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EuGH: Staatliche Beihilfe – KMU

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EU) 651/2014: Art 1, Anhang I Art 3

Gem ihrem Art 1 Abs 1 Buchst b gilt die VO (EU) 651/2014 [zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art 107 und 108 [AEUV]] für Beihilfen für KMU in Form von Investitionsbeihilfen, Betriebsbeihilfen und Beihilfen zur Erschließung von KMU-Finanzierungen.

Nach der allgemeinen Regel des Art 3 Abs 4 des Anhangs I der VO (EU) 651/2014 kann ein Unternehmen nicht als KMU angesehen werden, „wenn 25 % oder mehr seines Kapitals oder seiner Stimmrechte direkt oder indirekt von einer oder mehreren öffentlichen Stellen einzeln oder gemeinsam kontrolliert werden“ (es sei denn diese fallen unter bestimmte Kategorien von Investoren Art 3 Abs 2 Unterabs 2 des Anhangs I).

Eine solche Kontrolle liegt bereits dann vor, wenn öffentliche Stellen gemeinsam, sei es auch indirekt, gemäß der Satzung des Unternehmens, das die direkte Kontrolle über das betreffende Unternehmen ausübt, mindestens 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des betreffenden Unternehmens halten, ohne dass darüber hinaus zu prüfen wäre, ob diese Stellen in der Lage sind, zu beeinflussen und zu koordinieren, wie ihre Stimmrechte tatsächlich durch ihre Vertreter ausgeübt werden, oder ob diese Vertreter den Interessen der genannten Stellen tatsächlich Rechnung tragen.

EuGH 24. 9. 2020, C-516/19, NMI Technologietransfer

Ausgangsfall

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Das NMI-Institut ist eine rechtsfähige gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Reutlingen (Deutschland), deren Zweck die Förderung von Wissenschaft und Forschung ist. Das Stiftungskapital des NMI-Instituts wird im Wesentlichen von privaten Gesellschaften sowie zu einem Anteil von etwa 6 % von der Stadt Reutlingen gehalten. Das Kuratorium des NMI-Instituts, das grundsätzlich mit einfacher Mehrheit entscheidet, besteht aus 17 Mitgliedern, darunter 9 Vertreter der öffentlichen Hand (ein Vertreter des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg, ein Vertreter des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, der Oberbürgermeister der Stadt Reutlingen, der Rektor und drei Professoren der Universität Tübingen, der Präsident der Hochschule Reutlingen und der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer der Stadt Reutlingen).

NMI TT ist eine GmbH, die ihren Sitz unter derselben Anschrift hat wie das NMI-Institut. Ihr Stammkapital wird zu 90 % vom NMI-Institut gehalten und ihr Gegenstand ist die Verwertung von Know-how, das Erbringen von Beratungsleistungen sowie die Durchführung von Auftragsforschung im Bereich der Technik, Naturwissenschaften und Medizin. Die Forschungsbereiche der NMI TT decken sich zum Teil mit Forschungsfeldern des NMI-Instituts; insbesondere soll NMI TT Forschungsergebnisse, die am NMI-Institut gewonnen werden, mit finanziellem Gewinn in die Praxis umsetzen.

Strittig ist die Anerkennung der NMI TT als KMU.

Nach den Feststellung hält das NMI-Institut bei NMI TT 88,8 % der Stimmrechte. Die Satzung des NM-Instituts regelt die Frage der Ausübung dieser Rechte jedoch nicht, sieht jedoch vor, dass das Kuratorium - dess Mitglieder aktuell auch alle Mitglieder der Geschäftsleitung der NMI TT sind – die Grundsätze für die Arbeit des NMI-Instituts festlegt, insbesondere zur Auswertung der Forschungsergebnisse und Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, und über eine Reihe von Beratungs- und Entscheidungsbefugnissen hinsichtlich der inhaltlichen Planung und der Finanzplanung sowie hinsichtlich der Bestellung, Abberufung und Entlastung des Vorstands verfügt und darüber hinaus befugt ist, die Satzung des NMI-Instituts zu ändern und dieses aufzulösen. Unter diesen Umständen scheint es dem EuGH – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht –, dass die Bestimmungen in der Satzung des NMI-Instituts geeignet sind, öffentlichen Stellen in Anbetracht dessen, dass deren Vertreter dem Kuratorium angehören, indirekt mehr als 25 % der Stimmrechte bei NMI TT zu verleihen.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Art 3 Abs 4 des Anhangs I der VO (EU) 651/2014 der Kommission vom 17. 6. 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Art 107 und 108 [AEUV] ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die ausschließt, dass ein Unternehmen als kleines und mittleres Unternehmen (KMU) angesehen werden kann, wenn das Unternehmensorgan, das den wesentlichen Anteil des Kapitals hält, auch wenn es nicht zur Führung des Tagesgeschäfts des Unternehmens befugt ist, mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die öffentliche Stellen iS dieser Bestimmung vertreten, so dass Letztere allein deshalb gemeinsam eine indirekte Kontrolle iS dieser Bestimmung über das erstgenannte Unternehmen ausüben, wobei

-zum einen der in der genannten Bestimmung enthaltene Begriff „öffentliche Stelle“ Einrichtungen wie Universitäten und Hochschulen sowie eine Industrie- und Handelskammer erfasst, wenn diese Einrichtungen geschaffen wurden, um speziell Bedürfnisse des Allgemeininteresses zu erfüllen, Rechtspersönlichkeit besitzen und überwiegend durch den Staat, Gebietskörperschaften oder andere öffentliche Stellen finanziert bzw direkt oder indirekt von diesen kontrolliert werden; hierbei spielt es keine Rolle, dass die auf Vorschlag dieser Einrichtungen berufenen Personen ehrenamtlich für das betreffende Unternehmen tätig sind, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Einrichtungen vorgeschlagen und berufen wurden, und
-zum anderen eine solche Kontrolle bereits dann vorliegt, wenn öffentliche Stellen gemeinsam, sei es auch indirekt, gem der Satzung des Unternehmens, das die direkte Kontrolle über das betreffende Unternehmen ausübt, mindestens 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte des betreffenden Unternehmens halten, ohne dass darüber hinaus zu prüfen wäre, ob diese Stellen in der Lage sind, zu beeinflussen und zu koordinieren, wie ihre Stimmrechte tatsächlich durch ihre Vertreter ausgeübt werden, oder ob diese Vertreter den Interessen der genannten Stellen tatsächlich Rechnung tragen.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 29708 vom 25.09.2020