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Beratungsfehler: Rentenversicherung für 81-Jährige

GewO 1994 § 137g

VersVG: §§ 166 f

Gemäß § 137g Abs 1 GewO hat der Versicherungsvermittler den Kunden, abgestimmt auf die Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags, entsprechend den Angaben, Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu beraten. Vor Abgabe der Vertragserklärung des Kunden hat der Versicherungsvermittler, insb anhand der vom Kunden gemachten Angaben, zumindest dessen Wünsche und Bedürfnisse genau anzugeben sowie die Gründe für jeden Rat, den er dem Kunden zu einem bestimmten Versicherungsprodukt erteilt hat. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um ein Schutzgesetz für Kundenvermögen (ErläutRV 616 BlgNR 22. GP 13). Die Bestimmung verfolgt eine Intention analog zu den „Wohlverhaltensregeln“ der §§ 11 ff WAG (nunmehr §§ 38 ff WAG 2007; ErläutRV aaO 14).

Die Beratung hat gem § 137g Abs 1 GewO entsprechend der Komplexität des Versicherungsvertrags zu erfolgen. (Langfristige) Produkte mit primär Geldanlagecharakter (Lebensversicherung, Rentenversicherung, fondsgebundene Rentenversicherung etc) sind im Durchschnittsfall als komplexe Produkte mit dem Risiko einer Fehlberatung und Fehlveranlagung anzusehen. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Komplexität sind auch die Prämienhöhe oder die abzusichernden Werte.

Neben dem primär vom Kunden geäußerten Wunsch sind insb die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Kunden, seine Risikobereitschaft, sein Veranlagungshorizont und seine Liquiditätsbedürfnisse zu berücksichtigen. Ausgehend davon ist vom Versicherungsvermittler auch zu prüfen, ob für die Bedürfnisse des Kunden überhaupt ein Versicherungsprodukt in Frage kommt. Ist das nicht der Fall, kann die Beratung über eine Rentenversicherung einen Beratungsfehler indizieren (hier: Beratungsfehler gegenüber 81-jähriger Pensionistin, die einen Rentenversicherungsvertrag mit Einmalerlag bei 12 Jahren garantierter Laufzeit abgeschlossen hat).

OGH 29. 10. 2014, 7 Ob 161/14y

Entscheidung

Beratungsfehler

Der OGH billigte im vorliegenden Fall die rechtliche Beurteilung des BerufungsG, das einen Beratungsfehler der bekl Versicherungsagentin bejahte hatte, weil der abgeschlossene Rentenversicherungsvertrag weder dem Anlageziel noch dem Anlagehorizont der Versicherungsnehmerin (und nunmehrigen Erblasserin) entsprach.

Bei der Rentenversicherung mit Einmalerlag, bei der der Versicherer unmittelbar danach der Versicherungsnehmerin eine monatliche Pensionszahlung zu entrichten hat, handelt es sich um ein Produkt mit Geldanlagecharakter, so der OGH.

Nach den Feststellungen wurde der Erblasserin anlässlich des Beratungsgesprächs am 27. 8. 2010 auf Basis des einen Monat zuvor erstellten „Wertpapier-Anlegerprofils“ der Abschluss des Rentenversicherungsvertrags vorgeschlagen. Darin hatte sie erklärt, zu einem „mittleren Risiko“ bereit zu sein, einen Anlagezeitraum von 5 bis 7 Jahren anzustreben, ihr Anlageziel sei ertragsorientiert und sie wolle jährliche Ausschüttungen. Weiters war daraus auch ersichtlich, dass die 81-jährige Pensionistin nach Abzug der monatlichen Fixkosten über monatliche Einkünfte von über 1.500 € verfügte. Da die Bekl gem § 137g GewO „entsprechend den Angaben, Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu beraten“ hat, ist dieses „Anlegerprofil“ - so der OGH - maßgeblich für die Beurteilung, ob der Rentenversicherungsvertrag diesen Vorgaben entspricht.

Das ist nach Ansicht des OGH nicht der Fall:

„Der angestrebte Veranlagungszeitraum betrug 5 bis 7 Jahre; eine Versorgung mit einer lebenslangen Rente stand für die Erblasserin nicht im Vordergrund. Nichts anderes ergibt sich aus dem Beratungsprotokoll, worin ihre „Wünsche und Bedürfnisse“ mit „Veranlagung des Kapitals bei sofortiger Auszahlung einer attraktiven Zusatzrente“ umschrieben wurden.

Die Bekl zeigt selbst auf, dass bei einem Ableben innerhalb von 12 Jahren die Rückzahlung der gesamten einbezahlten Prämie von 79.999,48 € nicht gesichert ist. Ihre Ansicht, dass sie die Erblasserin über diesen Umstand nicht gesondert aufklären hätte müssen, trifft nicht zu. Die Versicherungsnehmerin war im Zeitpunkt des Abschlusses des Rentenversicherungsvertrags bereits 81 Jahre alt und strebte einen wesentlich kürzeren Veranlagungszeitraum an. Die Rente hätte für sie nur dann „attraktiv“ werden können, wenn sie noch länger als 12 Jahre nach Abschluss des Rentenversicherungsvertrags gelebt hätte. Auf den Widerspruch zwischen dem abgeschlossenen Versicherungsprodukt und ihren im Anlegerprofil geäußerten Bedürfnissen wurde sie nicht hingewiesen. Der Bekl ist daher bei der Vermittlung des Rentenversicherungsvertrags ein Beratungsfehler anzulasten.“

Ermittlung des Schadens - Differenzrechnung

Zur Haftung des Versicherungsvermittlers hielt der OGH fest, dass der Versicherungsvermittler grundsätzlich nicht für das positive Vertragsinteresse haftet. Der Versicherungsnehmer könne nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Versicherungsvermittler pflichtgemäß gehandelt hätte (vgl RIS-Justiz RS0108267 [T21]; RS0030153). Der Schaden sei durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der der „heutige“ hypothetische Vermögensstand (bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der „heutige“ tatsächliche Vermögensstand abzuziehen sei (RIS-Justiz RS0030153 [T1, T35]; 7 Ob 176/06t mwN).

Hätte die Erblasserin bei korrekter Beratung veranlagt, was bei einem vorgefassten Anlageentschluss im Regelfall anzunehmen ist, trifft den Kl als testamentarischen Erben und Gesamtrechtsnachfolger die Behauptungs- und Beweislast für die Wahl und Entwicklung der hypothetischen Alternativanlage, so der OGH. An die Behauptungslast würden aber keine zu strengen Anforderungen gestellt. Im Begehren auf Zahlung des veranlagten Betrags werde regelmäßig die Behauptung enthalten sein, dass eine Alternativanlage (zumindest) das Kapital erhalten hätte (4 Ob 67/12z, LN Rechtsnews 14089 vom 16. 11. 2012 = RdW 2013/16; 7 Ob 221/13w, LN Rechtsnews 17152 vom 25. 4. 2014 = RdW 2014/426).

Das BerufungsG ging hier davon aus, dass die Erblasserin als Alternativveranlagung die Einmalprämie in ein kapitalerhaltendes Finanzprodukt investiert hätte und der Beratungsfehler ursächlich für diesen eingetretenen Schaden gewesen ist. Dieser Beurteilung trat die Revision nicht entgegen, die Bekl wendete sich aber - abgesehen von der Bestreitung von Beratungsfehlern - auch gegen die Höhe des zu ersetzenden Differenzschadens.

Höhe des zu ersetzenden Differenzschadens

Der Kl begehrte die von der Erblasserin investierte Einmalprämie von 79.999,48 € abzüglich der noch an die Erblasserin ausbezahlten Rente von 7.730,24 € und abzüglich von 6.776,37 €, die er als einer der 9 Bezugsberechtigten des Rentenversicherungsvertrags (9 gesetzliche Erben) erhalten hatte (somit 65.492,87 € sA).

Der Kl ist testamentarischer Alleinerbe und Gesamtrechtsnachfolger. In ihrem Testament hatte die Erblasserin die nach ihrem Ableben vorhandenen Sparguthaben (Sparbücher, Sparbriefe) und sämtliche Wertpapiere zu 52 % dem Kl und zu je 16 % zwei Nichten und einem weiteren Neffen vermacht.

Nach den Feststellungen erfolgte die Aufnahme der gesetzlichen Erben als Bezugsberechtigte des Rentenversicherungsvertrags, nachdem die Erblasserin auf Nachfrage dazu keine Angaben gemacht hatte und ohne dass ihr der Unterschied zwischen gesetzlichen und testamentarischen Erben erklärt worden wäre.

Zur testamentarischen Verfügung hält der OGH nun fest, dass ein solches Forderungsvermächtnis gem § 664 ABGB den Nachlass - oder nach der Einantwortung den Erben - zur Abtretung der vermachten Forderung verpflichtet und den begünstigten Legataren einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung gegen die Verlassenschaft oder den eingeantworteten Erben gibt. Ziehe der Erbe (Nachlass) die Forderung ein, so schulde er den Legataren den erlangten Betrag als stellvertretenden Vorteil.

Die Alternativveranlagung in ein kapitalerhaltendes Finanzprodukt sei von diesem Forderungsvermächtnis umfasst. Dabei handle es sich um keine Lebensversicherung, bei der die Einsetzung eines Bezugsberechtigten möglich ist (§§ 166 f VersVG). Anhaltspunkte dafür, dass die Alternativveranlagung nicht vom Vermächtnis umfasst sein sollte, bestehen hier nicht. Da der Schadenersatzanspruch des Kl (Erbe) den Wert der kapitalerhaltenden Alternativveranlagung repräsentiert, steht den drei Legataren somit - so der OGH - eine Forderung jeweils im Umfang von 16 % des Vorteils zu, den der Kl stellvertretend erlangt.

Nach Ansicht des OGH vermochte die Bekl auch nicht aufzuzeigen, warum sich der Kl - mit Ausnahme derjenigen drei gesetzlichen Erben, die zugleich Legatare sind - auf seinen erlittenen Schaden anrechnen lassen müsste, was der Versicherer nach den Behauptungen der Bekl bereits an die Bezugsberechtigten (alle gesetzlichen Erben) ausbezahlt hat (also die gesamte Versicherungssumme): In der abgeschlossenen Rentenversicherung wurde die Bezugsberechtigung der gesetzlichen Erben auf den Todesfall beschränkt. Deren Anspruch auf Leistung der Versicherungssumme falle nicht in den Nachlass der Versicherungsnehmerin, sondern stehe den bezugsberechtigten gesetzlichen Erben unmittelbar zu.

Bei der Differenzrechnung sind hier nach Ansicht des OGH somit nur die Leistungen des Versicherers an jene drei gesetzlichen Erben (Bezugsberechtigte) zu berücksichtigen, die zugleich auch Legatare sind. Ob die Versicherungsleistung vom Versicherer bereits an sie ausgezahlt wurde, steht bislang noch nicht fest; der OGH geht aber von einem Anspruch iHv jeweils 6.776,37 € aus, weil gem § 167 Abs 2 VersVG bei einer Kapitalversicherung die Leistung des Versicherers an die gesetzlichen Erben im Zweifel nach dem Verhältnis ihrer Erbteile erfolgt und der Kl und die drei Vermächtnisnehmer (Neffe und Nichten der Erblasserin) alle gem §§ 731 Abs 2, 735 ABGB zur zweiten Linie beim gesetzlichen Erbrecht gehören (Ansprüche der drei weiteren Bezugsberechtigten/Legatare somit insgesamt 20.329,11 €).

Sollte festgestellt werden, dass der Versicherer den drei Legataren als Bezugsberechtigten jeweils 6.776,37 € ausbezahlt hat, wäre der Kl als Alleinerbe in diesem Umfang von der Verbindlichkeit zur Erfüllung des Forderungsvermächtnisses befreit. Bei wertender Betrachtung sei ihm dieser Betrag zugekommen, müsse er doch den Anteil von jeweils 16 % vom zu erlangenden Schadenersatz (stellvertretenden Vorteil der Investition in ein Anlageprodukt) an die Legatare in der bereits erhaltenen Höhe nicht mehr auszahlen. Das sei bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen und insofern reduziere sich dadurch sein Schadenersatzanspruch.

Der OGH bestätigte daher das Urteil des BerufungsG im Umfang des Zuspruchs von 45.163,76 € sA als Teilurteil (= Differenz zwischen Klagsbetrag von 65.492,87 € und der von den Legataren möglicherweise erhaltenen Zahlung von 20.329,11 €). Ob die drei Legatare vom Lebensversicherer als Bezugsberechtigte jeweils 6.776,37 € ausbezahlt erhielten, muss nun vom ErstG nach Verfahrensergänzung festgestellt werden.

Bearbeiterinnen: Sabine Kriwanek, Barbara Tuma

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18831 vom 27.01.2015