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Dublin-III-VO: Unterbringung als "Inhaftierung"?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

Dublin-III-VO: Art 29

Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob die Abschiebung (Überstellung) des Revisionswerbers nach Italien am 6. 12. 2017 rechtmäßig war, was von der Frage abhängt, ob diese Maßnahme vor dem Hintergrund von Art 29 Dublin-III-VO fristgerecht erfolgte.

Nach Art 29 Abs 1 Unterabsatz 1 der Dublin-III-VO erfolgt die Überstellung der betreffenden Person nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Nach Ablauf der 6-Monats-Frist ist der zuständige Mitgliedstaat grds nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über; Art 29 Abs 2 Satz 2 der Dublin-III-VO sieht allerdings vor, dass die Frist „höchstens auf ein Jahr verlängert werden“ kann, wenn die Überstellung aufgrund der “Inhaftierung“ der betreffenden Person nicht erfolgen konnte. Der Begriff „Inhaftierung“ ist in der Dublin-III-VO nicht näher definiert und der VwGH möchte daher nun vom EuGH wissen, ob darunter auch eine Unterbringung in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses zu verstehen ist, die wegen psychischer Erkrankung gegen oder ohne den Willen der betroffenen Person vorgenommen und vom Gericht für zulässig erklärt wurde.

Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich bei der gegenständlichen Anhaltung in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses um eine „Inhaftierung“ iSd Art 29 Abs 2 Satz 2 der Dublin-III-VO handelt, wäre nach Ansicht des VwGH auch die Frage zu klären, in welchem Ausmaß dann konkret eine Verlängerung der Überstellungsfrist erfolgen kann.

VwGH 25. 3. 2021, Ro 2020/21/0008 (EU 2021/0001)

Vorlagefragen:

1.Ist unter einer Inhaftierung iSd Art 29 Abs 2 Satz 2 der VO (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl 2013, L 180, 31, auch eine von einem Gericht für zulässig erklärte Unterbringung des Betroffenen in der psychiatrischen Abteilung einer Krankenanstalt gegen oder ohne seinen Willen (hier aufgrund einer sich aus seiner psychischen Erkrankung ergebenden Eigen- und Fremdgefährdung) zu verstehen?
2.Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird:
a)Kann - mit Bindung für den Betroffenen - die Frist des Art 29 Abs 2 Satz 1 der eben genannten Verordnung im Fall einer Inhaftierung durch den ersuchenden Mitgliedstaat jedenfalls auf ein Jahr verlängert werden?
b)Wenn nein, um welchen Zeitraum ist eine Verlängerung zulässig, etwa nur um jenen Zeitraum,
aa)den die Inhaftierung tatsächlich dauerte, oder
bb)den die Inhaftierung, bezogen auf den Zeitpunkt der Unterrichtung des zuständigen Mitgliedstaats nach Art 9 Abs 2 der VO (EG) 1560/2003 der Kommission vom 2. 9. 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr 343/2003 (ABl 2003, L 222, S 3) in der durch die DurchführungsVO (EU) Nr 118/2014 der Kommission vom 30. 1. 2014 (ABl 2014, L 39, S 1) geänderten Fassung, voraussichtlich insgesamt dauern wird,
allenfalls jeweils zuzüglich einer angemessenen Frist für die neuerliche Organisation der Überstellung?
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30745 vom 15.04.2021