News

EuGH: Offenlegung einer Insiderinformation durch Journalisten

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2003/6/EG: Art 1

RL 2003/124/EG: Art 1

VO (EU) 596/2014: Art 10, Art 21

Im Ausgangsfall ist va strittig, ob es eine unzulässige “Insiderinformation“ darstellt, wenn ein Journalist jemanden darüber informiert, dass er einen Presseartikel veröffentlichen wird, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird.

1. Fraglich ist zunächst, ob es sich dabei überhaupt um eine “Insiderinformation“ handelt. Die Definition des Begriffs „Insiderinformation“ in Art 1 Nr 1 RL 2003/6/EG [über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch); nunmehr Art 7 Abs 1 Buchst a VO (EU) 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung)] besteht aus vier wesentlichen Tatbestandsmerkmalen: Die Information ist präzise (1) und nicht öffentlich bekannt (2); sie betrifft direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente oder deren Emittenten (3) und wäre, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (4).

Bei einer Information betr die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, kann es sich um eine „präzise“ Information handeln. Dafür ist es nicht notwendig, dass der Preis für die Wertpapiere genannt wird, wenn diese Information andere Angaben umfasst, die das öffentliche Erwerbsangebot betreffen. Im Hinblick auf die Beurteilung der möglichen Auswirkungen auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente oder derivativer Finanzinstrumente können – neben dem Inhalt des Artikels – weitere Elemente zur Präzision einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung dieses Presseartikels beitragen. So können die Bekanntheit des Journalisten und des veröffentlichenden Presseorgans nach den Umständen des Einzelfalls als entscheidend angesehen werden: Sie ermöglichen eine Beurteilung der Glaubhaftigkeit der fraglichen Gerüchte, weil die Anleger gegebenenfalls annehmen, dass diese Gerüchte aus Quellen stammen, die von diesem Journalisten und diesem Presseorgan als zuverlässig angesehen werden. Werden bestimmte Personen über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels mit einer preisrelevanten Information sowie gegebenenfalls über die Identität von Verfasser und Presseorgan unterrichtet, erhöhen diese Angaben somit tendenziell die Glaubhaftigkeit des Gerüchts, das in dem Presseartikel aufgegriffen wird, und sind daher für die Beurteilung erheblich, ob die Information zur bevorstehenden Veröffentlichung dieses Artikels hinreichend präzise ist, um eine Schlussfolgerung zu den möglichen Kursauswirkungen dieser Veröffentlichung zuzulassen.

Der tatsächliche Einfluss der Veröffentlichung auf den Kurs der darin genannten Wertpapiere kann zwar ein nachträglicher Beweis dafür sein, dass die Information über diese Veröffentlichung präzise war. Für einen Nachweis der Präzision der Information müssen jedoch auch weitere, vor dieser Veröffentlichung bekannte oder offengelegte Angaben geprüft werden.

2. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Offenlegung oder Verbreitung von Informationen nach der VO (EU) 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung) sind gem Art 21 Marktmissbrauchsverordnung die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen, wenn die Informationen “für journalistische Zwecke“ offengelegt oder verbreitet wurden. Informiert ein Journalist eine seiner üblichen Informationsquellen darüber, dass er einen Artikel mit einem Marktgerücht veröffentlichen wird, geschieht dies „für journalistische Zwecke“, wenn diese Information erforderlich ist, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen, die auch Untersuchungstätigkeiten im Vorfeld dieser Veröffentlichung umfasst.

3. Eine Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten ist rechtmäßig iSv Art 10 iVm Art 21 Marktmissbrauchsverordnung, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

EuGH 15. 3. 2022, C-302/20, Autorité des marchés financiers

Zu einem französischen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 32226 vom 17.03.2022