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EuGH: Kein Asyl bei Unterstützung eines Terror-Netzwerks

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2004/83/EG: Art 12

Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling ist nicht auf diejenigen beschränkt, die tatsächlich terroristische Handlungen begehen, sondern kann sich auch auf Personen erstrecken, die die Anwerbung, Organisation, Beförderung oder Ausrüstung von Personen vornehmen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um insb terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten.

EuGH 31. 1. 2017, C-573/14, Lounani

Sachverhalt

Zu einem belgischen Vorabentscheidungsersuchen.

Herr Lounani, ein marokkanischer Staatsangehöriger, wurde im Februar 2006 als führendes Mitglied der belgischen Zelle des GICM („Groupe islamique des combattants marocains“; islamische Gruppe marokkanischer Kämpfer) von einem belgischen Gericht wegen Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung, Verwendung gefälschter Urkunden und illegalen Aufenthalts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Die Verurteilung basierte zusammengefasst va auf folgenden Tatsachen: „logistische Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, insb durch materielle oder intellektuelle Dienste“; „Fälschung von Pässen“ und „betrügerisches Überlassen von Pässen“; „aktive Beteiligung an der Ausschleusung Freiwilliger in den Irak“.

Am 16. 3. 2010 beantragte Herr Lounani bei den belgischen Behörden Asyl. Er berief sich auf die Furcht vor Verfolgung in Marokko für den Fall, dass er in sein Herkunftsland zurückkehren müsste: Nach seiner Verurteilung in Belgien bestünde die Gefahr, dass er von den marokkanischen Behörden als radikaler Islamist und Dschihadist eingestuft werde.

Das vorlegende Gericht möchte vom EuGH wissen, unter welchen Voraussetzungen ein Antragsteller wegen „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen iSv Art 12 Abs 2 Buchstabe c RL 2004/83/EG zuwiderlaufen“, von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen werden kann, wenn er wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung strafrechtlich verurteilt wurde, ohne selbst eine terroristische Handlung begangen zu haben.

Entscheidung

Beteiligung an Terrornetzwerk ausreichend

Dass Herr Lounani persönlich terroristische Handlungen begangen hätte, zu solchen Handlungen angestiftet hätte oder daran beteiligt gewesen wäre, wurde nicht festgestellt. Basis seiner Verurteilung war (nur) die Beteiligung an den Aktivitäten des GICM als führendes Mitglied, indem er diese terroristische Vereinigung insb durch materielle oder intellektuelle Dienste logistisch unterstützt, Pässe gefälscht bzw betrügerisch überlassen und sich aktiv an der Ausschleusung Freiwilliger in den Irak beteiligt habe.

Gem Art 12 RL 2004/83/EG ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Grunde zu der Annahme berechtigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, (Abs 2 Buchst c) bzw dass er andere zu solchen Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat (Abs 3).

In seinen Entscheidungsgründen verweist der EuGH zunächst va auf die einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, aus denen hervorgeht, dass der Begriff „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“ nicht auf terroristische Handlungen beschränkt ist. Insbesondere in der Resolution 2178 (2014) habe der Sicherheitsrat seiner „ernsten Besorgnis über die akute und zunehmende Bedrohung“ Ausdruck verliehen, die „von ausländischen terroristischen Kämpfern ausgeht, dh von Personen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten“. Weiters habe der Sicherheitsrat darin seine Besorgnis in Bezug auf Netzwerke ausgedrückt, die von terroristischen Einrichtungen aufgebaut worden sind und über die ausländische terroristische Kämpfer und die Ressourcen zu ihrer Unterstützung zwischen den Staaten hin und her geschleust werden.

Zu den Maßnahmen gegen dieses Phänomen gehört - so der EuGH -, dass die Staaten dafür zu sorgen haben, dass sie die Anwerbung, Organisation, Beförderung oder Ausrüstung von solchen ausländischen terroristischen Kämpfern verhüten und bekämpfen.

Daraus folgert der EuGH nun, dass die Anwendung von Art 12 Abs 2 Buchst c der RL 2004/83/EG nicht auf diejenigen zu beschränken ist, die tatsächlich terroristische Handlungen begehen, sondern dass sich dieser Ausschluss auch auf Personen erstrecken kann, die die Anwerbung, Organisation, Beförderung oder Ausrüstung von Personen vornehmen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um insb terroristische Handlungen zu begehen, zu planen oder vorzubereiten.

Auch bei gemeinsamer Betrachtung von Abs 2 Buchst c und Abs 3 des Art 12 der RL 2004/83/EG verlangt die Anwendung dieser Bestimmungen angesichts der einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nach Ansicht des EuGH nicht, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt, zu einer terroristischen Handlung angestiftet hat oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat. Insoweit habe auch die Kommission zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung eine große Bandbreite von Verhaltensweisen unterschiedlicher Schwere umfassen kann.

Hinweise zur Einzelfallprüfung

Abschließend erinnert der EuGH daran, dass die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats Art 12 Abs 2 Buchst c RL 2004/83/EG erst nach Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände in jedem Einzelfall anwenden darf (vgl EuGH 9. 11. 2010, C-57/09 und C-101/09, B, LN Rechtsnews 10091 vom 9. 11. 2010) und auch hinsichtlich der Frage, ob Handlungen wie im vorliegenden Fall unter Handlungen iSd Art 12 Abs 2 Buchst c RL 2004/83/EG fallen oder unter Anstiftung bzw sonstige Beteiligung daran iSd Art 12 Abs 3 RL 2004/83/EG, die endgültige Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz den zuständigen nationalen Behörden unter der Kontrolle der nationalen Gerichte obliegt.

Für den konkreten Fall hält der EuGH fest, dass Herr Lounani ein führendes Mitglied einer terroristischen Vereinigung internationaler Dimension war, die am 10. 10. 2002 in die UN-Liste der Personen und Vereinigungen aufgenommen wurde, gegen die Sanktionen verhängt wurden. Seine Handlungen zur logistischen Unterstützung der Aktivitäten dieser Vereinigung haben insofern eine internationale Dimension, als er an der Fälschung von Pässen beteiligt war und Freiwillige unterstützt hat, die sich in den Irak begeben wollten. Derartige Handlungen können nach Ansicht des EuGH den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen.

Außerdem ist im Rahmen der Einzelprüfung der Umstand von besonderer Bedeutung, dass Herr Lounani von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist und diese Verurteilung rechtskräftig ist.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 12 Abs 2 Buchst c der RL 2004/83/EG des Rates vom 29. 4. 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass nicht nur dann angenommen werden kann, dass der dort vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorliegt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen einer der in Art 1 Abs 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. 6. 2002 zur Terrorismusbekämpfung vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist.
2.Art 12 Abs 2 Buchst c und Art 12 Abs 3 der RL 2004/83 sind dahin auszulegen, dass Handlungen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung - wie jene, wegen deren der Beschwerdegegner des Ausgangsverfahrens verurteilt worden ist - den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen können, auch wenn nicht erwiesen ist, dass die betreffende Person eine terroristische Handlung iSd Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begangen, zu begehen versucht oder angedroht hat. Für die Einzelprüfung der Tatsachen, anhand deren beurteilt werden kann, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass sich eine Person Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, zuschulden kommen ließ, zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat, sind sowohl der Umstand, dass diese Person von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, als auch die Feststellung, dass diese Person ein führendes Mitglied dieser Vereinigung war, von besonderer Bedeutung, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass diese Person selbst zu einer terroristischen Handlung angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23064 vom 02.02.2017