Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der ZfV erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
Zusammengestellt von der LexisNexis-Redaktion
Die neue Session des VfGH hat am 28. 11. 2022 begonnen und ist für drei Wochen anberaumt.
1. Ua auf der Tagesordnung
Auf der Tagesordnung der Session stehen laut Presseaussendung des VfGH ua folgende Fälle:
- | Schweinehaltung Mit ihrem Antrag auf Aufhebung von Bestimmungen der 1. Tierhaltungsverordnung idF BGBl II 2017/151 wendet sich die Bgld LReg gegen die Regelung, dass Schweine in Ställen mit durchgehend perforierten Böden (Vollspaltenböden) gehalten werden dürfen; auch die Mindestfläche an Boden bei der Gruppenhaltung von Schweinen reiche nicht aus. Die angefochtenen Bestimmungen verstießen sowohl gegen das TSchG als auch gegen das BVG über ua den Tierschutz (BGBl I 2013/111). (V 137/2022) Anmerkung: Mit BGBl II 2022/296 wurde in Anlage 5 ein neuer Punkt 5.2a (Gruppenhaltung Neu) eingefügt und darin ua vorgesehen, dass die Haltung in unstrukturierten Vollspaltenbuchten verboten ist; auch bestimmte Mindestflächen pro Tier werden dort näher festgelegt. Allerdings gilt diese Regelung erst für Gruppenhaltungen von Absetzferkeln, Mastschweinen und Zuchtläufern, die ab 1. 1. 2023 neu gebaut, umgebaut oder erstmals in Betrieb genommen werden. |
- | Abgrenzung von Werbung und redaktioneller Berichterstattung im Privatfernsehen Der Betreiber des Satellitenfernsehprogramms „oe24 TV“ sieht sich durch Entscheidungen des BVwG im Recht auf Medienfreiheit nach Art 10 EMRK verletzt. Die erste Beschwerde betrifft das Gebot der Trennung von Fernsehwerbung und anderen Sendungs- und Programmteilen (§ 43 Abs 2 AMD-G), gegen das der Sender nach Ansicht des BVwG dadurch verstoßen hat, dass in der Sendungsrubrik „Star des Tages“ zunächst Teile eines neuen Werbespots mit einer bekannten Persönlichkeit gezeigt wurden und im Anschluss daran, nach einer entsprechenden Ankündigung der Moderatorin, der Spot unkommentiert zur Gänze ausgestrahlt wurde. Die zweite Beschwerde betrifft die Wertung einer Sendung mit einem Beitrag über einen Handelsbetrieb, in dem Atemschutzmasken verkauft werden, als Schleichwerbung gem § 31 Abs 2 AMD-G. In seinen Beschwerden an den VfGH macht „oe24 TV“ geltend, dass sowohl die Ausstrahlung des Werbespots als auch der Beitrag über den „Atemschutzmasken-Shop“ als redaktionelle Berichterstattung anzusehen seien und daher unter die journalistische Gestaltungsfreiheit fielen. Kritisiert wird auch, dass werbewirksame Beiträge in audiovisuellen Medien dem werberechtlichen Trennungsgebot sowie dem Verbot der Schleichwerbung auch dann unterlägen, wenn dafür kein Entgelt geleistet wird. In Printmedien hingegen seien solche Veröffentlichungen nur dann zu kennzeichnen, wenn dafür tatsächlich ein Entgelt geleistet worden sei (§ 26 MedienG). Dies verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. (E 992/2022, E 1265/2022) |
- | Ausnahme von Medienunternehmen von Datenschutzgarantien Nachdem die Datenschutzbehörde Beschwerden gegen die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch Medienunternehmen „wegen Unzuständigkeit“ zurückgewiesen hat, beantragt das BVwG, § 9 Abs 1 DSG 2000 teilweise als verfassungswidrig aufzuheben. Nach Ansicht des BVwG ist die gänzliche Ausnahme von Medienunternehmen von den Garantien des Datenschutzrechts unverhältnismäßig (Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz). (G 287-288/2022) Anmerkung: Einen ersten, ähnlichen Antrag des BVwG (damals anhängig zu G 200/2022, G 229/2022) hat der VfGH im September 2022 aus formalen Gründen zurückgewiesen. Nicht auf der Tagesordnung steht der Antrag der Bgld LReg zum ORF-Gesetz (G 215/2022). Mit einer Entscheidung darüber ist erst im kommenden Jahr zu rechnen. |
- | Kompetenzverteilung iZm der Genehmigung der S 34 (Traisental) Nach Abweisung der Beschwerden (ua einer Bürgerinitiative und von Umweltorganisationen) gegen die Genehmigung des Straßenbauvorhabens „S 34 Traisental Schnellstraße St. Pölten/Hafing – Knoten St. Pölten/West – Wilhelmsburg/Nord“ durch den BMVIT machen diese Bf vor dem VfGH nun va geltend, dass die S 34 in der derzeit eingereichten Form keine Bedeutung für den Durchzugsverkehr habe, sondern nur der lokalen Aufschließung diene. Für solche Straßen sei der Bund jedoch nicht zuständig; die Aufnahme dieses Straßenbauvorhabens in das BStG verstoße daher gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung. (E 2013/2021) |
2. Einige weitere offene Fragen
Für die Dezember-Session hat sich der VfGH auch die weitere Prüfung folgender Fälle vorgenommen:
- | Zwingende Untersuchungshaft bei schweren Straftaten Während Untersuchungshaft grds nur verhängt werden darf, wenn bestimmte Haftgründe vorliegen, sieht § 173 Abs 6 StPO vor, dass bei Verbrechen mit einer Strafdrohung von mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe zwingend Untersuchungshaft zu verhängen ist, außer wenn alle Haftgründe ausgeschlossen werden können. Der Antragsteller befindet sich wegen des Verdachts terroristischer Verbrechen seit November 2020 in Untersuchungshaft und sieht in dieser Bestimmung einen Verstoß gegen das Grundrecht auf persönliche Freiheit. (G 53/2022) |
- | Unentgeltliche Stundung von Krediten – Eigentumsrecht von Banken 403 österreichische Banken wenden sich in einem gemeinsamen Antrag gegen eine Bestimmung im 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz (§ 2 Abs 6 zweiter Satz) über die Stundung von Rück- oder Zinszahlungen bei gewissen Verbraucherkreditverträgen, wenn der Kreditnehmer pandemiebedingt Einkommensverluste hatte, die solche Zahlungen unzumutbar machten; ein zunächst dreimonatiges Moratorium ab April 2020 wurde auf sieben und schließlich auf insgesamt zehn Monate verlängert. Weiters dürfen die Kreditgeber nach Ansicht des OGH für die Dauer des Moratoriums auch keine Sollzinsen verrechnen (vgl OGH 22. 12. 2021, 3 Ob 189/21x, Zak 2022/52). Die antragstellenden Banken sehen darin Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz; die Regelung sei auch unverhältnismäßig und verletze ihr Grundrecht auf Eigentum. (G 174/2022) |
- | Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung 2017 Nach dem Urteil EuGH 3. 10. 2019, C-197/18, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland ua, Rechtsnews 28042, sah der VfGH vorläufig eine Säumigkeit des Landwirtschaftsministers damit, Maßnahmen gegen eine Überschreitung des Schwellenwerts der Nitrat-RL für den Nitratgehalt von Trinkwasser von 50 mg/l zu erlassen. Die Verordnung wurde zur Gänze in Prüfung gezogen, gegebenenfalls wird aber auch die Aufhebung von einzelnen Bestimmungen ausreichen, um den Bf zu ihrem Recht zu verhelfen. Ebenso wird der VfGH zu prüfen haben, ob die Bf auf einem anderen Weg, zB in einem verwaltungsbehördlichen Bescheidverfahren ihre Rechte durchsetzen können, obwohl das WRG vorschreibt, dass solche Maßnahmen per Verordnung des BM zu treffen sind. (V 220/2022). Anmerkung: Zur aktuellen Änderung der Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung siehe BGBl II 2022/386. |
Hinweis: Weiterhin geprüft wird auch ein Antrag der Wiener Lokalbahnen Verkehrsdienste GmbH (WLV) betr Benachteiligung von staatsnahen Unternehmen bei COVID-19-Hilfen (vgl § 3b Abs 3 ABBAG-Gesetz; V 139/2022, G 108/2022), der ebenfalls bereits bei der letzten Session auf der Tagesordnung stand (siehe dazu näher Rechtsnews 33061).
Neu beim VfGH anhängig ist ua:
- | AlVG: automationsunterstützt ausgefertige Bescheide ohne Amtssignatur Anders als nach dem AVG bedürfen Ausfertigungen des AMS, die im Wege der automationsunterstützten Datenverarbeitung erstellt wurden, weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung (§ 47 Abs 1 letzter Satz AlVG). Der VwGH hegt nun Zweifel daran, ob diese Regelung „erforderlich“ iSd Art 11 Abs 2 B-VG und somit verfassungskonform ist. Aufhebungsantrag VwGH 25. 10. 2022, A 2022/0005 (Ra 2021/08/0043). |
3. Erledigte Fälle der letzten Session
Neben den Erkenntnissen, über die bereits in den Rechtsnews bzw Zeitschriften berichtet wurde, wurde in der letzten Session ebenfalls entschieden:
- | Abkommen mit OPEC – Verstoß gegen Grundrecht auf Zugang zu Gericht VfGH 29. 9. 2022, SV 1/2021: Art 9 Amtssitzabkommen-OPEC beschränkt den Zugang zu Gericht insofern, als österreichische Gerichte nur angerufen werden können, wenn die OPEC in einem besonderen Fall ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet hat. Es ist zwar ein legitimes Ziel, einer internationalen Organisation im Amtssitzabkommen Immunität einzuräumen, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Organisation frei von einseitigen Eingriffen durch den Sitzstaat (hier: Österreich) zu ermöglichen. Ob es legitim ist, eine internationale Organisation für arbeitsrechtliche Streitigkeiten von der staatlichen Gerichtsbarkeit auszunehmen, hängt aber wesentlich davon ab, ob angemessener alternativer Rechtsschutz besteht. Dies hat auch der EGMR sinngemäß in seiner Rsp zu internationalen Organisationen festgehalten, die mit der OPEC vergleichbar sind. Die OPEC hat zwar im November 2020 mit dem neu eingeführten Art 6A ihrer Satzung in Aussicht gestellt, angemessene Rechtsschutzgarantien für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zu schaffen. Solange das Amtssitzabkommen jedoch nicht gewährleisten kann, dass ein solcher Mechanismus eingerichtet ist, kann nicht angenommen werden, dass die Einschränkung des Zugangs zu österreichischen Gerichten in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch Art 9 des Amtssitzabkommens auf verhältnismäßige Weise erfolgt und die internationale Organisation damit im Einklang mit Art 6 Abs 1 EMRK von der staatlichen Gerichtsbarkeit freigestellt ist. Diese Bestimmung sowie der damit zusammenhängende Art 5 Abs 1 und 2 des Amtssitzabkommen werden daher als verfassungswidrig festgestellt. Hinweis: Die Immunität der OPEC bleibt bis zum Ablauf des 30. 9. 2024 mit Ausnahme des anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahrens des Antragstellers unverändert aufrecht. Sollte bis zum Ablauf dieser Frist keine Neuregelung im österreichischen Recht und in den Statuten der OPEC erfolgt sein, könnte in Österreich der Rechtsweg gegen die OPEC beschritten werden. |
- | Ärztenotdienst – „Einrichtung“ VfGH 28. 9. 2022, G 101/2022: Nach dem ÄrzteG 1998 obliegt den Ärztekammern die „Einrichtung eines ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes“ (vgl § 84 Abs 4 Z 7 und § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998). Unter „Einrichtung“ ist nur die notwendige organisatorische Gestaltung des notärztlichen Dienstes zu verstehen. Die Frage, ob es einen solchen Dienst überhaupt geben soll, ist hingegen durch Gesetz oder durch Vertrag zwischen der Ärztekammer und den Krankenversicherungsträgern zu regeln. Es kann keine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereichs der Ärztekammern sein, die allgemeinmedizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Der vorliegende Antrag erwies sich allerdings als unbegründet, weil die angefochtenen Bestimmungen des ÄrzteG 1998 lediglich die „innere“ Organisation der Ärzteschaft betreffen (§ 84 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1988: Aufgaben der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte; § 126 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998: Aufgaben der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte), nicht aber den Anspruch der Bevölkerung auf medizinische Versorgung. |
Hinweis: Auf der Homepage des VfGH werden Übersichten angeboten, welche Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren zu bestimmten Stichtagen anhängig sind; siehe dazu auf www.vfgh.gv.at den Unterpunkt „Normenprüfungsverfahren“ zum Menüpunkt „Rechtsprechung“.