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EuGH: Durchsetzung von Unionsrecht – Zwangshaft gegen Amtsträger?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

GRC: Art 6, Art 47, Art 52

Weigert sich eine nationalen Behörde beharrlich (hier: im Freitstaat Bayern) einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihr die Erfüllung einer klaren, genauen und unbedingten Verpflichtung aus dem Unionsrecht aufgetragen wird (hier: aus der RL 2008/50/EG [über Luftqualität und saubere Luft für Europa]), kann das zuständige nationale Gericht (hier: nach mehrfacher Verhängung von Zwangsgeld) Zwangshaft gegen Amtsträger der Behörde nur verhängen, wenn es im innerstaatlichen Recht eine Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Zwangsmaßnahme gibt, die hinreichend zugänglich, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbar ist; außerdem muss die damit verbundene Einschränkung des durch Art 6 GRC garantierten Rechts auf Freiheit den übrigen Voraussetzungen genügen, die insoweit in Art 52 Abs 1 GRC aufgestellt sind (Anm d Red: ua Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit, Schutz des Gemeinwohls). Das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ist nämlich kein absolutes Recht und kann – ua zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (hier: Recht auf Freiheit gem Art 6 GRC) – Einschränkungen unterliegen. Fehlt im innerstaatlichen Recht hingegen eine solche Rechtsgrundlage, ermächtigt das Unionsrecht das nationale Gericht nicht, auf eine derartige Maßnahme zurückzugreifen.

EuGH 19. 12. 2019, C-752/18, Deutsche Umwelthilfe

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Das Unionsrecht, insb Art 47 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ist dahin auszulegen, dass unter Umständen, die durch die beharrliche Weigerung einer nationalen Behörde gekennzeichnet sind, einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihr aufgegeben wird, eine klare, genaue und unbedingte Verpflichtung zu erfüllen, die sich aus dem Unionsrecht, etwa aus der RL 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 5. 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa, ergibt, das zuständige nationale Gericht Zwangshaft gegen Amtsträger der Behörde zu verhängen hat, wenn es in den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Zwangsmaßnahme gibt und wenn die damit verbundene Einschränkung des durch Art 6 der Charta der Grundrechte garantierten Rechts auf Freiheit den übrigen insoweit in ihrem Art 52 Abs 1 aufgestellten Voraussetzungen genügt. Fehlt im innerstaatlichen Recht hingegen eine solche Rechtsgrundlage, ermächtigt das Unionsrecht das nationale Gericht nicht, auf eine derartige Maßnahme zurückzugreifen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28462 vom 20.12.2019