News

Anerkennung als konkrete Berufskrankheit

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

ASVG § 177 Abs 2

Ist eine Krankheit nicht in der Anlage 1 zum ASVG enthalten, kann sie nur dann als (konkrete) Berufskrankheit anerkannt werden, wenn der Träger der Unfallversicherung aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt, dass diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist; diese Feststellung bedarf zu ihrer Wirksamkeit überdies der Zustimmung des Bundesministers für Gesundheit.

In Abänderung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung vertritt der OGH nunmehr die Auffassung, dass gegen die bescheidmäßige Ablehnung der Anerkennung einer Krankheit als konkrete Berufskrankheit durch den Unfallversicherungsträger Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden kann. Dieses hat eigenständig, insbesondere auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu prüfen, ob im Einzelfall eine Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist.

OGH 15. 3. 2016, 10 ObS 125/15b

Sachverhalt

Der Kläger, ein gelernter Koch, leidet an einer Fructose-, Lactose- und Histaminintoleranz. Die beklagte AUVA lehnte eine Anerkennung der Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit ab, weil eine Fructose-, Lactose- und Histaminintoleranz nicht in der Liste der Berufskrankheiten in der Anlage 1 zum ASVG angeführt sei.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und bezogen sich dabei auf die stRsp des OGH, wonach ausschließlich der Unfallversicherungsträger für die Entscheidung zuständig ist, ob eine nicht in der Anlage 1 zum ASVG enthaltene Krankheit im Einzelfall als Berufskrankheit anerkannt wird, und diese Frage daher auch nicht als Vorfrage in einem sozialgerichtlichen Verfahren geprüft werden kann.

Entscheidung

Die bisherige Rsp des OGH (vgl zB OGH 22. 9. 1987, 10 ObS 80/87, ARD 3944/9/87) wurde in der Lit mehrfach kritisiert, ua mit dem Argument, dass ein abschlägiger Bescheid des SV-Trägers eindeutig in einer Leistungssache ergehe, die als Sozialrechtssache gemäß § 65 ASGG in die sukzessive Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte falle; auch stehe gegen die Ablehnung durch den Bundesminister kein Rechtszug an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen (vgl Holzer in Tomandl, Der OGH als Sozialversicherungshöchstgericht [1994] 71 [78]).

Auch der VwGH hat die stRsp des OGH explizit abgelehnt und seine Zuständigkeit iZm der Feststellung einer Berufskrankheit im Einzelfall gemäß § 148e Abs 2 BSVG (entspricht inhaltlich § 177 Abs 2 ASVG) verneint (vgl VwGH 4. 9. 2013, 2012/08/0062, ZfV 2014/343, 246).

Der OGH geht daher nun von seiner bisherigen Rsp ab und hält dazu fest:

Wie insbesondere Holzer hervorgestrichen hat, werden sv-rechtliche Leistungsansprüche, die als Verlängerung bzw Ersatz des vertraglichen Arbeitsentgelts zu qualifizieren sind, als „civil rights“ iSd Art 6 EMRK angesehen. Hinsichtlich dieser Ansprüche besteht ein subjektives Recht auf effektiven Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht. Legitime Schranken dieses Zugangsrechts dürfen den Wesensgehalt des Rechts nicht verletzen.

Schon aus Gründen der Effektuierung der Möglichkeit, die Ablehnung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen einer „konkreten“ Berufskrankheit durch ein Gericht iSd Art 6 Abs 1 EMRK überprüfen zu lassen - diese Möglichkeit ist nach der Ablehnung sowohl durch den OGH (in Leistungssachen) als auch durch den VwGH (in Verwaltungssachen) nicht mehr gewährleistet -, ist es angebracht, die bisherige Rechtsprechung dahin zu ändern, dass die bescheidmäßige Ablehnung der Anerkennung einer Krankheit als konkrete Berufskrankheit durch den Unfallversicherungsträger die Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG eröffnet. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer konkreten Berufskrankheit ist, oder ein daraus abgeleiteter Leistungsanspruch nicht von einer Zustimmung des Bundesministers für Gesundheit abhängig. Vielmehr hat das Arbeits- und Sozialgericht eigenständig nach den Vorgaben des § 177 Abs 2 ASVG, insbesondere auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu prüfen, ob im Einzelfall eine Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21413 vom 07.04.2016