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Gegenstand einer Richtlinienbeschwerde gem § 89 Abs 2 iVm Abs 4 SPG ist das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 5 SPG), das am Maßstab der „Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes“ (Richtlinien-Verordnung - RLV; Verordnung des BMI gem § 31 SPG) zu messen ist. Die Frage einer allfälligen Richtlinienverletzung ist grds ausschließlich anhand der konkreten Einzel-Anordnungen der RLV zu beantworten.
§ 6 Abs 1 RLV enthält Richtlinien für den Fall, dass ein Mensch von der Amtshandlung eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes betroffen ist: Bei der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt ist dem Betroffenen gem § 6 Abs 1 Z 1 erster Satz RLV „auf Verlangen“ mitzuteilen, welche Rechte ihm in dieser Eigenschaft jeweils zukommen. Selbst der äußerst möglichen Wortsinn des § 6 Abs 1 Z 1 RLV deckt nicht eine Auslegung dahin, dass die Mitteilungspflicht bereits dann verletzt wäre, wenn ein Betroffener erst gar nicht die Möglichkeit erhält, ein Verlangen auf Mitteilung seiner Rechte zu äußern.
Daran ändert eine – wie hier – festgestellte Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 6 Abs 1 Z 2 RLV nichts, zumal die Mitteilungspflichten des § 6 Abs 1 Z 1 und 2 RLV unabhängig voneinander bestehen und nur § 6 Abs 1 Z 1 RLV ein „Verlangen“ voraussetzt. § 6 Abs 1 Z 2 RLV verpflichtet die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Betroffenen bei einer Amtshandlung – über die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt hinaus und unabhängig von dessen Verlangen – den Zweck des Einschreitens bekannt zu geben, es sei denn, dieser wäre offensichtlich oder die Bekanntgabe würde die Aufgabenerfüllung gefährden. Die in § 6 Abs 1 Z 2 RLV normierte Auskunftspflicht über den Zweck des Einschreitens setzt lediglich den Versuch voraus, den Betroffenen mit den unter Bedachtnahme auf den Vorrang der Aufgabenerfüllung zu Gebote stehenden Mitteln über den Zweck des Einschreitens zu informieren, nicht jedoch, dass der Zweck dem Betroffenen in jedem Fall für ihn verständlich zur Kenntnis gebracht werden muss. Für die Erfüllung der Auskunftspflicht iSd § 6 Abs 1 Z 2 RLV reicht es daher aus, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes für die Information des Betroffenen über den Zweck des Einschreitens die Mitteln einsetzen, die ihnen unter Bedachtnahme auf den Vorrang der Aufgabenerfüllung zu Gebote stehen. Ob die Organe ihrer Auskunftspflicht in diesem Sinn nachgekommen sind, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Allein der Umstand, dass von der Abriegelung und Anhaltung betroffene Versammlungsteilnehmer mittels Lautsprecherdurchsagen über den Zweck der Maßnahme informiert wurden, jedoch nicht alle betroffenen Versammlungsteilnehmer die an sich verständlichen Durchsagen infolge eines situationsbedingt sehr hohen Geräuschpegels (Hupen, Pfiffe und Trommeln) hören oder verstehen konnten, begründet noch keine Verletzung der Auskunftspflicht gem § 6 Abs 1 Z 2 RLV. Solche Lautsprecherdurchsagen können vielmehr grds einen situationsbedingt ausreichenden Versuch der Auskunftserteilung gem § 6 Abs 1 Z 2 RLV darstellen.
VwGH 6. 2. 2025, Ra 2023/01/0042
Entscheidung
Nach den Feststellungen des VwG betraf das Einschreiten der Organe der Amtsrevisionswerberin (Anhalten von Versammlungsteilnehmern in einem von der restlichen Versammlung abgeriegelten Bereich) eine größere Anzahl (etwa 300) an Personen. Allein der Umstand, dass nicht alle betroffene Versammlungsteilnehmer die an sich verständlichen Lautsprecherdurchsagen infolge des situationsbedingt sehr hohen Geräuschpegels hören oder verstehen konnten, begründet noch keine Verletzung der Auskunftspflicht gem § 6 Abs 1 Z 2 RLV.
Allerdings informierten die Organe der Amtsrevisionswerberin die angehaltenen Versammlungsteilnehmer erst ca 27 Minuten nach Beginn der Abriegelung zwei Mal mittels Lautsprecherdurchsagen, bei der Identitätsfeststellung mitzuwirken.
Zu berücksichtigen ist vorliegend die große Anzahl von angehaltenen Versammlungsteilnehmern im abgeriegelten Bereich, der situationsbedingt hohe Geräuschpegel und der Druck auf den abgeriegelten Bereich durch nachkommende Versammlungsteilnehmer verbunden mit Gewalttätigkeiten der Versammlungsteilnehmer sowohl innerhalb als auch außerhalb des abgeriegelten Bereichs gegen die Einsatzkräfte. Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 6 Abs 1 Z 2 RLV, den betroffenen Versammlungsteilnehmern durch Information ein adäquates Reagieren zu ermöglichen und so die Gefahr einer Eskalation nach Möglichkeit hintanzuhalten, reichen diese beiden Lautsprecherdurchsagen erst ca 27 Minuten nach Beginn der Abriegelung unmittelbar hintereinander nicht für die Erfüllung der Auskunftspflicht nach § 6 Abs 1 Z 2 RLV.
Auch bei Beachtung des Vorrangs der Aufgabenerfüllung ist nicht davon auszugehen, dass die Organe der Amtsrevisionswerberin damit alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für eine Verständigung der Betroffenen genutzt haben. Dass den Organen der Amtsrevisionswerberin in Bezug auf die beabsichtigte Feststellung der Identität einer größeren Gruppe von Versammlungsteilnehmern mehrfach widerholte Lautsprecherdurchsagen nicht bereits zu Beginn der Abriegelung oder zumindest kurz danach möglich gewesen wären, ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht. Die Amtsrevisionswerberin erstattete auch kein diesbezügliches Vorbringen.