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EuGH: Vermittlung eines Portfolioverwaltungsvertrags

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2004/39/EG: Art 4, Anhang I

Art 4 Abs 1 Nr 2 RL 2004/39/EG [über Märkte für Finanzinstrumente ...] definiert als Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten jede in Anhang I Abschnitt A dieser RL genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Finanzinstrumente in Abschnitt C dieses Anhangs bezieht. Unter den Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten, die in Abschnitt A aufgezählt werden, wird in Nr 1 die Annahme und Übermittlung von Aufträgen genannt, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben. Die Worte „die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben“ stellen lediglich klar, um welche Art von Aufträgen es sich handelt, nämlich um Aufträge, die sich auf den Kauf oder Verkauf solcher Finanzinstrumente beziehen.

Gegenstand der in Anhang I Abschnitt A Nr 1 RL 2004/39/EG genannten Wertpapierdienstleistung sind somit, Aufträge zum Kauf oder Verkauf eines oder mehrerer Finanzinstrumente. Aus dem Wortlaut von Anhang I Abschnitt A Nr 1 RL 2004/39/EG (ausgelegt im Licht des Zusammenhangs, in dem diese Bestimmung steht) folgt, dass die dort genannte Dienstleistung nicht die Vermittlung des Abschlusses eines Portfolioverwaltungsvertrags umfasst. Denn auch wenn der Abschluss dieses Vertrags zu einem späteren Zeitpunkt dazu führt, dass der Portfolioverwalter im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit Aufträge zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten annimmt und übermittelt, hat dieser Vertrag für sich genommen keine derartige Annahme oder Übermittlung von Aufträgen zum Gegenstand.

EuGH 14. 6. 2017, C-678/15, Khorassani

Ausgangsfall

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Frau Pflanz verfügt nicht über eine Erlaubnis zur Erbringung von Finanzdienstleistungen nach dem deutschen KWG. Im November 2007 empfahl sie Herrn Khorassani eine Kapitalanlage namens „Grand-Slam“ und ließ ihn in diesem Zusammenhang einen Vermögensverwaltungsvertrag mit einer liechtensteinischen Gesellschaft unterzeichnen. Dieser Vertrag ist auf die Anschaffung und Veräußerung sowie die Verwaltung von Finanzinstrumenten im Sinne einer Finanzportfolioverwaltung gerichtet.

Herr Khorassani verpflichtete sich der liechtensteinischen Gesellschaft gegenüber zu bestimmten laufenden Zahlungen und entrichtete ua im Dezember 2007 mehr als 19.000 € als Vorabverwaltungsgebühr.

In der Folge widerrief er die Verträge und begehrte Rückzahlung sowie Schadensersatz. Die Klage gegen die liechtensteinische Gesellschaft wurde wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen. Im Verfahren gegen Frau Pflanz erachten die Gerichte die Frage als entscheidungswesentlich, ob sie Herrn Khorassani gegenüber Anlagevermittlung gemäß § 1 Abs 1a Satz 2 Nr 1 des deutschen KWG erbracht hat.

Die Vorlagefrage lautete dementsprechend: „Ist die Annahme und Übermittlung eines Auftrags, der eine Portfolioverwaltung zum Inhalt hat (Art 4 Abs 1 Nr 9 der RL 2004/39), eine Wertpapierdienstleistung iSv Art 4 Abs 1 Nr 2 Satz 1 iVm Anhang I Abschnitt A Nr 1 der RL 2004/39?“

Entscheidung

Die deutsche und die britische Regierung wiesen auch darauf hin, dass die in Art 4 Abs 1 Nr 4 RL 2004/39/EG definierte und in Anhang I Abschnitt A Nr 5 dieser RL aufgeführte „Anlageberatung“ gem Art 52 RL 2006/73/EG in der Empfehlung bestehe, eine Handlung zu tätigen, die sich auf ein bestimmtes Finanzinstrument beziehe. Daraus folgerten sie, dass die in Anhang I Abschnitt A Nr 1 der RL 2004/39/EG fehlende Bezugnahme auf ein „bestimmtes“ Finanzinstrument dafür spreche, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht auf die Annahme und Übermittlung von Aufträgen beschränkt sei, die sich unmittelbar auf ein bestimmtes Finanzinstrument bezögen.

Diesem Argument folgte der EuGH nicht:

Gemäß der Definition in Art 4 Abs 1 Nr 4 RL 2004/39/EG besteht die Dienstleistung der Anlageberatung in der Abgabe persönlicher Empfehlungen an einen Kunden, die sich auf ein oder mehrere Finanzinstrumente beziehen. Der 81. Erwägungsgrund der RL 2006/73/EG besagt, dass allgemeine Ratschläge zu einer Art von Finanzinstrument keine Anlageberatung iSd RL 2004/39/EG darstellen, sondern als Anlageberatung nur die Beratung in Bezug auf bestimmte Finanzinstrumente gilt; diese Klarstellung wird in Art 52 RL 2006/73/EG umgesetzt. Weder dieser Erwägungsgrund noch dieser Artikel können sich aber in irgendeiner Weise auf den Bedeutungsgehalt der Wertpapierdienstleistung gem Anhang I Abschnitt A Nr 1 der RL 2004/39 auswirken.

Der Zweck der RL 2004/39/EG verlangt keine andere Auslegung dieser Bestimmung. Zwar geht insb aus den Erwägungsgründen 2 und 31 der RL hervor, dass eines ihrer Ziele der Anlegerschutz ist (vgl in diesem Sinne EuGH 30. 5. 2013, C-604/11, Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos, EU:C:2013:344, Rn 39). Dieses Ziel allein lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass die Wertpapierdienstleistung gem Anhang I Abschnitt A Nr 1 der RL 2004/39/EG eine besonders weite Bedeutung hat, die die Vermittlung des Abschlusses eines Portfolioverwaltungsvertrags einschließt. Eine solche Bedeutung liefe nämlich der Auslegung dieser Bestimmung zuwider, die sich insb aus ihrem Kontext ergibt.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Art 4 Abs 1 Nr 2 der RL 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der RL 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der RL 93/22/EWG des Rates iVm Anhang I Abschnitt A Nr 1 dieser RL ist dahin auszulegen, dass die Wertpapierdienstleistung, die in der Annahme und Übermittlung von Aufträgen besteht, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben, nicht die Vermittlung des Abschlusses eines Portfolioverwaltungsvertrags umfasst.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 23776 vom 27.06.2017