurch die Überwachung der Einhaltung von Rechtsnormen [...] jederzeit sichergestellt werden kann. Zur Einrichtung von Kontrollsystemen ist es für die Befreiung von der Verantwortlichkeit (zusammengefasst) entscheidend, ob Maßnahmen getroffen wurden, die im Ergebnis mit gutem Grund erwarten lassen, dass die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften gewährleistet ist".13 Ob ein Kontrollsystem so ausgestaltet ist, dass es diesen Anforderungen gerecht und als wirksam angesehen werden kann, prüft der VwGH im Einzelfall.14 In der Lehre werden die Anforderungen des VwGH an ein wirksames Kontrollsystem als sehr streng, teilweise als überzogen streng empfunden.15 Diese Analyse der Lehre entspricht dem Empfinden in der Praxis. Entscheidungen des VwGH, in denen Straffreiheit wegen Vorliegens eines wirksamen Kontrollsystems angenommen wurde, können an einer Hand abgezählt werden.16
Zum Ausschluss der Strafbarkeit genügt nämlich nicht allein die Einrichtung eines Kontrollsystems. Der Beschuldigte hat auch dessen Bestehen im Rahmen seiner sich aus § 5 Abs 1 Satz 2 VStG ergebenden Obliegenheitspflicht zur Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens aus Eigenem vorzubringen und aufzuzeigen, wie das Kontrollsystem konkret funktioniert.17 Er hat aufzuzeigen, "welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen ver-
pflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter den maßgebenden Vorschriften auch tatsächlich entspricht und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren eines Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, d.h. insbesondere durchzusetzen bzw. sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung der Vorschriften sowie die einschlägigen Schulungen auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchieebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden" 18 Zudem muss der Beschuldigte darlegen und glaubhaft machen, wie es trotz Einrichtung des Kontrollsystems zur Verwaltungsübertretung kommen konnte.19
Diese strengen Anforderungen an die Ausgestaltung des wirksamen Kontrollsystems und an das Vorbringen des Beschuldigten machen es für einen gem § 9 VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten nahezu unmöglich, die Fahrlässigkeitsvermutung zu widerlegen und so der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entkommen.
Seit 1. 1. 201920 wird § 5 VStG um einen neuen Abs 1a ergänzt. Demnach soll die widerlegliche gesetzliche Vermutung der Fahrlässigkeit bei Ungehorsamsdelikten nicht gelten, "wenn die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von über 50 000 Euro bedroht ist" Bei Ungehorsamsdelikten, die mit einer Geldstrafe von über 50.000 € bedroht sind, hat die Behörde daher - wie schon jetzt bei Erfolgsdelikten - neben der Erfüllung des objektiven Tatbestands auch das Verschulden nachzuweisen.
Nach den Erläuternden Bemerkungen erreicht eine Tat, die mit einer Geldstrafe von über 50.000 € bedroht ist, "eine Gravität, bei der ein Verschulden nicht ohne weiteres anzunehmen ist" 21 Diese Begründung erscheint nicht nur fragwürdig, sie lässt sich auch logisch nicht ableiten. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb bei schweren Verwaltungsübertretungen aufgrund der "Gravität ... nicht ohne weiteres" vom gleichen Fehlverhalten auszugehen ist wie bei leichten Verwaltungsübertretungen. Auch bleibt unklar, warum die Grenze zwischen leichten und schweren Übertretungen genau bei 50.000 € gezogen wurde. Auch Geldstrafen von zB 20.000 € lassen angesichts des Jahresdurchschnittseinkommens in Österreich nicht unbedingt auf eine geringfügige Übertretung schließen. Umgekehrt ist in den Erläuterungen nicht ausreichend dargestellt, warum gerade von der Gravität her schwerere Vergehen privilegiert behandelt werden.22 So verwundert es nicht, dass bereits im Begutachtungsverfahren zur Novelle des VStG kritische Stellungnahmen erstattet wurden. Kritisiert wurden insb fehlende Erläuterungen zur Wahl des Betrags von 50.000 €,23 der aufgrund der hohen Schwelle von 50.000 € restriktive Anwendungsbereich24 sowie eine mangelnde Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen.25
Das durch die Einfügung des § 5 Abs 1a VStG zurück ins Bewusstsein der Verwaltungsjuristen gerufene Problem ist aber tiefgreifender als die Frage nach der Sachlichkeit der 50.000€-Grenze und der Differenzierung anhand der angedrohten Geldstrafe. Grund für die Einfügung der Bestimmung ist letztlich die oben beschriebene restriktive Judikatur des VwGH zur Fahrlässigkeitsvermutung des § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG. Die Bestimmung und ihre Auslegung stoßen in der Literatur auf verfassungsrechtliche Bedenken, insb im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.26 Die Unschuldsvermutung ist zum einen in Art 6 Abs 2 EMRK normiert: "Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist." Auf unionsrechtlicher Ebene normiert Art 48 Abs 1 EuGRC die Unschuldsvermutung.27 Daraus folgt, dass die Beweislast grundsätzlich bei der Anklage liegt, es also Sache der Anklage ist, Beweise für die Schuld des Angeklagten zu liefern, und nicht Angeklagte Beweise für die eigene Unschuld zu liefern haben.28 Gleiches ergibt sich aus der RL (EU) 2016/343,29
die Mindestvorschriften für bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung in Strafverfahren enthält (Art 1 lit a leg cit) und in Art 6 leg cit30 dem Wortlaut nach gesetzliche Schuldvermutungen ausschließt.31
Dennoch sind gesetzliche Rechts- und Tatsachenvermutungen nicht an sich unzulässig. Nach dem EGMR richtet sich die Zulässigkeit solcher Vermutungen nach dem Gewicht der drohenden Strafsanktion und dem Ausmaß, in dem die Verteidigungsrechte gewahrt bleiben.32 Nach dem EuGH liegt nicht zwingend ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor, sofern diese Schuldvermutung widerlegbar ist und die Verteidigungsrechte gewahrt sind.33 Im Einklang mit dieser Rechtsprechung fordert auch der 22. ErwGr der RL (EU) 2016/343 für Tatsachen- oder Rechtsvermutungen die Beschränkung auf ein vertretbares Maß unter Berücksichtigung der Bedeutung der betroffenen Belange, ein angemessenes Verhältnis der eingesetzten Mittel zu dem angestrebten legitimen Ziel, die Widerlegbarkeit der Vermutungen sowie die Wahrung der Verteidigungsrechte.34
Die EKMR35 und der VfGH36 hatten sich bereits mit der Fahrlässigkeitsvermutung des § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG auseinanderzusetzen. Sie erkannten darin keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Der VfGH zog bei seiner Prüfung in Betracht, dass die Behörde bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die am Verschulden des Beschuldigten zweifeln lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären hat. Eine solche Regelung sei nicht von vornherein durch Art 6 Abs 2 EMRK ausgeschlossen. Erst in der konkreten Handhabung, bei der nur im Einzelfall zu beantwortenden Frage, welche Zweifel Anlass für amtswegige Ermittlungen geben müssen und welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Beschuldigten zu stellen sind, könne es zu einer Verletzung des Art 6 Abs 2 EMRK kommen.37
In Anbetracht der Rechtsprechung des EGMR und der Erwägungen zur RL (EU) 2016/343, wonach bei Rechts- und Tatsachenvermutungen ein angemessenes Verhältnis zwischen der drohenden Sanktion und dem Ausmaß, in dem die Verteidigungsrechte gewahrt werden, sicherzustellen ist, scheint die Einführung einer Differenzierung nach der Strafhöhe geradezu notwendig.38 Je geringer die mit einer Verurteilung verbundenen Folgen sind, desto eher kann die Unschuldsvermutung durch (widerlegbare) gesetzliche Schuldvermutungen beschränkt werden. Würde sich die Behörde bei allen Verwaltungsübertretungen umfassend mit der Schuld auseinandersetzen müssen, würde dies das Funktionieren der Strafgewalt erheblich einschränken. Dieser Gedanke lag auch der Einführung der Fahrlässigkeitsvermutung zugrunde: "Wenn die Behörde in jedem Fall erst untersuchen müßte, ob der Kutscher, der die Bestimmungen der Straßenpolizeiordnung nicht eingehalten hat, oder der Hundebesitzer, dessen Hund ohne Maulkorb auf der Straße gelaufen ist, oder der Gewerbeinhaber, der eine ihm obliegende Anzeige unterlassen hat, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben, und erst dann strafen dürfte, wenn ihr der Nachweis gelingt, daß ein solches Verschulden vorliegt, so würde dies eine Lahmlegung der politischen Strafgewalt bedeuten."39 Die Beschränkung der Unschuldsvermutung dient damit dem legitimen Zweck einer funktionierenden Strafgewalt. Umso höher jedoch die angedrohte Strafe ist, desto eher schlägt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Unschuldsvermutung und damit gegen gesetzliche Schuldvermutungen bei Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale aus.
Die Einführung der Ausnahmebestimmung des § 5 Abs 1a VStG und die damit verbundene Differenzierung zwischen "leichten" und "schweren" Verwaltungsübertretungen ist daher grundsätzlich sachlich begründet, in Anbetracht der oben zitierten Judikatur zur Unschuldsvermutung sogar geradezu geboten.
Allerdings sollte eine weitere Differenzierung zwischen Verwaltungsübertretungen natürlicher und juristischer Personen dahin gehend getroffen werden, dass die Fahrlässigkeitsvermutung bei natürlichen Personen bereits bei einer deutlich geringeren Strafdrohung, aber auch im Falle der Normierung sonstiger existenzbedrohender Folgen bei Mehrfachbestrafungen40 entfällt. Natürliche Personen trifft eine Geldstrafe in der Höhe von 50.000 € und mehr in aller Regel existenziell.
Auch wenn also die von der Strafhöhe abhängige Differenzierung grundsätzlich zulässig erscheint, kann sie in Wiederholungsfällen zu paradoxen Ergebnissen führen. Einige Materiengesetze sehen für Verwaltungsübertretungen unterschiedliche Strafdrohungen vor, je nachdem, ob die Verwaltungsübertretung erstmalig oder wiederholt begangen wurde. So stellt zB § 90 Abs 1 Z 1 iVm § 5 Abs 1 Z 1 LMSVG das Inverkehrbringen von für den menschlichen Verzehr ungeeigneten Lebensmitteln unter Strafe. Die Tat ist mit einer Geldstrafe bis zu 50.000 € bedroht. Im Wiederholungsfall liegt die Strafdrohung bei bis zu 100.000 €. Daraus folgt, dass bei erstmaliger Verwaltungsübertretung fahrläs-
siges Handeln vermutet wird und der Täter glaubhaft zu machen hat, dass ihn an der Tat kein Verschulden trifft. Im Wiederholungsfall liegt es jedoch an der Behörde, sich mit dem Vorliegen der Fahrlässigkeit auseinanderzusetzen und diese zu beweisen. Dabei würde es logischer erscheinen, gerade bei einem wiederholten Verstoß gegen das LMSVG ein fahrlässiges Verhalten zu vermuten. Wenn der Täter bereits eine Verwaltungsübertretung begangen hat, indiziert ein wiederholter Verstoß die Fahrlässigkeit in einem größeren Maße, als dies bei einem erstmaligen Verstoß der Fall ist.41
Einer näheren Untersuchung bedürfen die Ausführungen zu den Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem in den Erläuternden Bemerkungen. In den Erläuterungen zu § 5 Abs 1a VStG wird auf die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit der zur Vertretung nach außen berufenen Personen nach § 9 Abs 1 VStG verwiesen und ausgeführt, dass die Anforderungen des VwGH an die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems laut (wohl zutreffender) Ansicht der hL sehr streng seien. In der Folge wird erläutert: " In Abkehr von dieser Rechtsprechung soll ein Verschulden nicht anzunehmen sein, wenn der Verantwortliche nachweist, dass er eine qualitätsgesicherte Organisation eingerichtet und geführt hat, die durch externe Prüfung oder durch interne Überwachung (zB durch Betrauung geeigneter Mitarbeiter mit Kontrollaufgaben, fortlaufende Schulungen, den Einsatz automatisierter Überwachungsinstrumente etc.) regelmäßig kontrolliert wird."42
Es scheint, als wollte der Gesetzgeber die Anforderungen, welche an ein wirksames Kontrollsystem zu stellen sind, senken.43 In diesem Sinne folgen Ausführungen darüber, wann die Strafbarkeit als verantwortliches Organ gem § 9 Abs 1 VStG ausgeschlossen sein soll.44 Diese in den Erläuterungen angesprochenen gewünschten Auswirkungen des neu geschaffenen § 5 Abs 1a VStG auf die Rechtsprechung der Strafbehörden, der Verwaltungsgerichte und des VwGH zu wirksamen Kontrollsystemen erscheinen alles andere als zwingend.45 Die Klarstellungen zum wirksamen Kontrollsystem sollen offenbar dann Beachtung finden, wenn aufgrund des Entfalls der gesetzlichen Vermutung die Verwaltungsbehörde die Fahrlässigkeit nachzuweisen hat. Damit würde (nur) bei Verwaltungsübertretungen, die mit einer Strafe von über 50.000 € bedroht sind, eine großzügigere Berufung auf ein Kontrollsystem ermöglicht werden.46 Eine derartige Differenzierung in den Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem zwischen kleineren und mittleren Verwaltungsübertretungen einerseits und schweren Verwaltungsübertretungen andererseits kann § 5 Abs 1a VStG aber nicht entnommen werden. Und die Annahme, dass ein und dasselbe Kontrollsystem bei geringen Strafen unzureichend und bei hohen Strafen geeignet ist, wäre darüber hinaus verfassungsrechtlich bedenklich. Wollte der Gesetzgeber mit diesen Ausführungen hingegen generell, unabhängig von der Höhe der Strafdrohung, die Anforderungen an ein wirksames Kontrollsystem lockern, scheinen die Erläuterungen zum Entfall der Fahrlässigkeitsvermutung nicht der geeignete Ort dafür zu sein. Um eine, wie ausgeführt, wünschenswerte Abkehr der Gerichte von ihrer strengen Rechtsprechung zum wirksamen Kontrollsystem zu bewirken, wäre eine gesetzliche Definition des wirksamen, strafbefreienden Kontrollsystems sinnvoll gewesen.47
Gem § 5 Abs 1 zweiter Satz VStG wird das Vorliegen von Fahrlässigkeit bei Ungehorsamsdelikten (widerlegbar) vermutet. Diese Vermutung der Schuld gilt nach dem neuen § 5 Abs 1a VStG nicht, wenn die Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von über 50.000 € bedroht ist. Bei Ungehorsamsdelikten, die mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 € bedroht sind, obliegt es weiterhin dem Beschuldigten, das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft zu machen. Bei Verwaltungsübertretungen, die mit einer Geldstrafe von über 50.000 € bedroht sind, obliegt der Beweis der Fahrlässigkeit der Behörde.
Die Differenzierung anhand der Strafdrohung scheint auf den ersten Blick zwar verfassungsrechtlich hinterfragenswert. Die gesetzliche Vermutung der Fahrlässigkeit beschränkt aber die Unschuldsvermutung. Die Zulässigkeit dieser Beschränkung ist unter Berücksichtigung des Gewichts der drohenden Strafe zu beurteilen. Daher ist eine unterschiedliche Verteilung der Beweislast je nach Höhe der drohenden Strafe sachgerecht.
Bei Ungehorsamsdelikten, die mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 € bedroht sind, hat sich die Behörde ab 1. 1. 2019 von Amts wegen mit dem (Nicht-)Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems auseinanderzusetzen. Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Ausgestaltung eines wirksamen Kon-
trollsystems. In den Erläuternden Bemerkungen zu § 5 Abs 1a VStG versucht der Gesetzgeber diese Anforderungen zu senken. Es ist fraglich, ob allein diese Ausführungen in den Erläuterungen, ohne Änderung oder Einführung einer unmittelbar damit zusammenhängenden Regelung, zu einer Änderung der Rechtsprechung führen werden.
Dagegen fordert das Kriminalstrafrecht in § 7 Abs 1 StGB grundsätzlich Vorsatz und stellt fahrlässiges Handeln nur unter Strafe, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist (vgl Huber in Leukauf/Steininger, StGB4 [2017] § 7 Rz 1; Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] § 5 Rz 3); für die Definition der Fahrlässigkeit kann auf § 6 StGB zurückgegriffen werden (VwGH 30. 5. 1994, 92/10/0106; 28. 5. 2008, 2008/09/0117).
Bei Erfolgsdelikten gilt die Fahrlässigkeitsvermutung im Gegensatz zu Ungehorsamsdelikten nicht, sodass die Behörde dem Täter nicht nur die Erfüllung des objektiven Tatbestands, sondern auch das Verschulden nachzuweisen hat (VwGH 26. 9. 1990, 89/10/0224).
Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 5 Rz 6.
VwGH 27. 3. 1990, 89/04/0226; 20. 3. 2018, Ra 2017/03/0092.
VwGH 20. 3. 2018, Ra 2017/03/0092; Storr/Heitzmann, Haftung für Organisationsverschulden - das unerreichbare Kontrollsystem? ZVG 2017, 178.
VwGH 20. 9. 2000, 2000/03/0181; Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 5 Rz 9.
VwGH 24. 2. 1993, 92/03/0011; 11. 5. 1998, 97/10/0250.
Anders als das Kriminalstrafrecht kennt das VStG nur eine Strafbarkeit von natürlichen Personen. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen besteht nicht (Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 9 Rz 3).
VwGH 19. 9. 1990, 90/03/0148; Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 9 Rz 41.
Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 9 Rz 42; VwGH 20. 3. 2018, Ra 2017/03/0092.
Storr/Heitzmann, ZVG 2017, 178; Berl/Berl, Das strafbefreiende Kontrollsystem im Verwaltungsstrafverfahren, wbl 2018, 669 (670).
Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 9 Rz 43; Storr/Heitzmann, ZVG 2017, 177; Barbist, Die Unschuld kehrt halb zurück, ecolex 2018, 949.
Storr/Heitzmann, ZVG 2017, 182, stellen drei Erkenntnisse dar, in denen der VwGH die Funktionsfähigkeit eines wirksamen Kontrollsystems anerkannt hat (VwGH 30. 10. 1991, 91/09/0055; 10. 3. 1999, 98/09/0312 22. 1. 2002, 2000/09/0102).
Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 9 Rz 45; vgl VwGH 26. 5. 2014, 2012/03/0084.
VwGH 21. 5. 2012, 2011/10/0050; 24. 1. 2013, 2012/07/0030.
Siehe auch Stellungnahmen BMI Abteilung III/1, 27/SN-49/ME 26. GP; Landwirtschaftskammer Österreich 11/SN-49/ME 26. GP; Barbist, ecolex 2018, 949, spricht in diesem Zusammenhang von einer "legistisch gewünschten Zweiklassengesellschaft zugunsten der Klasse der schweren Verwaltungsübertretungen".
Stellungnahmen Österreichischer Rechtsanwaltskammertag 8/SN-49/ME 26. GP; Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung Verfassungsdienst 28/SN-49/ME 26. GP; Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Landesamtsdirektion/Recht 32/SN-49/ME 26. GP.
Stellungnahme Wirtschaftskammer Österreich 25/SN-49/ME 26. GP; vgl auch Stellungnahme Bundesarbeitskammer 26/SN-49/ME 26. GP.
Stellungnahme FMA 9/SN-49/ME 26. GP.
Karollus, Zur verfassungsrechtlichen Verankerung des strafrechtlichen Schuldprinzips, ÖJZ 1987, 677; Kneihs, Die Rechte des Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren, in Holoubek/Lang (Hrsg), Allgemeine Grundsätze des Verwaltungs- und Abgabenverfahrens (2006) 171 (196); Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 5 Rz 8, hält die Regelung hingegen für zulässig.
Art 48 Abs 1 EuGRC lautet: "Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig." Art 48 Abs 1 EuGRC kommt dieselbe Bedeutung und dieselbe Tragweite wie dem durch Art 6 Abs 2 EMKR garantierten Recht zu (Granner/N. Raschauer in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC-Kommentar [2014] Art 48 Rz 5).
Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) § 24 Rz 141; EGMR 6. 12. 1988, 10590/83, Barberà, Messegué und Jabardo/Spanien Rz 77.
Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 3. 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABl L 2016/65.
Gem Art 6 RL (EU) 2016/343 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Beweislast für die Feststellung der Schuld von Verdächtigen und beschuldigten Personen bei der Strafverfolgungsbehörde liegt.
Muzak, Die Verwaltungsstrafgesetz-Novelle, ZVG 2018, 361.
EGMR 7. 10. 1988, 10519/83, Salabiaku/Frankreich Rz 28; 23. 7. 2002, 34619/97, Janosevic/Schweden Rz 101; vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 141; Storr/Heitzmann, ZVG 2017, 183.
EuGH 23. 12. 2009, C-45/08, Spector Rz 44 zur in der RL 2003/6 aufgestellten Vermutung, nach der sich der Vorsatz des ein Insider-Geschäft Tätigenden implizit aus den objektiven Tatbestandsmerkmalen dieses Verstoßes ergibt.
ErwGr 22 RL (EU) 2016/343.
EKMR 13. 10. 1993, 19116/91, T.H./Österreich; 18. 10. 1994, 21442/93, Bruckner/Österreich.
VfGH 20. 6. 1994, B 1908/93 und 1971/93.
VfGH 20. 6. 1994, B 1908/93 und 1971/93.
Vgl auch Muzak, ZVG 2018, 362.
Gem § 87 Abs 1 Z 3 GewO ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde zu entziehen, wenn der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzvorschriften die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt. Auch wiederholte Verstöße, die an sich nicht schwerwiegend sind, können zur Entziehung nach § 87 Abs 1 Z 3 GewO führen (VwGH 22. 6. 2011, 2011/04/0036).
Vgl auch Stellungnahme Neumayer 2/SN-49/ME 26. GP.
ErläutRV 193 BlgNR 26. GP 5 (Hervorhebungen ergänzt).
So auch Barbist, ecolex 2018, 950; Muzak, ZVG 2018, 361.
ErläutRV 193 BlgNR 26. GP 5: "Eine qualitätsgesicherte Organisation liegt etwa vor, wenn ein verlässlicher Mitarbeiter geschult und mit einer entsprechenden Kontrollaufgabe betraut wird. Kontrollsysteme wie beispielsweise die Sicherstellung des Vier-Augen-Prinzips, regelmäßige Stichproben usw. stellen weitere Maßnahmen dar, die geeignet sein können, die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften sicherzustellen. In diesen Fällen ist anzunehmen, dass die juristische Person ausreichende Vorkehrungen getroffen hat, um die Verwirklichung des Tatbildes durch den zuständigen Mitarbeiter (den unmittelbaren Täter) zu verhindern, weswegen eine Strafbarkeit als verantwortliches Organ gemäß § 9 Abs. 1 VStG ausgeschlossen ist (vgl. auch BVwG vom 6. 8. 2015, W 120 2011394-1)."
Vgl auch Barbist, ecolex 2018, 950; Stellungnahme Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung Verfassungsdienst 28/SN-49/ME 26. GP; FMA 9/SN-49/ME 26. GP.
In diesem Sinn scheint auch das Land Salzburg die Erläuternden Bemerkungen auszulegen: Stellungnahme Land Salzburg, Legislativ- und Verfassungsdienst 31/SN-49/ME 26. GP.
Vgl auch Stellungnahme Wirtschaftskammer Österreich 25/SN-49/ME 26. GP; Muzak, ZVG 2018, 361; Berl/Berl, wbl 2018, 670.