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Die ZVN 2022 (BGBl I 2022/61) zählt zu den umfangreichsten Gesetzgebungsprojekten, die in jüngerer Vergangenheit zur Modernisierung des Zivilverfahrensrechts verwirklicht wurden. Ihr vorrangiges Ziel ist der Ausbau der digitalen Verfahrensführung. Zu diesem Zweck wurden insb in JN, ZPO, GOG, SDG, GGG und GEG zahlreiche Anpassungen vorgenommen. Die verfahrensrechtlichen Vorgaben und Abläufe wurden grundsätzlich nur insoweit verändert, als dies iZm der Einführung des digitalen Aktes erforderlich war. Überdies wurden in verschiedenen Bereichen des Zivilverfahrensrechts punktuelle Neuerungen ohne unmittelbaren Bezug zu Digitalisierungsfragen geschaffen, die primär der Rechtsbereinigung bzw der Effizienzsteigerung im Verfahren dienen. Die Novelle ist im Wesentlichen am 1. 5. 2022 in Kraft getreten. Ihre wichtigsten Aspekte werden im Folgenden dargestellt.
Im Rahmen der digitalen Aktenführung werden alle einlangenden Schriftsätze eingescannt und Erledigungen nur mehr ausnahmsweise direkt bei Gericht kuvertiert und abgesendet. Die Pflicht zur Vorlage von Gleichschriften wurde daher abgeschafft. Halbschriften sind nur mehr dann einzubringen, wenn die Erlassung eines VU beantragt wird. Bei der Klagsprüfung in limine litis hat das Gericht das Vorhandensein der eigenhändigen Unterschrift der Partei oder ihres Vertreters nur mehr dann zu prüfen, wenn es "diesbezüglich Bedenken hat". Diese Bedenken können sich den Gesetzesmaterialien zufolge1 aus der eigenen Wahrnehmung des Entscheidungsorgans im elektronischen Akt oder aus der Vorlage zweifelhafter Stücke durch die Geschäftsstelle ergeben. Durch diese Regelung wird vermieden, dass bei der elektronischen Aktenführung dem Entscheidungsorgan in jedem Fall das physische Schriftsatzoriginal zur Unterschriftüberprüfung vorzulegen ist.
Weil die Zurückstellung eines Originalschriftsatzes zu Verbesserungszwecken im elektronischen Akt "weder möglich noch sinnvoll"2 ist, wurde der Wortlaut des § 85 ZPO neutraler gefasst. In praxi ergeben sich hierdurch jedoch keine Unterschiede für das Verbesserungsverfahren. Eine Neuregelung ohne Konnex zur digitalen Aktenführung betrifft den in § 75 ZPO normierten Mindestinhalt von Schriftsätzen: Zur deutlicheren Individualisierung der Parteien ist auch das Geburtsdatum bzw die FB-Nummer "soweit bekannt" anzuführen. Die zuletzt genannte Einschränkung gilt nunmehr auch für die Angabe der Beschäftigung, die anderen Parteien im Detail oftmals unbekannt ist.
Gem § 82 Abs 1 ZPO hat eine Partei, die in einem Schriftsatz auf eine in ihren Händen befindliche Urkunde Bezug genommen hat, dem Gegner auf dessen Verlangen eine Abschrift derselben direkt zu übermitteln. Eine Vorlage der Urschrift bei Gericht ist nur mehr in Ausnahmefällen erforderlich.
Hierdurch soll sich die Führung eines den digitalen Akt ergänzenden "Papieraktes" weitgehend erübrigen.3 Vergleichbare Erwägungen veranlassten den Gesetzgeber zur Adaptierung jener Regelungen, die die Vorlage bzw Aufbewahrung von Urkunden im Beweisverfahren behandeln.4 Demnach sind Urkunden nur dann in Urschrift vorzulegen, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist oder das Gericht die Partei hierzu auffordert (§ 297 Abs 2 ZPO).5 Urkunden, die in Urschrift vorgelegt werden, sind gem § 316 ZPO grundsätzlich in Abschrift zum Akt zu nehmen. Bereits bisher konnte das Gericht den Parteien gem §§ 180, 183 ZPO auftragen, Urkunden, Augenscheinsgegenstände oder sonstiges ihm zur Aufklärung erheblich Erscheinendes vorzulegen.6 Durch eine Änderung der genannten Bestimmungen wurde klargestellt, dass es dem Gericht freisteht, ob es die Vorlage des Originals oder einer Abschrift verlangt bzw ob es konkret zur Mitnahme dieser Urkunden oder Gegenstände zur mündlichen Verhandlung auffordert.
Die in den §§ 207 ff ZPO enthaltenen Vorschriften über Verhandlungsprotokolle wurden punktuell modifiziert. Zu den jedenfalls zu protokollierenden Angaben zählt nunmehr auch die Dauer der Verhandlung. Eine Unterzeichnung des Protokolls durch die Parteien ist nicht mehr erforderlich. Wurde jedoch ein Vergleich geschlossen, so haben die Parteien bzw ihre Vertreter sowie allfällige Dritte, die dem Vergleich beitreten, das Protokolldeckblatt zu unterschreiben (§ 209 Abs 3 ZPO).7 Neu ist überdies, dass die Übertragung des diktierten Protokolls in Vollschrift dann entfällt, wenn die Rechtssache durch Verzichtsurteil erledigt wird und die Parteien keine Ausfertigung des gesamten Protokolls beantragen (§ 209 Abs 5 ZPO).
Ein Kernstück der ZVN 2022 bildet die Schaffung des § 81a GOG. Die Norm enthält spezielle Regelungen über die Aktenführung in zivilgerichtlichen Verfahren. Der Gesetzgeber legte besonderes Augenmerk auf den Umstand, dass die elektronische Aktenführung erst teilweise verwirklicht wurde, weshalb insb auf die Vereinbarkeit von Papierstücken und digitalen Inhalten Bedacht genommen wurde.8 Dies wird durch § 81a Abs 1 GOG verdeutlicht, der explizit festlegt, dass Gerichtsakten sowohl auf Papier als auch digital geführt werden können. Die Bestimmung hat klarstellende Funktion und trifft keine Aussage darüber, welche Akten in welcher Form zu führen sind. Hieraus resultiert keine diesbezügliche Wahlmöglichkeit des Entscheidungsorgans, vielmehr sind die Bestimmungen des Web-Zugänglichkeits-Gesetzes maßgeblich.
Im Gegensatz zur vormaligen Rechtslage wird der Umfang des Gerichtsaktes durch § 81a Abs 2 GOG detailliert geregelt, indem potenzielle Aktenbestandteile aufgezählt werden. Die Frage, was Aktenbestandteil ist, ist für die Reichweite der Akteneinsicht von Relevanz. Überdies ist bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung nur auf den Akteninhalt Bedacht zu nehmen. Im Gegensatz zu Papierakten entstehen bei der elektronischen Aktenverwaltung und der digitalen Aktenführung "Metadaten". Hierbei handelt es sich bspw um Aufzeichnungen darüber, wer, wann und wie auf einzelne Aktenstücke zugegriffen hat. Den Gesetzesmaterialien zufolge dient die Beschreibung des Akteninhalts in § 81a Abs 2 GOG primär der Klarstellung, dass diese "Metadaten" nicht Aktenbestandteil sind.9
Hervorzuheben sind jene Normen, die in Bezug auf sog "Medienumbrüche" geschaffen wurden. Dies betrifft einerseits den Fall des Einlangens von Eingaben und Beilagen auf elektronischem Weg, die Eingang in Papierakten finden sollen. Diesfalls sind gem § 81a Abs 3 GOG bei Gericht Ausdrucke herzustellen und zum Akt zu nehmen. Beilagen, deren Ausdruck unmöglich oder untunlich ist - wie etwa Videoaufnahmen -, sind dem Akt in einem elektronischen Speichermedium anzuschließen.
Andererseits sind gem § 81a Abs 4 GOG physische Eingaben, die einem digitalen Akt zugehörig sind, soweit möglich und tunlich in ein elektronisches Dokument umzuwandeln. Eingaben und Beilagen, die nicht umgewandelt werden können (bspw Augenscheinsgegenstände), sind so aufzubewahren, dass ihre Zuordnung zum elektronischen Akt und eine "rasche und einfache Zugriffsmöglichkeit" gewährleistet ist.10 Gleiches gilt für physische Eingaben, die zwar elektronisch gespeichert werden können, die aber zusätzlich in Urschrift benötigt werden (etwa zur Verifizierung einer Unterschrift). Auch Papierbeilagen, die in Abschrift vorgelegt wurden, sind zur Behebung von Scanfehlern aufzubewahren, können jedoch nach sechs Monaten vernichtet werden. Eine ähnliche Vorgehensweise ist gem § 81a Abs 5 GOG für Papierdokumente, die durch das Entscheidungsorgan oder die Gerichtskanzlei verfasst werden, einzuhalten: Die Geschäftsabteilung hat diese in ein elektronisches Dokument zu übertragen und darin deren Authentizität zu bestätigen, bevor sie vernichtet werden können.
Die elektronische Fertigung der Urschriften und Protokolle gerichtlicher Erledigungen war bereits mit der Novelle BGBl I 2016/28 ermöglicht worden, ohne gleichzeitig eine bestimmte Qualität der Unterschrift zu normieren. Durch die ZVN 2022 wurde die elektronische Signatur iSd Art 3 Z 12 elDAS-VO als Unterschriftsform verbindlich festgelegt (§ 89c Abs 2a GOG). Aus Effizienzgründen bedürfen gerichtsinterne Anordnungen keiner solchen Signatur, sondern sind bspw durch einfache Tastenvorgänge zu bestätigen.11
Die Regelungen über die digitale Akteneinsicht wurden durch die neu gefassten § 89i Abs 3-5 GOG erweitert. Den Parteien ist bei digital geführten Akten jedenfalls elektronische Einsicht zu ermöglichen. Hierbei ist sicherzustellen, dass nur jene Daten zugänglich gemacht werden, die das Entscheidungsorgan bereits zum Akteninhalt gemacht hat.12 Die Einsicht in Akten eines Insolvenzverfahrens setzt überdies voraus, dass die Wirkungen der Insolvenzeröffnung bereits eingetreten sind. Die Einsichtnahme ist mittels geeigneter technischer Vorrichtungen in den Räumlichkeiten des verfahrensführenden Gerichts zu ermöglichen. Dieses ist zur Entscheidung über die Zulässigkeit bzw den Umfang der Akteneinsicht ausschließlich zuständig. Innerhalb der durch eine solche Entscheidung gezogenen Grenzen kann die Einsichtnahme überdies bei jedem Bezirksgericht und jedem Justizservicecenter Österreichs erfolgen.
Um zu verhindern, dass die übermäßige Belastung von Sachverständigen die Gutachtensqualität beeinträchtigt, wurde § 357 Abs 1a ZPO geschaffen. Dieser Norm zufolge haben Sachverständige, die zum Zeitpunkt ihrer Befassung oder Bestellung durch das Gericht in mehr als zehn (anderen) Verfahren die (allenfalls verlängerte) Frist zur Gutachtenserstattung überschritten haben, dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Der Sachverständige hat gegebenenfalls zugleich glaubhaft zu machen, dass für die fristgerechte Erfüllung des in Aussicht genommenen Gutachtensauftrags hinreichend vorgekehrt ist. Wird trotz dieser Maßnahmen die Gutachtensfrist überschritten, ist dies bei der Beurteilung möglicher Säumnisfolgen iSd § 354 ZPO und § 25 Abs 3 S 2 GebAG zu berücksichtigen.
Sachverständige und Dolmetscher waren bereits vor dem Inkrafttreten der ZVN 2022 zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet. Neu ist, dass die hierzu erforderlichen Zugangsberechtigungen grundsätzlich unter Nutzung eines elektronischen Identitätsnachweises iSd §§ 4 ff E-GovG eingeräumt werden. Für jeden österreichischen Gerichtssachverständigen und Gerichtsdolmetscher ist von Amts wegen ein E-ID zu registrieren, sofern die betreffende Person nicht bereits über einen solchen Identitätsnachweis verfügt und der Registrierung nicht ausdrücklich widerspricht. In die Personenbindung zum E-ID sind mit Einwilligung der betreffenden Person jene Daten einzufügen, die auch auf dem physischen Sachverständigen- oder Dolmetscherausweis anzuführen sind (§ 8 Abs 3 SDG). Auf Verlangen eines Sachverständigen oder Dolmetschers ist diesem sein Ausweis zusätzlich unter Nutzung seines E-ID zur Verfügung zu stellen (§ 8 Abs 1, § 14 SDG). Gutachten und Übersetzungen, die im Wege des ERV übermittelt werden, bedürfen keiner Unterschrift oder Signatur (§ 8 Abs 6, § 14 SDG).
Die bisherige Regelung der Gerichtsgebühren für Aktenabschriften wurde vor dem Hintergrund der digitalen Aktenführung als unzureichend empfunden.13 In TP 15 GGG erfolgte daher eine umfassende Neuregelung der Gebühren für die Akteneinsicht, die primär durch zwei Aspekte gekennzeichnet ist: Einerseits erfolgt eine Gebührenstaffelung nach Datenvolumen anstatt wie bisher nach Seitenzahl; andererseits werden überhaupt nur mehr Gebühren für solche elektronische Kopien verlangt, die auf Datenträgern erstellt werden, welche von der Justiz zur Verfügung gestellt werden. Neuerungen betreffen auch die in § 18 GGG geregelte Berechnung der Pauschalgebühr bei einer nachträglichen Änderung des Streitgegenstands bzw beim Abschluss eines Vergleichs über eine Leistung, deren Wert ein bereits klageweise geltend gemachtes Begehren übersteigt.14 Zu erwähnen ist überdies die Gebührenbefreiung des Kinder- und Jugendhilfeträgers in Exekutionsverfahren wegen übergangener Unterhaltsforderungen oder wegen Kostenersatzes gem § 43 B-KJHG.15
Die Abschaffung von Doppelgleisigkeiten bei der Einbringung von Gebühren, Geldstrafen und Kosten bildete einen weiteren Reformschwerpunkt. Nach der bisher geltenden Rechtslage musste die Vorschreibungsbehörde selbst dann, wenn ein an sich bereits exekutionsfähiger Titel eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde vorlag, einen weiteren Titel (Zahlungsauftrag) im Verwaltungsweg schaffen. Dieses Erfordernis ist durch die Neufassung des § 1 GEG entfallen.
Die ZVN 2022 enthält eine Vielzahl von Änderungen, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Einführung des digitalen Aktes stehen. Hervorzuheben sind
- | die Modifizierung der Normen über fachkundige (vormals "fachmännische") Laienrichter in Handelssachen nach dem Vorbild der moderneren Parallelbestimmungen im ASGG (vgl insb §§ 15-18 JN); |
- | die Schaffung zusätzlicher Gerichtsstände für Persönlichkeitsrechtsverletzungen (§ 92b JN) und Ansprüche aus der Fluggastrechte-VO (§ 101a JN); |
- | die Möglichkeit, über den Inhalt einer Vereinbarung, die in einem Schlichtungsverfahren über Verbraucherstreitigkeiten nach dem Alternative-Streitbeilegung-Gesetz geschlossen wurde, gem § 433a ZPO einen gerichtlichen Vergleich abzuschließen; |
- | die Erstreckung der für ein streitiges Scheidungsverfahren gewährten Verfahrenshilfe auf ein Verfahren über die einvernehmliche Scheidung, wenn letztere noch während des anhängigen Rechtsstreits beantragt wird (§ 460 Z 10a ZPO); |
- | die Möglichkeit einer streitwertunabhängigen Anrufbarkeit des OGH bei Streitigkeiten nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (§ 502 Abs 5 Z 6 ZPO); |
- | die Kompetenz der Sozialgerichte, in Verfahren über die Bekämpfung sozialversicherungsrechtlicher Rückzahlungsbescheide wegen zu Unrecht bezogener Leistungen die Rückzahlungspflicht zum Teil oder zur Gänze zu erlassen (§ 89 Abs 4 ASGG); |
- | die Übernahme der modernisierten Bestimmungen der Kaiserlichen Verordnung vom 14. 12. 1915 über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und von Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder des Schriftführers in die ZPO (vgl §§ 414, 417-419 ZPO); |
- | eine Anpassung im Rechtspflegergesetz aufgrund der Gesamtreform des Exekutionsrechts (GREx) (§ 17 Abs 2 Z 5 RpflG). |
ErläutRV 1291 BlgNR 27. GP 1 f, 16.
Vgl hierzu bereits Karl, Kostenprivilegierung für Vergleiche nach dem GGG durch die ZVN 2021, Zak 2021, 364 (366).
TP 4 Anm 8 GGG; vgl auch Fucik/Hopf, Nationalrat beschließt Zivilverfahrensnovelle 2022, ÖJZ 2022, 357.