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RL 2011/92/EU idF RL 2014/52/EU: Art 1, Art 2, Art 4, Art 11, Anhang II, Anhang III
Unter den Begriff „Städtebauprojekte“ iSv Anhang II Nr 10 Buchst b RL 2011/92/EU (UVP-RL) idF RL 2014/52/EU kann auch ein Projekt fallen, mit dem – wie hier – die Umgestaltung eines bereits bestehenden Gebiets einhergeht, indem das bestehende Gebiet abgerissen und ein neues wieder aufgebaut würde.
Ob ein Städtebauprojekt einer UVP gem den Art 5 bis 10 UVP-RL zu unterziehen ist, haben die Mitgliedstaaten anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von ihnen festgelegten Schwellenwerte bzw Kriterien zu bestimmen; sie können auch entscheiden, beide Verfahren anzuwenden.
Bei der Festlegung der Schwellenwerte bzw Kriterien müssen die Mitgliedstaaten nach Art 4 Abs 3 UVP-RL die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III UVP-RL berücksichtigen. Dazu gehören erstens die Merkmale der Projekte, die insb im Hinblick auf die Größe des Projekts und die Kumulierung mit anderen bestehenden oder genehmigten Projekten zu beurteilen sind, zweitens der Standort der Projekte (so dass die ökologische Empfindlichkeit der geografischen Räume unter Berücksichtigung insb der bestehenden und genehmigten Landnutzung sowie der Belastbarkeit der Natur unter besonderer Berücksichtigung ua der Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte sowie der historisch, kulturell oder archäologisch bedeutenden Landschaften und Stätten zu beurteilen ist), und drittens die Merkmale der potenziellen Auswirkungen der Projekte, insb im Hinblick auf das geografische Gebiet und die Anzahl der voraussichtlich betroffenen Personen sowie die Kumulierung der Auswirkungen mit den Auswirkungen anderer bestehender und/oder genehmigter Projekte.
Legt ein Mitgliedstaat Schwellenwerte bzw Kriterien fest, bei denen nur der Größe der Projekte Rechnung getragen wird, überschreitet er den Wertungsspielraum, über den er nach Art 2 Abs 1 und Art 4 Abs 2 UVP-RL verfügt. Wendet ein Mitgliedstaat Schwellenwerte an, muss er Gesichtspunkten wie dem Standort der Projekte zB durch Festsetzung mehrerer Schwellenwerte für verschiedene Projektgrößen Rechnung tragen, die je nach Art und Standort des Projekts anwendbar wären. Befindet sich das Projekt – wie hier – im Kerngebiet einer Unesco-Welterbestätte ist das Kriterium betr den Standort des Projekts besonders relevant (historisch, kulturell oder archäologisch bedeutende Landschaften und Stätten).
Im Übrigen würde nach stRsp des EuGH ein Mitgliedstaat, der die Kriterien und/oder Schwellenwerte so festlegte, dass in der Praxis alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen ausgenommen wären, den Wertungsspielraum überschreiten, es sei denn, aufgrund einer Gesamtbeurteilung aller ausgenommenen Projekte wäre davon auszugehen, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. In einem städtischen Umfeld, in dem der Raum begrenzt ist, sind Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 m² so hoch, dass in der Praxis die Mehrheit der Städtebauprojekte von vornherein von der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP ausgenommen ist. Die letztliche Beurteilung obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage aller verfügbaren relevanten Gesichtspunkte.
EuGH 25. 5. 2023, C-575/21, WertInvest Hotelbetrieb
Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des VwG Wien.
Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe Rechtsnews 33325.
Entscheidung
Insgesamt antwortet der EuGH auf die Vorlagefragen zusammengefasst:
1. Unzulässig ist eine nationale Regelung, die die Durchführung einer UVP für „Städtebauvorhaben“ zum einen von der Überschreitung der Schwellenwerte im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 m² und zum anderen davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung handelt, zumindest mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich.
2. Im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung, ob ein Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer UVP zu unterziehen ist, hat die zuständige Behörde das betreffende Projekt im Hinblick auf alle Auswahlkriterien des Anhang III UVP-RL idF RL 2014/52/EU zu untersuchen, um die im Einzelfall relevanten Kriterien zu bestimmen, und muss sodann alle diese für den Einzelfall relevanten Kriterien heranziehen.
3. Art 11 UVP-RL idF RL 2014/52/EU steht dem nicht entgegen, dass die Einzelfalluntersuchung gem Art 4 Abs 2 Buchst a UVP-RL idF RL 2014/52/EU erstmals durch ein Gericht erfolgt, das für die Erteilung einer Genehmigung iSv Art 1 Abs 2 Buchst c UVP-RL idF RL 2014/52/EU zuständig ist.
Ein Einzelner, der zur „betroffenen Öffentlichkeit“ iSv Art 1 Abs 2 Buchst e UVP-RL idF RL 2014/52/EU gehört und die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ iSv Art 11 dieser RL erfüllt, muss allerdings Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem anderen Gericht oder einer anderen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der Entscheidung anzufechten, mit der festgestellt wird, dass keine UVP vorzunehmen sei.
4. Vor oder neben der Durchführung einer notwendigen UVP bzw vor Abschluss einer Einzelfalluntersuchung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, dürfen keine Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen erteilt werden, die einen Teil umfassenderer Städtebauprojekte bilden.