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EuGH: Anlegerschaden – internationale Zuständigkeit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuGVVO 2012: Art 7

Ansprüche wegen unerlaubter Handungen können gegen eine Person mit (Wohn-)Sitz in einem Mitgliedstaat nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 vor dem Gericht des Ortes geltend gemacht werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Mit dem Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ iSv Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint, so dass der Bekl nach Wahl des Kl vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann.

Ziel der EuGVVO 2012 ist es, den Rechtsschutz in der Weise zu verbessern, dass der Kl ohne Schwierigkeiten feststellen kann, welches Gericht er anrufen kann, und zugleich der Bekl vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann, wenn er seinen gesetzlichen Pflichten nicht nachkommt. Im Fall eines börsennotierten Unternehmens kann in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadens daher nur die Zuständigkeit der Gerichte derjenigen Mitgliedstaaten begründet werden, in denen dieses Unternehmen die gesetzlichen Offenlegungspflichten für seine Börsennotierung erfüllt hat. Denn nur in diesen Mitgliedstaaten kann ein solches Unternehmen vernünftigerweise damit rechnen, dass es einen Anlagemarkt gibt und möglicherweise seine Haftung ausgelöst wird.

Wurden Anlageentscheidungen aufgrund von weltweit problemlos zugänglichen, aber unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Informationen eines internationalen börsennotierten Unternehmens getroffen, erlaubt es der unmittelbare Eintritt eines reinen Vermögensschadens auf dem Anlagekonto somit dann nicht, in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs die internationale Zuständigkeit eines Gerichts des Mitgliedstaats zu bejahen, in dem die kontoführende Bank oder Investmentgesellschaft ihren Sitz hat, wenn für das betreffende Unternehmen in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten.

EuGH 12. 5. 2021, C-709/19, Vereniging van Effectenbezitters

Ausgangsfall

Zu einem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen.

BP ist ein weltweit tätiges Erdöl- und Gasunternehmen. Ihre Stammaktien sind an den Börsen in London und Frankfurt (Deutschland) notiert. Nach einer Explosion auf der Ölbohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko im April 2010 kam es zu Umweltschäden. Die vorliegende Verbandsklage einer Anlegerschutz-Vereinigung in den Niederlanden wurde 2015 im Namen aller Personen erhoben, die bis 25. 6. 2010 Stammaktien von BP über ein Anlagekonto bei einer Bank und/oder Investmentgesellschaft in den Niederlanden erworben, gehalten oder verkauft hatten.

Die Kl stützt sich hinsichtlich der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte darauf, dass der Wertverlust der Aktien nicht Unwägbarkeiten an den Finanzmärkten zuzuschreiben sei, sondern den unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Informationen, die BP zu der Ölpest gemacht habe; BP habe damit gegen ihre gesetzlichen Informationspflichten verstoßen. Als Folge davon hätten die Aktionäre Anlageentscheidungen getroffen, die sie bei richtiger und vollständiger Darstellung der Sachlage nicht getroffen hätten. Als die richtigen Informationen dann bekannt geworden seien, hätten ihre Aktien an Wert verloren. Da die Aktien (Ansprüche der Aktionäre in Bezug auf diese Aktien) auf Anlagekonten bei einer niederländischen Bank und/oder Investmentgesellschaft verwaltet worden seien (Gutschriften und Belastungen), sei der Schaden (Wertverlust der Aktien infolge des rechtswidrigen Handelns von BP) unmittelbar in den Niederlanden auf dem Anlagekonto eingetreten.

In seinen Entscheidungsgründen erinnert der EuGH va an das VO-Ziel der Vorhersehbarkeit, das nicht im selben Maße gewährleistet wäre, wenn für den Emittenten in dem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten gelten, in dem das Anlagekonto geführt wird, über das in einem anderen Staat börsennotierte Aktien erworben werden. Die emittierende Gesellschaft könnte dann nicht vorhersehen, vor welchen international zuständigen Gerichten sie verklagt werden könnte.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 30891 vom 14.05.2021