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Angeklagter in Haft – Hauptverhandlung über Videokonferenz?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StPO: § 6, § 153, § 172, § 176, § 221, § 247a, § 427

Wurde dem Gericht (wie hier) bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt, dass sich der Angeklagte in Haft befindet, so dürfen die Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils idR nicht in seiner Abwesenheit durchgeführt werden (wozu auch die Zuschaltung per Videokonferenz zählt). Vielmehr hat das Gericht in einem solchen Fall die Justizanstalt um Vorführung des Angeklagten zur Hauptverhandlung zu ersuchen, und zwar entweder anlässlich der Ladung des Angeklagten gem § 221 Abs 1 StPO oder gem § 427 Abs 2 erster Satz StPO.

OGH  6. 12. 2017, 13 Os 122/17s

Sachverhalt

Im einem Verfahren des BG St. Johann im Pongau wurde der (in einem anderen Strafverfahren) in der Justizanstalt Salzburg angehaltene Angeklagte mit Verfügung vom 9. 2. 2017 – ohne Anordnung seiner Vorführung – per Adresse „JA Salzburg“ mit dem Zusatz „per Videokonferenz“ als Angeklagter zur Hauptverhandlung am 14. 3. 2017 geladen.

Dementsprechend erschien er sodann auch nicht persönlich zur HV, sondern war mittels Videokonferenz aus der Justizanstalt Salzburg „zugeschaltet“.

In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes macht die Generalprokuratur geltend, dass dies das Gesetz verletzte.

Entscheidung

Die Mitwirkung des – nicht auch körperlich anwesenden – Angeklagten an der Hauptverhandlung (vgl § 6 Abs 1 erster Satz StPO) im Weg seiner „Zuschaltung“ mittels technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung („Videokonferenz“) sieht die StPO nicht vor (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 247a Rz 3; anders bei der Befragung von Zeugen und im Ermittlungsverfahren in bestimmten Fällen, § 153 Abs 4, § 172 Abs 1, § 176 Abs 3, § 247a StPO). Eine (dennoch) auf diese Weise durchgeführte Hauptverhandlung (und Urteilsfällung) findet in Abwesenheit des Angeklagten statt (vgl RIS-Justiz RS0128200, 12 Os 96/12b, Rechtsnews 14157).

Ist aber – wie demnach hier – der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, so sind Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten gem § 427 Abs 1 StPO – bei sonstiger Nichtigkeit – nur zulässig, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gem § 164 oder § 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Gegen ein gem § 427 StPO in seiner Abwesenheit verkündetes Urteil des Bezirksgerichts kann der Angeklagte nach § 478 Abs 1 StPO (unter den dort normierten Voraussetzungen) Einspruch erheben, wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist oder er nachweisen kann, dass er durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sei.

Wurde dem Gericht (wie hier) bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt, dass sich der Angeklagte in Haft befindet – sich seinem Erscheinen also ein unabwendbares Hindernis entgegenstellt –, so dürfen die Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils idR nicht in seiner Abwesenheit durchgeführt werden (RIS-Justiz RS0101569, jüngst 11 Os 16/16m; zur hier nicht vorliegenden Ausnahme einer persönlichen und unmissverständlichen Erklärung des Angeklagten, der Verhandlung in seiner Abwesenheit zuzustimmen, vgl RIS-Justiz RS0115797; Bauer, WK-StPO § 427 Rz 15; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 244).

Die Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten verstieß im vorliegenden Fall daher gegen § 427 Abs 1 iVm § 478 Abs 1 StPO.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24785 vom 12.01.2018