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EuGH: Unkontaminiertes Aushubmaterial – Abfall?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2008/98/EG: Art 3, Art 6,

Art 3 RL 2008/98/EG (AbfallRL) definiert den Begriff „Abfall“ als jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.

Nicht als Abfall iSd AbfallRL, sondern als „Nebenprodukt“ gilt gem Art 5 Abs 1 AbfallRL ein Stoff oder Gegenstand, der das Ergebnis eines Herstellungsverfahrens ist, dessen Hauptziel nicht die Herstellung dieses Stoffes oder Gegenstands ist, und der die Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 Buchst a bis d AbfallRL erfüllt. Die Eigenschaften als „Nebenprodukt“ und als „Abfall“ schließen einander somit aus.

Nach Art 6 Abs 1 AbfallRL sind bestimmte Abfälle nicht mehr als Abfälle anzusehen, wenn sie ein Verwertungsverfahren durchlaufen haben; dazu ist auch ein Recyclingverfahren zu rechnen. Das Ende der Abfalleigenschaft hängt außerdem von spezifischen Kriterien ab, die nach mehreren Bedingungen festzulegen sind (gemeinhin Verwendung für bestimmte Zwecke; Bestehen eines Markts oder einer Nachfrage; Erfüllung der technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke und der bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse; keine schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen).

Es wäre eine Verkennung der Ziele der AbfallRL zu befürchten, wenn trotz Einhaltung der spezifischen Bedingungen in Art 6 Abs 1 AbfallRL bei unkontaminiertem Aushubmaterial der höchsten Qualitätsklasse, dessen Eigenschaften zur Verbesserung landwirtschaftlicher Strukturen dienen können, nach einer Qualitätskontrolle, mit der sich die Unbedenklichkeit seiner Verwendung für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit sicherstellen lässt, das Ende der Abfalleigenschaft verneint und die Wiederverwendung solchen Aushubmaterials durch Formalkriterien behindert würde, die für den Umweltschutz irrelevant sind. Wie aus den Erwägungsgründen 6, 8 und 29 der RL hervorgeht, bestehen die Ziel der AbfallRL nämlich darin, die Anwendung der Abfallhierarchie nach Art 4 AbfallRL sowie die Verwertung von Abfällen und die Verwendung verwerteter Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen zu fördern und die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Derartige Formalkriterien würden gegebenenfalls die praktische Wirksamkeit der AbfallRL beeinträchtigen, was jedoch nicht zulässig ist. Derartige Formalkriterien dürfen daher nicht die Wirkung haben, die Verwirklichung der Ziele der AbfallRL zu gefährden.

Art 3 Nr 1 und Art 6 Abs 1 AbfallRL stehen somit einer nationalen Regelung entgegen, nach der unkontaminiertes Aushubmaterial, das nach nationalem Recht zur höchsten Qualitätsklasse gehört,

-als „Abfall“ einzustufen ist, selbst wenn sein Besitzer sich seiner weder entledigen will noch entledigen muss und dieses Material die Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 AbfallRL für die Einstufung als „Nebenprodukterfüllt, und
-die Abfalleigenschaft nur dann verliert, wenn es unmittelbar als Substitution verwendet wird und sein Besitzer Formalkriterien erfüllt hat, die für den Umweltschutz irrelevant sind, falls diese Kriterien die Wirkung haben, dass die Verwirklichung der Ziele dieser RL gefährdet wird.

EuGH 17. 11. 2022, C-238/21, Porr Bau

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des LVwG Steiermark.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33289 vom 18.11.2022