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EuGH: Bekämpfung der organisierten Kriminalität bei Auftragsvergabe

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2004/18/EG: Art 45

Grundsätzlich verstößt es nicht gegen die allgemeinen Grundsätze des AEUV (insb die Gebote der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und der Transparenz), wenn ein öffentlicher Auftraggeber nach dem nationalen Recht vorsehen kann, dass ein Bieter von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags automatisch ausgeschlossen wird, wenn er nicht mit seinem Antrag bestimmte Verpflichtungserklärungen gemäß einem „Legalitätsprotokoll“ abgibt, dessen Zweck es ist, Infiltrationen der organisierten Kriminalität im Bereich der öffentlichen Aufträge zu bekämpfen. Beziehen sich die Erklärungen dieses „Legalitätsprotokoll“ jedoch auch darauf, dass der Bieter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Bewerbern befindet oder mit diesen verbunden ist, keinen Vertrag mit anderen am Vergabeverfahren Beteiligten geschlossen hat und auch nicht schließen wird und keinerlei Aufgaben an andere an diesem Verfahren beteiligte Unternehmen weitervergeben wird, darf das Fehlen dieser Erklärungen nicht den automatischen Ausschluss des Bieters zur Folge haben.

EuGH 22. 10. 2015, C-425/14, Impresa Edilux und SICEF

Entscheidung

Zu einem italienischen Vorabentscheidungsersuchen.

Prüfung anhand der AEUV-Grundsätze

Die Vorlagefragen betreffen zwar die Auslegung von Art 45 RL 2004/18/EG. Da der Wert des öffentlichen Bauauftrags den für diese RL maßgeblichen Schwellenwert nicht erreicht und die strengen Verfahren der RL und somit auch Art 45 RL 2004/18/EG im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits keine Anwendung findet, prüft der EuGH zumindest die erste Vorlagefrage anhand der Grundregeln und allgemeinen Grundsätzen des AEUV, weil das dafür erforderliche eindeutige grenzüberschreitende Interesse hier besteht: Einige Bestimmungen der besonderen Verfahrensregelung für den gegenständlichen Auftrag betreffen nämlich die Teilnahme von nicht in Italien ansässigen Unternehmen.

Verpflichtungserklärungen

Keine Bedenken hegt der EuGH gegen Bestimmungen des „Legalitätsprotokolls“, die das loyale Verhalten des Bewerbers gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber (keine Absprache mit anderen Bewerbern) und die Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften bzw die Verpflichtung betreffen, ua über den Fortschritt der Arbeiten und über die Subunternehmerverträge zu informieren und ua jeden Versuch einer Störung, Unregelmäßigkeit, Erpressung, Einschüchterung oder strafbarer Beeinflussung anzuzeigen und dieselben Klauseln in die Subunternehmerverträge aufzunehmen.

Für bedenklich hält der EuGH jedoch eine Erklärung, nach der der Bewerber nicht von anderen Konkurrenten abhängig oder mit ihnen verbunden ist. Ein automatischer Ausschluss bei Nichtabgabe dieser Erklärung schließt nämlich für die Bieter die Möglichkeit aus, die Unabhängigkeit ihrer Angebote nachzuweisen, und läuft daher dem Unionsinteresse daran zuwider, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird.

Als unverhältnismäßig erachtet der EuGH auch die Verpflichtung zu einer Erklärung, nach der der Teilnehmer keinen Vertrag mit anderen am Vergabeverfahren Beteiligten geschlossen hat oder schließen wird. Eine solche Erklärung schließt nämlich jede Vereinbarung zwischen den Beteiligten aus, und zwar auch solche, die nicht geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken.

Das Gleiche gilt nach Ansicht des EuGH für die Erklärung des Legalitätsprotokolls, keinen Subunternehmerauftrag an andere am Vergabeverfahren beteiligte Unternehmen zu vergeben. Eine solche Erklärung beinhaltet nämlich eine unwiderlegliche Vermutung, dass die Vergabe eines Unterauftrags durch den Zuschlagsempfänger nach der Auftragsvergabe an einen anderen an derselben Ausschreibung Beteiligten auf einer Kollusion zwischen den beiden Unternehmen beruht, und nimmt ihnen damit die Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. Daher geht nach Auffassung des EuGH auch eine solche Erklärung über das hinaus, was zur Verhinderung kollusiver Verhaltensweisen erforderlich ist.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Die Grundregeln und allgemeinen Grundsätze des AEU-Vertrags, insb die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie das sich daraus ergebende Transparenzgebot, sind dahin zu verstehen, dass sie einer Vorschrift des nationalen Rechts nicht entgegenstehen, nach der ein öffentlicher Auftraggeber vorsehen kann, dass ein Bewerber oder Bieter von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags automatisch ausgeschlossen wird, wenn er nicht mit seinem Antrag eine schriftliche Annahme der Verpflichtungen und Erklärungen abgegeben hat, die in einem Legalitätsprotokoll wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden enthalten sind, dessen Zweck es ist, Infiltrationen der organisierten Kriminalität im Bereich der öffentlichen Aufträge zu bekämpfen. Soweit dieses Protokoll jedoch Erklärungen enthält, nach denen sich der Bewerber oder Bieter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Bewerbern oder Bietern befindet oder mit diesen verbunden ist, keinen Vertrag mit anderen am Vergabeverfahren Beteiligten geschlossen hat und auch nicht schließen wird und keinerlei Aufgaben an andere an diesem Verfahren beteiligte Unternehmen weitervergeben wird, kann das Fehlen solcher Erklärungen nicht den automatischen Ausschluss des Bewerbers oder des Bieters von diesem Verfahren zur Folge haben.

Hinweis: Die RL 2004/18/EG wird mit Wirkung zum 18. 4. 2016 durch die RL 2014/24/EU ersetzt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20444 vom 23.10.2015