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Bescheiderlassung per Videotelefonie vor COVID-19

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AVG: § 51a, § 62

Im vorliegenden Fall befand sich der Antragsteller in Schubhaft, als ihm der Bescheid (Aufhebung des Abschiebeschutzes gem § 12a Abs 2 AsylG 2005) am 20. 3. 2020 mittels einer technischen Einrichtung zur Wort- und Bildübertragung verkündet wurde. Das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) trat erst mit 22. 3. 2020 in Kraft und kommt daher hier nicht zur Anwendung. Vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG setzte eine mündliche Bescheiderlassung gem § 62 Abs 1 AVG aber die Bescheidverkündung in Gegenwart (physischer Anwesenheit) der Partei voraus; die „Anwesenheit“ in Form der Zuschaltung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (zB mittels Videotelefonie) war nicht ausreichend.

VwGH 7. 9. 2020, Ro 2020/01/0007

Entscheidung

Es ist nicht anzunehmen, dass das Verständnis des historischen Gesetzgebers von der physischen Anwesenheit (Gegenwart) unmittelbar vor dem Behördenorgan durch die nunmehr hinzugekommenen Möglichkeiten der Verwendung technischer Einrichtungen zur (zeitnahen) Wort- und Bildübertragung ohne ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers fortentwickelt wurde (vgl zur äußersten Zurückhaltung gegenüber der Anwendung „korrigierender Auslegungsmethoden“ in der stRsp des VwGH, VwGH 18. 6. 2020, Ro 2020/01/0006, Rn 15, Rechtsnews 29676).

Während die Möglichkeit der Verwaltungsgerichte zur Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (§ 25 Abs 6b VwGVG) mit § 51a AVG auf das behördliche Verfahren erstreckt wurde, blieb § 62 AVG über die mündliche Bescheiderlassung hingegen unverändert. § 51a AVG bezieht sich somit nur auf Vernehmungen, erfasst jedoch nicht (auch) die mündliche Bescheiderlassung. Dies ergibt sich neben dem Wortlaut (arg: „Vernehmungen“) auch aus den Erläuterungen (RV 193 BlgNR 26. GP, 4). Auch die Vorbildregelung des § 277 ZPO für das VwGVG (vgl RV 1255 BlgNR 26. GP, 4) macht deutlich, dass allein die „die Einvernahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter“ durch die neue technische Form der audiovisuellen Einvernahme ersetzt werden soll.

Erst angesichts der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des zwischenmenschlichen Kontakts aufgrund der COVID-19-Pandemie dehnte der Gesetzgeber mit dem COVID-19-VwBG die Verwendung von technischen Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung – zeitlich befristet bis 31. 12. 2020 – ua auf „mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Augenscheine und dergleichen“ aus sowie auf „mündliche Verhandlungen, die andernfalls an Ort und Stelle abzuhalten wären“ (§ 3 Abs 2 COVID-19-VwBG idF BGBl I 2020/42). Diese Novelle beruht auf dem Sonderfall der COVID-19-Pandemie (vgl die Erläuterungen zum IA 397/A BlgNR 27. GP, 32, 36) und ist schon deshalb keine Klarstellung des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtslage, weshalb daraus keine Schlüsse für die Auslegung des § 62 AVG getroffen werden können.

Demnach setzt (im Zeitpunkt vor Inkrafttreten des COVID-19-VwBG) eine mündliche Bescheiderlassung gem § 62 Abs 1 AVG nach wie vor die Bescheidverkündung in Gegenwart (physischer Anwesenheit) der Partei voraus.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29888 vom 04.11.2020