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Asyl: Dublin III-VO - Selbsteintritt im Familienverfahren

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AsylG 2005: § 5, § 34

Dublin III-VO: Art 3, Art 17

EMRK Art 8

1. Nach Art 17 Dublin III-Verordnung kann ein EU-Mitgliedstaat in ein Asylverfahren selbst eintreten, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist. Da Art 17 Abs 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt.

Die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 macht eine Bedachtnahme auf die in Österreich in Verfassungsrang stehende EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 (Zurückweisung wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) auch Art 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin III-VO ausüben.

2. § 34 Abs 4 AsylG 2005 ist dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist; dh es sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen. Ist Österreich für die Prüfung des Antrags des Familienvaters zuständig, kommt daher die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen nicht mehr in Betracht und Österreich hat im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder das Selbsteintrittsrecht gem Art 17 Abs 1 Dublin III-VO auszuüben.

VwGH 15. 12. 2015, Ra 2015/18/0192 bis 0195

Entscheidung

In seinen Entscheidungsgründen stellt der VwGH dazu auch klar, dass die Ausübung des Selbsteintrittsrechts betr die übrigen Familienmitglieder die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) nicht beeinträchtigt: Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich idR schon von Art 10 und Art 11 Dublin III-VO erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen wie den vorliegenden komme daher die nationale Regelung des § 34 Abs 4 AsylG 2005 zum Tragen.

Im Übrigen verweist der VwGH auf die Erwägungsgründe der Dublin III-VO: Erwägungsgrund 14 betone, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend halte Erwägungsgrund 17 weiters fest, dass die Mitgliedstaaten insb aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-VO festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind. Und nach Erwägungsgrund 15 könne mit einer gemeinsamen Bearbeitung der Anträge aller Familienangehörigen durch ein und denselben Mitgliedstaat sichergestellt werden, dass die Entscheidungen über die Anträge kohärent sind und dass die Mitglieder der Familien nicht voneinander getrennt werden.

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des weiten Ermessens, das den Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechts eingeräumt ist, bestehen nach Ansicht des VwGH somit keine unionsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 34 Abs 4 AsylG 2005 im Anwendungsbereich der Dublin III-VO.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20931 vom 19.01.2016