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EGMR: Entscheidungen betr Österreich im 4. Quartal 2017

Bearbeiter: Barbara Tuma

Im 4. Quartal 2017 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über insg drei Beschwerden entschieden, die gegen die Republik Österreich gerichtet waren:

Importance Level 2:

Tod eines Asylwerbers im Hungerstreik

EGMR 16. 11. 2017, 72126/14, Ceesay v. Austria (Tod eines Asylwerbers in Schubhaft im Zuge eines Hungerstreiks)

Bf im vorliegenden Fall ist der Bruder eines Asylwerbers aus Gambia, der in Schubhaft während eines Hungerstreiks verstorben war. Wie ein Gutachten im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen und ein anderes Gutachten im Verwaltungsverfahren (über die Schubhaft- und die Maßnahmenbeschwerde des Bf) übereinstimmend ergaben, war der Tod auf die Sichelzellenanlage des Verstorbenen zurückzuführen, die in Kombination mit der Dehydrierung während des Hungerstreiks letztlich zum Tod führte. Nach den Gutachten bestanden keine Anzeichen für Versäumnisse der behandelnden Ärzte bzw des Anhaltezentrums.

Es wurden daher sowohl die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt als auch – letztlich im 3. Rechtsgang – die Beschwerden des Bf abgewiesen (zur Aufhebung im ersten Rechtsgang vgl VwGH 30. 8. 2007, 2006/21/0054, Rechtsnews 3805).

Keine Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben – effektive Untersuchung des Todesfalls):

Nach eingehender Auseinandersetzung mit den Maßnahmen im strafrechtlichen und im verwaltungsbehördlichen Verfahren kommt der EGMR zum Ergebnis, dass die Untersuchungen ausführlich geführt und den Behörden keine Vorwürfe gemacht werden können.

Dem Argument, dass der Asylwerber auf das Vorliegen von Sichelzellenanlage hätte untersucht werden müssen, weil er aus einer Hochrisiko-Zone stammt (diese Anlage weisen 30 % der Einwohner der Sub-Sahara-Zone in Afrika auf), hält der EGMR entgegen, dass der Betroffenen von dieser Anlage selbst nichts wusste und dass die Behörden ohne klare Anzeichen für diese Anlage auch nicht verpflichtet waren, derartige medizinischen Tests durchzuführen (so schon der VwGH im ersten Rechtsgang; danach führt allein die Anhaltung einer Person in Schubhaft nicht zu einer Erweiterung von Fürsorgepflichten des Staates betreffend die Gewährleistung der medizinischen Versorgung; vgl Rechtsnews 3805).

Keine Verletzung von Art 3 EMRK (Verbot von Folter bzw unmenschlicher Behandlung):

Zum Verbot erniedrigender und unmenschlicher Behandlung macht der Bf ua geltend, dass sein Bruder weiterhin angehalten wurde, obwohl er dazu nicht mehr gesund genug gewesen sei, und dass er außerdem – kurz vor seinem Tod – nach der letzten ärztlichen Untersuchung im Spital in einer Sicherheitszelle untergebracht war, in der kein Fließwasseranschluss vorhanden war.

Auch in diesem Zusammenhang schließt sich der EGMR der Einschätzung der österreichischen Gerichte und Behörden an, dass der ernste Gesundheitszustand des Asylwerbers nicht erkennbar war und seine Unterbringung in einer Sicherheitszelle eine Folge seines aggressiven Verhaltens während der ärztlichen Untersuchung im Spital war.

Der Asylwerber wurde während seines insg nur 6-tägigen Hungerstreiks täglich ärztlich betreut, was den internationalen Standards entspricht, und war sogar wenige Stunden vor seinem Tod zur Untersuchung in einem Krankenhaus.

Nach Ansicht des EGMR wäre es sicherlich empfehlenswert gewesen, den Asylwerber direkten Zugang zu Wasser zu gewähren und ihn darauf hinzuweisen, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, das Fehlen dieser Maßnahmen kann unter den gegebenen Umständen aber nicht als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gewertet werden, weil der ernste Gesundheitszustand und rasche Eintritt des Todes (innerhalb des Intervalls zwischen den ca viertelstündlichen Kontrollen des Wachpersonals) nicht vorhersehbar waren.

Auslieferung nach Kosovo

EGMR 7. 12. 2017, 34999/16, D.L. v. Austria (Auslieferungsersuchen des kosovarischen Justizministeriums betr D.L. wegen des Verdachts der Bestimmungstäterschaft betr einen Mordanschlag)

Keine Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben) und keine Verletzung von Art 3 EMRK (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung):

Im vorliegenden Fall konnte sich der EGMR davon überzeugen, dass die österreichischen Gerichte und Behörden den Fall eingehend geprüft haben (insg drei Verfahrensgänge inkl. Wiederaufnahme- und Erneuerungsverfahren) und dabei auch die Gefährdung des Bf iZm der behaupteten Blutrache zwischen seiner Familie und der angeblich sehr einflussreichen Familie des Opfers ausreichend berücksichtigt wurde.

Die Gefahr unmenschlicher Behandlung besteht nach den neuesten Länderberichten nicht mehr in allen kosovarischen Haftanstalten, jedenfalls nicht in der von Mitrovica, die im vorliegenden Fall in Betracht kommt. Dass der Bf jemals durch die kosovarischen Behörden unangemessene Behandlung erfahren hätte, wurde von ihm nicht behauptet.

Bereits veröffentlicht:

Importance Level 2:

-EGMR 26. 10. 2017, 28475/12, Ratzenböck and Seydl v. Austria (Eingetragene Partnerschaft auch für heterosexuelle Paare?): Der EGMR sieht im Ausschluss verschiedengeschlechtlicher Paare von der Begründung einer eingetragenen Partnerschaft keine Verletzung von Art 14 und 8 EMRK (Verbot der Benachteiligung, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens); siehe dazu bereits Zak 2017/663.
Hinweis: Auch der VfGH hatte in B 1405/10 = Zak 2011/782, 415 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Volltexte aller Entscheidungen sind in Englisch auf der Homepage des EGMR unter https://hudoc.echr.coe.int abrufbar.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24719 vom 02.01.2018