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EuGH: Finanzsicherheit - Verwertung trotz Insolvenzverfahren?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

RL 2002/47/EG: Art 2, Art 3, Art 4, Art 8

Verpfändet der Kontoinhaber das Guthaben auf seinem Bankkonto zugunsten der Bank, um alle Forderungen der Bank gegen ihn zu besichern, und wird in der Folge gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet, darf die Bank diese Sicherheit nach der RL 2002/47/EG [über Finanzsicherheiten] unter folgenden Voraussetzungen verwerten:

-Das Guthaben ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen. Ist es am Tag der Insolvenzeröffnung dort eingegangen, muss die Bank nachweisen, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte.
-Da nur besitzgebundene Finanzsicherheiten unter die RL 2002/47/EG fallen, muss der Inhaber des Kontos daran gehindert gewesen sein, nach Eingang des Betrags auf dem Konto über das Guthaben zu verfügen.

EuGH 10. 11. 2016, C-156/15, Private Equity Insurance Group

Zu einem lettischem Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Sachlicher Anwendungsbereich

Die durch die RL 2002/47/EG eingeführte Regelung schließt es aus, dass die Bestellung von Finanzsicherheiten von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängt, und gibt den Sicherungsnehmern das Recht, die Finanzsicherheiten zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Die Sicherheit iSd RL 2002/47/EG muss gem deren Art 1 Abs 4 Buchst a aus einer Barsicherheit oder Finanzinstrumenten bestehen. Der Begriff „Barsicherheit“ wird in Art 2 Abs 1 Buchst d der RL als ein „auf einem Konto gutgeschriebener Betrag oder vergleichbare Geldforderungen, beispielsweise Geldmarkt-Sichteinlagen“, definiert. Bargeld ist aus dieser Definition ausgeschlossen (18. Erwägungsgrund der RL). Da in der RL 2002/47/EG kein anderer Ausschluss vorgesehen ist, stellt der EuGH zunächst fest, dass diese Definition das Guthaben auf einem Bankkonto (wie hier) erfasst.

Dass der sachliche Anwendungsbereich der RL 2002/47/EG auf Barguthaben auf Konten beschränkt wäre, die im Rahmen von Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen iSd RL 98/26/EG genutzt werden, schließt der EuGH aus.

Besitzgebundene Finanzsicherheiten

Weiters hält der EuGH fest, dass die RL 2002/47/EG nach ihrem Art 1 Abs 5 Unterabs 1 allerdings für besitzgebundene Finanzsicherheiten gilt. Folglich kann man - so der EuGH - nur dann annehmen, dass der Sicherungsnehmer einer Sicherheit wie hier (Guthaben auf einem gewöhnlichen Bankkonto) „den Besitz oder die Kontrolle“ an bzw über dieses Guthaben erlangt hat, wenn der Sicherungsgeber daran gehindert ist, über die Sicherheit zu verfügen.

Konto-Guthaben und Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung

Dass eine Finanzsicherheit grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der RL 2002/47/EG fällt, wenn sie nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellt wurde, leitet der EuGH aus Art 8 RL 2002/47/EG ab:

Auf Finanzsicherheiten, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt wurden, darf das Insolvenzverfahren gem Art 8 Abs 1 und 3 der RL grds nicht zurückwirken. Ausnahmsweise rechtlich verbindlich und absolut wirksam ist eine Sicherheit nach Art 8 Abs 2 der RL, wenn sie am Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt wurde und wenn der Sicherungsnehmer nachweist, dass er von der Eröffnung des Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte. Daraus folgt, dass die RL 2002/47/EG - vorbehaltlich der Fälle des Art 8 Abs 2 - die nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellten Sicherheiten nicht erfasst.

Das vorlegende Gericht muss daher nun insbesondere prüfen,

1.ob der von der Bank abgebuchte Betrag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem Konto eingegangen ist (oder - falls er am Tag der Insolvenzeröffnung dort eingegangen ist - die Bank nachgewiesen hat, dass sie von der Insolvenzeröffnung keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte) und
2.ob der Sicherungsgeber daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf dem Konto über dieses Guthaben zu verfügen.

Gläubigergleichbehandlung

Das vorlegende Gericht zweifelt weiters daran, ob die Regelungen der RL 2002/47/EG mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vereinbar sind.

Dazu führt der EuGH ua aus, dass die RL 2002/47/EG Finanzsicherheiten im Vergleich zu anderen Sicherungsarten zwar einen Vorteil einräumt, die unterschiedliche Behandlung aber auf einem objektiven Kriterium beruht, das iZm dem rechtlich zulässigen Ziel der RL 2002/47/EG steht, die Rechtssicherheit und die Wirksamkeit der Finanzsicherheiten zu erhöhen, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern.

Dass die unterschiedliche Behandlung außer Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, wurde im Vorabentscheidungsersuchen nicht dargelegt.

Der EuGH kam somit zum Ergebnis, dass die Prüfung der Vorlagefragen auch nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der RL 2002/47/EG im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung beeinträchtigen könnte.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Die RL 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 6. 2002 über Finanzsicherheiten ist dahin auszulegen, dass sie dem Sicherungsnehmer einer Finanzsicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach das auf einem Bankkonto befindliche Guthaben zugunsten der Bank verpfändet wird, um alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber zu besichern, nur dann das Recht gibt, diese Sicherheit zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wenn zum einen das Guthaben, das Gegenstand der Sicherheit ist, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen ist oder, falls es am Tag dieser Eröffnung dort eingegangen ist, die Bank nachgewiesen hat, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte, und wenn zum anderen der Inhaber dieses Kontos daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf diesem Konto über dieses Guthaben zu verfügen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22617 vom 15.11.2016