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EuGH: Gewerbeberechtigung von Rauchfangkehrern

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2006/123/EG: Art 10, Art 15

Die RL 2006/123/EG (DienstleistungsRL) ist auf die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes insgesamt anwendbar, und zwar auch auf die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“; diese sind nämlich nicht iSd Ausnahmeregelung des Art 2 Abs 2 Buchst i der RL 2006/123/EG „mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden“, sondern allenfalls mit der Erfüllung einer „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ iSd Art 15 Abs 4 der RL 2006/123/EG.

Nach Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 1 bis 3 RL 2006/123/EG dürfte eine nationale Regelung die Genehmigung für die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes grundsätzlich nur dann auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränken, wenn diese Regelung in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit verfolgt. Ob dies der Fall ist, muss das nationale Gericht prüfen, wird vom EuGH konkret bezogen auf den hier anwendbaren § 123 GewO idF vor BGBl I 2015/48 jedoch bezweifelt.

Kommt das nationale Gericht allerdings zur Auffassung, dass die Aufgaben der „Feuerpolizei“ mit einer „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ verbunden sind, kommt Art 15 Abs 4 RL 2006/123/EG zur Anwendung; danach wäre eine territoriale Beschränkung zulässig, soweit sie für die Erfüllung dieser Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich und verhältnismäßig ist. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch geprüft werden, ob die anderen, privatwirtschaftlichen Tätigkeiten mit den Aufgaben der „Feuerpolizei“ in trennbarem oder untrennbarem Zusammenhang stehen.

EuGH 23. 12. 2015, C-293/14, Hiebler

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 16. 7. 2015 siehe LN Rechtsnews 19890 vom 17. 7. 2015 = RdW 2015/489.

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 20. 5. 2014, 4 Ob 31/14h, siehe LN Rechtsnews 17463 vom 16. 6. 2014.

Anmerkung:

Im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des OGH wurde die GewO 1994 in der Zwischenzeit geändert (BGBl I 2015/48, LN Rechtsnews 19362 vom 23. 4. 2015).

Entscheidung

Kohärente Zielverfolgung fraglich

Im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Gebietsbeschränkung im Lichte von Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 1, Abs 2 Buchst a und Abs 3 der RL 2006/123/EG weist der EuGH in seinen Entscheidungsgründen ua darauf hin, dass der hier konkret anwendbare § 123 GewO idF vor BGBl I 2015/48 die Abgrenzung der geografischen Gebiete nicht unmittelbar festlegt und für diese Abgrenzung nicht mittels kohärenter Kriterien einen Rahmen mit dem Ziel festlegt, eine gleichmäßige Verteilung der Wahrnehmung sowohl der privatwirtschaftlichen Tätigkeiten als auch der Aufgaben der „Feuerpolizei“ durch die Rauchfangkehrer in diesen Gebieten sicherzustellen. Obwohl die territoriale Beschränkung auf die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes in seiner Gesamtheit abziele, statuiere nämlich die nationale Regelung als einziges Kriterium für die gebietsweise Abgrenzung das Kriterium einer Mindestzahl von Rauchfangkehrern, deren wirtschaftliche Lebensfähigkeit innerhalb jedes Gebiets gewährleistet werden soll, um eine zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben der „Feuerpolizei“ sicherzustellen, ohne in irgendeiner Weise die privatwirtschaftlichen Tätigkeiten zu berücksichtigen, die im Übrigen den wichtigsten Teil der Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes darstellen.

Daher besteht nach Ansicht des EuGH die Gefahr, dass bei der Umsetzung des § 123 GewO keine gleichmäßige Verteilung der Ausübung der privatwirtschaftlichen Rauchfangkehrertätigkeiten über das gesamte betroffene Gebiet und somit auch kein entsprechendes Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auf der Gesamtheit dieses Gebiets sichergestellt ist.

Unter diesen Umständen scheint § 123 GewO nach Auffassung des EuGH - vorbehaltlich der detaillierten Prüfung durch den OGH - das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit nicht in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen.

Feuerpolizei

Die Beurteilung nach den Art 10 Abs 4 und Art 15 Abs 1, Abs 2 Buchst a und Abs 3 der RL 2006/123/EG könnte - so der EuGH - indessen dann hinfällig werden, wenn die nationale Regelung anhand von Art 15 Abs 4 RL 2006/123/EG zu beurteilen wäre, dh wenn der OGH die Aufgaben der „Feuerpolizei“ als mit einer „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ zusammenhängend einstuft: Gem Art 15 Abs 4 der RL 2006/123/EG gelten die in den Abs 1 bis 3 dieses Artikels aufgestellten Regeln im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nämlich nur insoweit, als die Anwendung dieser Absätze „die Erfüllung der anvertrauten besonderen Aufgabe nicht rechtlich oder tatsächlich verhindert“.

Art 15 Abs 4 der RL 2006/123/EG steht somit nach Auffassung des EuGH einer territorialen Beschränkung nicht entgegen, die

-erforderlich ist, damit die Rauchfangkehrer ihre Aufgaben der „Feuerpolizei“ unter ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit ermöglichenden Bedingungen erfüllen können,
-und die im Hinblick auf diese Aufgabenerfüllung verhältnismäßig ist.

In diesem Zusammenhang verweist der EuGH auf seine Rsp zu den Wettbewerbsregeln des Vertrags: Danach setzt die Verpflichtung der mit einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Betrauten, ihre Dienstleistungen unter wirtschaftlich gleichmäßigen Bedingungen sicherzustellen, die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen den rentablen und den weniger rentablen Tätigkeitsbereichen voraus und kann daher eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit in wirtschaftlich rentablen Bereichen rechtfertigen; eine solche Beschränkung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es sich um spezifische Dienstleistungen handelt, die von der fraglichen Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse trennbar sind und nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Erbringung das wirtschaftliche Gleichgewicht der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nicht in Frage stellen (vgl Urteile Corbeau, C-320/91, EU:C:1993:198, und Ambulanz Glöckner, C-475/99, EU:C:2001:577).

Der OGH wird daher nun im Rahmen der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der territorialen Beschränkung prüfen müssen, ob die von den Rauchfangkehrern im Land Kärnten ausgeübten privatwirtschaftlichen Tätigkeiten so eng mit den Aufgaben der „Feuerpolizei“ in Zusammenhang stehen, dass sie als von diesen untrennbar angesehen werden müssen.

Wenn dies nicht der Fall ist, muss der OGH prüfen, ob die territoriale Beschränkung, soweit sie sich auch auf die Ausübung der von den Aufgaben der „Feuerpolizei“ trennbaren privatwirtschaftlichen Tätigkeiten bezieht, jedenfalls unerlässlich ist, um es den betreffenden Rauchfangkehrern zu ermöglichen, diese Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts zu erfüllen, oder ob die wirtschaftliche Lebensfähigkeit bei der Erfüllung dieser Aufgaben auch durch eine gebietsweise Abgrenzung sichergestellt werden kann, die sich allein auf diese Aufgabenerfüllung bezieht. Insoweit verweist der EuGH auf die Regelung des Landes Salzburg, wo die Kehrgebiete nur für die Aufgaben der „Feuerpolizei“ festgelegt werden, was - so der EuGH - belegen könnte, dass eine solche territoriale Beschränkung genügen könnte, um die Erfüllung dieser Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts sicherzustellen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Die RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass sie auf die Ausübung eines Gewerbes wie des im Ausgangsverfahren fraglichen des Rauchfangkehrers insgesamt anwendbar ist, auch wenn dieses Gewerbe nicht nur die Ausübung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten umfasst, sondern auch die Erfüllung von Aufgaben der „Feuerpolizei“.
2.Die Art 10 Abs 4 und 15 Abs 1, Abs 2 Buchst a und Abs 3 der RL 2006/123 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die die Genehmigung für die Ausübung des Rauchfangkehrergewerbes insgesamt auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, entgegenstehen, wenn diese Regelung nicht in kohärenter und systematischer Weise das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit verfolgt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.
Art 15 Abs 4 der RL 2006/123 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung nicht entgegensteht, wenn die Aufgaben der „Feuerpolizei“ als mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse in Zusammenhang stehend einzustufen wären, sofern die vorgesehene territoriale Beschränkung für die Erfüllung dieser Aufgaben unter Bedingungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich und verhältnismäßig ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20853 vom 04.01.2016