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EuGH: Fremdwährungskredit – missbräuchliche Klauseln, Verjährung, Transparenz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 93/13/EWG : Art 3, Art 4, Art 6, Art 7

1. Damit insb ein wirksamer Schutz der Rechte des Verbrauchers aus der RL 93/13/EWG [über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen] (KlauselRL) gewährleistet ist, muss der Verbraucher die Möglichkeit haben, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel jederzeit nicht nur als Verteidigungsmittel geltend zu machen, sondern auch die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel gerichtlich feststellen zu lassen. Der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag mit einem Gewerbetreibenden kann daher keiner Verjährungsfrist unterliegen.

Anträgen eines Verbrauchers mit Restitutionscharakter zur Geltendmachung der Rechte aus der KlauselRL kann hingegen grds eine Verjährungsfrist entgegengehalten werden, sofern deren Anwendung die Ausübung der Rechte aus der RL nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Verjährungsfristen von drei bis fünf Jahren verstoßen dabei für sich genommen nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz. Unzulässig ist es jedoch, wenn die fünfjährigen Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Annahme des Darlehensangebots zu laufen beginnt und der Verbraucher möglicherweise zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von sämtlichen Rechten hatte, die ihm aus der KlauselRL erwachsen.

2. Ein Fremdwährungskredit setzt den Verbraucher einem Wechselkursrisiko aus. Zur Erfüllung des Transparenzerfordernisses genügt es dabei nicht, dem Verbraucher Informationen zu übermitteln (selbst zahlreiche), wenn diese auf der Hypothese beruhen, dass der Wechselkurs zwischen der Verrechnungswährung und der Zahlungswährung über die gesamte Laufzeit des Vertrags stabil bleiben wird. Dies ist insb der Fall, wenn der Verbraucher vom Gewerbetreibenden nicht auf den wirtschaftlichen Kontext hingewiesen wurde, der Auswirkungen auf die Schwankungen der Wechselkurse haben könnte.

3. Ist bei einem Fremdwährungskredit das Wechselkursrisiko für den Verbraucher nicht gedeckelt, sind die entstprechenden Klauseln geeignet, zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu verursachen, wenn der Gewerbetreibende bei Beachtung des Transparenzgebots gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise nicht erwarten konnte, dass sich der Verbraucher bei einer individuellen Aushandlung auf ein derartiges unverhältnismäßiges Wechselkursrisiko einlässt.

4. Der Verbraucher darf nicht die Beweislast dafür tragen, dass eine vertragliche Klausel klar und verständlich iSv Art 4 Abs 2 KlauselRL ist.

EuGH 10. 6. 2021, C-609/19, BNP Paribas Personal Finance

EuGH 10. 6. 2021, C-776/19 bis C-782/19, BNP Paribas Personal Finance

Zu französischen Vorabentscheidungsersuchen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

C-609/19

1.Art 4 Abs 2 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass Klauseln eines Darlehensvertrags, die bestimmen, dass die Rückzahlungen zu feststehenden Fälligkeitsterminen vorrangig auf die Zinsschuld angerechnet werden, und vorsehen, dass sich die Vertragsdauer verlängert und die Zahlungen erhöhen, damit der Kontosaldo ausgeglichen wird, unter diese Vorschrift fallen, wenn sie einen diesen Vertrag kennzeichnenden Hauptbestandteil festlegen.
2.Art 4 Abs 2 der RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass im Rahmen eines auf eine Fremdwährung lautenden Darlehensvertrags das Erfordernis der Transparenz von Klauseln, die bestimmen, dass die Rückzahlungen zu feststehenden Fälligkeitsterminen vorrangig auf die Zinsschuld angerechnet werden, und vorsehen, dass sich die Vertragsdauer verlängert und die Zahlungen erhöhen, damit der Kontosaldo ausgeglichen wird, erfüllt ist, wenn der Gewerbetreibende dem Verbraucher hinreichende und genaue Informationen bereitgestellt hat, die es einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ermöglichen, die konkrete Funktionsweise des fraglichen Finanzmechanismus zu verstehen und somit die Gefahr möglicherweise beträchtlicher negativer wirtschaftlicher Folgen solcher Klauseln für seine finanziellen Verpflichtungen über die gesamte Laufzeit dieses Vertrags zu bewerten.
3.Art 3 Abs 1 der RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass Klauseln eines Darlehensvertrags, die bestimmen, dass die Rückzahlungen zu feststehenden Fälligkeitsterminen vorrangig auf die Zinsschuld angerechnet werden, und vorsehen, dass sich die Vertragsdauer verlängert und die Zahlungen erhöhen, damit der Kontosaldo ausgeglichen wird, der sich infolge von Schwankungen des Wechselkurses zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung beträchtlich erhöhen kann, zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien dieses Vertrags verursachen können, wenn der Gewerbetreibende bei Beachtung des Transparenzgebots gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise nicht erwarten konnte, dass eine individuelle Aushandlung dazu führen würde, dass der Verbraucher sich auf ein unverhältnismäßiges Wechselkursrisiko, das aus derartigen Klauseln resultiert, einlässt.

C‑776/19 bis C‑782/19

1.Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehen, wonach die Stellung eines Antrags durch einen Verbraucher
  • auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und diesem Verbraucher einer Verjährungsfrist unterliegt;
  • auf Rückerstattung von aufgrund solcher missbräuchlicher Klauseln rechtsgrundlos gezahlten Beträgen einer fünfjährigen Verjährungsfrist unterliegt, wenn diese Frist zum Zeitpunkt der Annahme des Darlehensangebots zu laufen beginnt und es somit möglich ist, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von sämtlichen Rechten hatte, die ihm aus dieser RL erwachsen.
2.Art 4 Abs 2 der RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass die Klauseln des Darlehensvertrags, die vorsehen, dass die Fremdwährung die Verrechnungswährung und der Euro die Zahlungswährung ist, und die bewirken, dass der Darlehensnehmer das Wechselkursrisiko trägt, von dieser Bestimmung erfasst sind, wenn diese Klauseln einen Hauptbestandteil festlegen, der diesen Vertrag kennzeichnet.
3.Art 4 Abs 2 der RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass im Rahmen eines auf eine Fremdwährung lautenden Darlehensvertrags das Erfordernis der Transparenz von Klauseln dieses Vertrags, die vorsehen, dass die Fremdwährung die Verrechnungswährung und der Euro die Zahlungswährung ist, und die bewirken, dass der Darlehensnehmer das Wechselkursrisiko trägt, erfüllt ist, wenn der Gewerbetreibende dem Verbraucher hinreichende und genaue Informationen bereitgestellt hat, die es einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher ermöglichen, die konkrete Funktionsweise des fraglichen Finanzmechanismus zu verstehen und somit die Gefahr möglicherweise beträchtlicher negativer wirtschaftlicher Folgen solcher Klauseln für seine finanziellen Verpflichtungen über die gesamte Laufzeit dieses Vertrags zu bewerten.
4.Die RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass der Verbraucher die Beweislast dafür trägt, dass eine vertragliche Klausel klar und verständlich iSv Art 4 Abs 2 dieser RL ist.
5.Art 3 Abs 1 der RL 93/13 ist dahin auszulegen, dass Klauseln eines Darlehensvertrags, die vorsehen, dass die Fremdwährung die Verrechnungswährung und der Euro die Zahlungswährung ist, und die bewirken, dass der Darlehensnehmer das Wechselkursrisiko trägt, ohne dass dieses Risiko gedeckelt ist, geeignet sind, zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu verursachen, wenn der Gewerbetreibende bei Beachtung des Transparenzgebots gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise nicht erwarten konnte, dass eine individuelle Aushandlung dazu führen würde, dass der Verbraucher sich auf ein unverhältnismäßiges Wechselkursrisiko, das aus derartigen Klauseln resultiert, einlässt.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 31036 vom 14.06.2021