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RL 2011/95/EU: Art 10
Im vorliegenden Fall geht es zentral um die Beurteilung, ob von Blutrache bedrohte Mitglieder einer Familie allein wegen der Zugehörigkeit zu jener Familie, von der ein Mitglied in eine Streitigkeit involviert ist (oder involviert war), die Auslöser der Blutfehde ist, als soziale Gruppe anzusehen sind. Nach Ansicht des vorlegenden VwGH sind für die Lösung dieses Falls mehrere sich aus Art 10 Abs 1 lit d RL 2011/95/EU (Status-RL bzw AnerkennungsRL) ergebende Problemfelder einer Klärung zuzuführen. Es stellt sich zunächst die Frage, wann davon gesprochen werden kann, dass eine Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat. Weiters ist es notwendig zu klären, nach welchen Gesichtspunkten sich die eine Gruppe „umgebende Gesellschaft“ bestimmt und wann von dieser Gesellschaft eine Gruppe als „andersartig“ betrachtet wird.
Nach Ansicht des Generalanwalts ist Art 10 Abs 1 Buchst d Unterabs 1 RL 2011/95/EU (Status-RL bzw AnerkennungsRL)] dahin auszulegen, dass
- | die „deutlich abgegrenzte Identität“ der Gruppe eine Voraussetzung ist, die im Licht der Betrachtung durch die sie umgebende Gesellschaft zu prüfen ist. |
- | Die „sie umgebende Gesellschaft“ ist als das menschliche und soziale Umfeld zu verstehen, in dem sich diese Gruppe bewegt und das die zuständige nationale Behörde für die Zwecke ihrer individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz als maßgeblich erachtet. Die Betrachtung der sie umgebenden Gesellschaft bezieht sich nicht auf die isolierte Betrachtung des Verfolgers, sondern auf eine kollektive Betrachtung. |
- | Der Umstand, dass die Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, ist anhand der Vorstellung oder des Bildes zu prüfen, das die Gesellschaft von der Gruppe hat, und kann mit einer Sichtweise oder Einschätzung verbunden sein, die die Gruppe vom Rest der Gesellschaft unterscheidet oder abgrenzt. Hierfür können Verhaltensweisen, Handlungen oder Maßnahmen, die aufgrund dieser Betrachtung ergriffen werden, relevante Anhaltspunkte sein. |
- | Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann der Angehörige einer in diesem Land in eine Blutfehde verwickelten Familie als Mitglied einer „bestimmten sozialen Gruppe“ iS eines Verfolgungsgrundes, der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann, erachtet werden. |
Schlussanträge des Generalanwalts 5. 9. 2024, C-217/23, Laghman
Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 28. 3. 2023, Ra 2022/20/0289 (EU 2023/0001), Rechtsnews 33930.