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BEinstG: Kündigungsverfahren nach Entlassungsanfechtung

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

ASGG § 61

BEinstG § 8

Wird ein begünstigter behinderter Arbeitnehmer fristlos entlassen und ficht er die Entlassung beim Gericht an, so ist das erstinstanzliche Urteil über den aufrechten Fortbestand des Dienstverhältnisses für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zur Erteilung der Zustimmung zur Kündigung nach § 8 BEinstG verbindlich, auch wenn das noch anhängige Verfahren zur Wirksamkeit der Entlassung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Das Verwaltungsgericht hat daher vom Fortbestand des Dienstverhältnisses auszugehen und kann diese Vorfrage weder eigenständig beurteilen, noch das Verfahren bis zur endgültigen Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Entlassungsanfechtung aussetzen.

VwGH 27. 1. 2015, Ra 2014/11/0071

Sachverhalt

Ein begünstigter behinderter Arbeitnehmer bekämpfte seine Entlassung mittels Klage beim Arbeits- und Sozialgericht. Dieses stellte mit Urteil fest, dass das Dienstverhältnis über den Zeitpunkt des Entlassungsausspruchs hinaus aufrecht fortbesteht.

Der Arbeitgeber erhob Berufung gegen dieses Urteil, beantragte aber auch beim Behindertenausschuss des Sozialministeriumservices die Zustimmung zur noch auszusprechenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Betreffend die Entlassungsanfechtung gab das Berufungsgericht der Berufung des Arbeitgebers Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

Im Zusammenhang mit der auszusprechenden Kündigung des Arbeitnehmers erteilte der Behindertenausschuss schließlich die Zustimmung, wogegen der Arbeitnehmer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhob.

Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren über die Beschwerde „bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim Arbeits- und Sozialgericht anhängigen Verfahrens ... wegen Feststellung des aufrechten Bestands“ des Dienstverhältnisses nach der Entlassung aus.

Der VwGH erklärt die Revision für zulässig, weil zur Frage, ob und inwieweit die Verbindlichkeit erstinstanzlicher Urteile gemäß § 61 Abs 1 und 2 ASGG auch für Verfahren zur Erteilung einer Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten nach § 8 BEinstG gilt, keine Rechtsprechung des VwGH existiert.

Entscheidung

Verbindlichkeit erstgerichtlicher Urteile

Auch wenn es sich bei der Frage des Bestands oder Nichtbestands des Dienstverhältnisses für das Verwaltungsgericht um eine Vorfrage handelt und die Behörde bzw das Verwaltungsgericht Vorfragen gem § 38 AVG (iVm § 17 VwGVG) grds nach eigener Anschauung zu beurteilen hat bzw das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage durch die zuständige Behörde bzw das zuständige Gericht aussetzen kann, erinnert der VwGH daran, dass § 38 AVG unter dem Vorbehalt einer anderslautenden gesetzlichen Regelung steht. Und eine solche liegt nach Ansicht des VwGH in § 61 Abs 1 und 2 ASGG im Ergebnis vor:

Gemäß § 61 Abs 1 ASGG hemmt die rechtzeitige Erhebung der Berufung gegen das (erste) erstgerichtliche Urteil nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht aber den Eintritt „der Verbindlichkeit der Feststellung, den der Rechtsgestaltungswirkung oder den der Vollstreckbarkeit ...“ (Z 1).

Gemäß § 61 Abs 2 ASGG wirkt das (erste) erstgerichtliche Urteil, auch wenn es inzwischen aufgehoben oder durch ein anderes Urteil ersetzt worden ist, bis zur Beendigung des Verfahrens weiter, soweit die Parteien nichts anderes vereinbaren oder - im Revisionsfall nicht von Bedeutung - nach Abs 4 anderes angeordnet ist.

In diesem Zusammenhang verweist der VwGH auch auf die Materialien schon zur Stammfassung des § 61 ASGG (und zur Novelle BGBl 1990/408), wonach das (erste) erstgerichtliche (Feststellungs-)Urteil über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sofort verbindlich sein und diese Verbindlichkeit auch im Falle einer Aufhebung durch das Berufungsgericht bis zur Beendigung des Verfahrens behalten sollte (vgl AB 527 BlgNR 16. GP, 9).

Daraus folgt nach Ansicht des VwGH, dass während des Zeitraums der Verbindlichkeit des erstgerichtlichen Urteils eine abweichende Beurteilung der im Urteil getroffenen Feststellung (über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses; Z 1) durch andere Behörden und Gerichte ausgeschlossen sein sollte, und zwar ungeachtet des Umstands, dass die das Rechtsmittelverfahren beendende Entscheidung allenfalls eine andere Beurteilung als das erstgerichtliche Urteil vornehmen könnte. Dem entspricht auch die Judikatur des OGH (vgl OGH 20. 4. 1994, 9 ObA 37/94, ARD 4579/25/94).

Es gebe auch keinen Hinweis darauf, dass die in § 61 ASGG normierte Verbindlichkeit erstgerichtlicher Urteile auf bestimmte Verfahren beschränkt sein und nicht auch Verfahren nach § 8 Abs 4 BEinstG erfassen sollte.

Aussetzung des Verfahrens rechtswidrig

Für den Revisionsfall ergab sich daraus somit, dass die Aussetzung des Zustimmungsverfahrens nach § 8 BEinstG rechtswidrig war; das Verwaltungsgericht hatte die Verbindlichkeit der erstgerichtlichen Feststellung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu beachten und diese Feststellung der eigenen rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, solange das im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses noch anhängige Verfahren zur Wirksamkeit der Entlassung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war. Für eine eigenständige Beurteilung der Vorfrage war hingegen ebenso wenig Raum wie für eine Aussetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Anderes könnte - so der VwGH - allenfalls bei Vorliegen der in § 61 Abs 2 ASGG umschriebenen Voraussetzungen (entgegengesetzte Vereinbarung der Parteien) gelten; Feststellungen hiezu waren dem angefochtenen Beschluss jedoch nicht zu entnehmen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19882 vom 16.07.2015