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*Ergebnis einer Umfrage unter 225 Steuerberater:innen und Rechtsanwält:innen (Mai 2024) durchgeführt von IPSOS im Auftrag von LexisNexis Österreich.
Im 3. Quartal 2017 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über zwei Beschwerden entschieden, die gegen die Republik Österreich gerichtet waren.
Importance Level 2:
Verzögerte Durchsetzung einer Rückführungsentscheidung
EGMR 21. 9. 2017, 53661/15, Sévère v. Austria (Rückführungsverfahren nach dem HKÜ)
Verletzung von Art 8 EMRK (Recht auf Familienleben):
In dieser Rs stellt der EGMR erneut eine Verletzung des Grundrechts auf Familienleben (Art 8 EMRK) in einem österreichischen Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) fest (siehe auch 4.097/13, M. A. v Österreich = Zak 2015/38, 23):
Nachdem die Mutter das Kind im Dezember 2008 nach einem Streit mit dem Vater nach Österreich mitgenommen hatte, lag seit Oktober 2009 eine rechtskräftige Entscheidung vor, die auf Antrag des Vaters die Rückkehr des Kindes nach Frankreich anordnete. Ein noch 2009 unternommener Versuch, diese Entscheidung durchzusetzen, blieb erfolglos. Danach kam es im Durchsetzungsverfahren zu zahlreichen Rechtsgängen, die zunächst einen unbewiesenen sexuellen Missbrauch des Kindes durch den Vater und danach die mögliche Gefährdung des Kindes durch die Trennung von der Mutter zum Thema hatten.
Letztlich wurde die Durchsetzung der Rückführungsentscheidung im Jahr 2015 mit der Begründung abgelehnt, das Rückführungshindernis der Kindeswohlgefährdung (Art 13 lit b HKÜ) liege vor, weil die Mutter, die das Kind mittlerweile seit langer Zeit allein betreut, in Frankreich aufgrund der Entführung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die Vollziehung dieser Strafe im Fall ihrer Rückkehr nicht ausgeschlossen werden kann und die damit verbundene Trennung zu einer schweren Traumatisierung des Kindes führen würde (6 Ob 67/15v = Zak 2015/346, 193).
Der EGMR kritisierte va, dass nach dem ersten erfolglosen Versuch keine ausreichenden weiteren Schritte gesetzt wurden, um die Rückführungsentscheidung zeitnah zu vollziehen. Eine in der Zwischenzeit eingetretene Umstandsänderung könne die Nichtdurchsetzung der Rückführungsentscheidung zwar rechtfertigen. Hier sei die Änderung jedoch hauptsächlich auf den Zeitverlauf zurückzuführen, für den die Säumnisse bei der zeitnahen Durchsetzung verantwortlich seien. Daher liege ein Verstoß gegen Art 8 EMRK vor.
Anmerkung: Von der Novellierung der Durchführungsbestimmungen zum HKÜ, die am 1. 9. 2017 in Kraft getreten ist (KindRückG 2017; BGBl I 2017/130), erwartet sich der Gesetzgeber eine Beschleunigung von Rückführungsverfahren. (Wolfgang Kolmasch)
Importance Level 3:
Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug
EGMR 20. 7. 2017, 11.537/11, Lorenz v. Austria (Aufenthalt in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in der Länge von ca 29 Jahren; keine Entlassungsvorbereitung, weil der Bf die weitere psychiatrische Behandlung verweigerte)
Verletzung von Art 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit):
Nach drei Morden im Jahr 1983 wurde der Bf zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt; wegen seiner schweren psychischen Erkrankungen wurde er allerdings gem § 21 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe (2003) verblieb er gem § 25 StGB als vorbeugende Maßnahme weiterhin in Anstaltsunterbringung. Zwar erfolgte eine regelmäßige Überprüfung der weiteren Rechtsmäßigkeit dieser Unterbringung, eine Überstellung in die Justizanstalt Wien-Mittersteig, wo er die erforderliche Therapie zur Entlassungsvorbereitung erhalten hätte, wurde ihm aber – mit unterschiedlicher Begründung – verweigert, va aber, weil er eine weitere psychiatrische Behandlung ablehnte.
Der EGMR erkannte auf eine Verletzung von Art 5 Abs 1 und Abs 4 EMRK:
Zwar verweigerte der Bf eine weitere psychiatrische Behandlung, verlangte aber gleichzeitig wiederholt Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung. Die Strafvollzugsbehörden hätten daher nach Ansicht des EGMR einen Weg finden müssen, diese Pattstellung zu überwinden. Auch hinsichtlich der Weigerung des Bf, an der Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen mitzuwirken, verlangt der EGMR etwa, dass das Gericht in diesem Fall eine Sachverständigengutachten allein auf Grundlage des bisherigen Akteninhalts einholen hätte müssen.
Unter Verstoß gegen Art 5 Abs 1 EMRK war damit der Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Verurteilung und dem weiteren Freiheitsentzug unterbrochen.
Einen Verstoß gegen Art 5 Abs 4 EMRK ortete der EGMR weiters in der Länge einer der Überprüfungen (Verfahrensdauer von 11 Monaten).
Im Ergebnis sprach der EGMR dem Bf einen Betrag iHv € 3.000 für seinen immateriellen Schaden zu, der allein durch die Feststellung einer Rechtsverletzung nicht abgegolten ist; den ebenfalls begehrten Ersatz für Verdienstentgang lehnte der EGMR aber ab (der Bf hatte sich darauf gestützt, dass ihm sein Anwalt eine Beschäftigung zugesagt hätte).
Die Volltexte aller Entscheidungen sind in Englisch auf der Homepage des EGMR unter https://hudoc.echr.coe.int abrufbar.