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Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StPO: § 261, § 263, § 447, § 450

1. Ist das BG der Ansicht, dass das LG zuständig sei, hat es gem § 450 erster Satz StPO vor Anordnung der Hauptverhandlung seine sachliche Unzuständigkeit mit Beschluss auszusprechen. Auszugehen ist davon, dass diese Bestimmung den Begriff „Anordnung der Hauptverhandlung“ gleichsinnig verwendet wie § 485 Abs 1 StPO, nämlich als Akt, in dem sich der positive Ausgang einer amtswegigen Vorprüfung des (einen) Strafantrags manifestiert, durch dessen Einbringung das Hauptverfahren begonnen hat (§ 210 Abs 2 erster Satz StPO); die Rechtswirksamkeit der Anklage wird durch den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung bewirkt und durch die (so verstanden) einmalige Anordnung der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebracht.

Nach (einmal erfolgter) Anordnung der Hauptverhandlung (und somit Rechtswirksamkeit des Strafantrags) darf ein Unzuständigkeitsbeschluss nicht mehr gefasst werden und das BG darf und muss (§ 468 Abs 1 Z 2 StPO) die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Spruchkörpers für die vom Strafantrag umfasste Tat nur noch mit Unzuständigkeitsurteil wahrnehmen (§ 261 Abs 1 iVm § 447 StPO).

2. § 427 StPO verbietet die Durchführung der (gesamten oder eines Teils der) Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, soweit die Anklage in Abwesenheit des Angeklagten ausgedehnt wurde (§ 263 StPO, hier iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO), dieser demnach keine Gelegenheit hatte, zum (erweiterten) Anklagevorwurf Stellung zu nehmen.

In Anwesenheit des Angeklagten ist die Ausdehnung der Anklage auf eine andere Tat in der Hauptverhandlung zulässig (und zur Wahrung des Verfolgungsrechts für den Ankläger geboten). Fällt diese Tat in die Zuständigkeit eines höherrangigen Spruchkörpers, hat das BG (nicht seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen, sondern) gem § 263 Abs 2 StPO das Urteil auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und dem Ankläger – auf sein Verlangen – die selbstständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat vorzubehalten.

In Abwesenheit des Angeklagten dagegen ist nicht nur die Ausdehnung der Verhandlung unzulässig (vgl § 427 StPO), sondern schon die Ausdehnung der Anklage. Vielmehr hat der Ankläger, wenn bei der Hauptverhandlung eine neue Tat hervorkommt und er diese verfolgen will, nach § 210 Abs 1 StPO bei dem für das (diesbezügliche) Hauptverfahren zuständigen Gericht schriftlich Anklage einzubringen.

OGH 25. 6. 2019, 11 Os 78/19h (11 Os 86/19k)

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27758 vom 08.08.2019