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Art 2.2.1 AHVB-KWT 2016 (Serienschadenklausel) sieht vor, dass (auch) alle Folgen eines Verstoßes als Versicherungsfall gewertet werden. Als Versicherungsfall gelten weiters alle Folgen mehrerer Verstöße, die auf derselben Ursache beruhen (reine bzw einfache Ursachenklausel; Art 2.2.2 AHVB-KWT 2016) oder die auf gleichartigen Ursachen beruhen, “wenn zwischen diesen Ursachen ein rechtlicher, technischer oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht“ (gemischte bzw erweiterte Ursachenklausel; Art 2.2.3 AHVB-KWT 2016).
Art 2.2.2 AHVB-KWT 2016 setzt Ursachenidentität voraus; diese liegt nur bei einer bloßen Multiplikation der Ursache ohne einen selbstständigen Umsetzungsvorgang vor.
Art 2.2.3 AHVB-KWT 2016 verlangt das Vorliegen von zwei Voraussetzungen: mehrere auf gleichartigen Ursachen beruhende Verstöße und einen rechtlichen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Ursachen. Anders als bei vergleichbaren Bedingungen für Angehörige anderer in Kammern organisierter freier Berufe, muss sich der rechtliche, technische oder wirtschaftliche Zusammenhang nicht auf die „betreffenden Angelegenheiten“ beziehen, sondern auf die „Ursachen“.
Fenyves, Die rechtliche Behandlung von Serienschäden in der Haftpflichtversicherung [1988] 36, führt zutreffend aus, dass es zwischen Ursachen zwar etwa einen zeitlichen Zusammenhang geben könne, nicht aber einen wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhang. Nach Ansicht des Fachsenats ist die Klausel aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers daher dahin zu interpretieren, dass der wirtschaftliche oder rechtliche Zusammenhang zwischen den die jeweiligen Verstöße begründenden Handlungen oder Unterlassungen des Versicherungsnehmers bestehen muss (hier wirtschaftlicher Zusammenhang verneint: Schadenersatz wegen unrichtig erteilter Bestätigungsvermerke; von den Jahresabschlussprüfungen sind mehrere Vermögensmassen betroffen [Auftraggeber und Anleihegläubiger]; jährlich neu geschlossene Prüfverträge und wechselnde Prüfungsschwerpunkte; “Synergieeffekte“ aus der wiederholten Beauftragung desselben Wirtschaftsprüfers begründen ebensowenig einen wirtschaftlichen Zusammenhang wie die Tatsache, dass der Jahresabschluss eines Jahres zwingend auf jenem des Vorjahres aufbaut oder einmal gewählte Gliederungen und Bezeichnungen der Bilanzpositionen sowie Bewertungs- und Bilanzierungsmethoden grds beizubehalten sind).
Entscheidung
Mehrere Versicherungsfälle (kein Serienschaden)
Ein wirtschaftlicher Zusammenhang ist im vorliegenden Fall zu verneinen:
„Synergieeffekte“, die aus der wiederholten Beauftragung desselben Wirtschaftsprüfers entstehen, begründen keinen wirtschaftlichen Zusammenhang, weil es zwar sein mag, dass sich der Arbeitsaufwand des Prüfers bei Wiederbeauftragung in Folgejahren reduziert, er aber in jedem Jahr die pflichtgemäße Erfüllung der selbstständigen Prüfverträge schuldet (vgl 7 Ob 17/21g, RdW 2021/282, zum wirtschaftlichen Zusammenhang in Bezug auf „Angelegenheiten“).
Darüber hinaus sind von den Jahresabschlussprüfungen mehrere Vermögensmassen betroffen, weil nicht nur der Auftraggeber, sondern auch Dritte (Anleihegläubiger), die auf den Bestätigungsvermerk vertrauten, Ansprüche gegen die Kl geltend machen.
Auch der Umstand, dass der Jahresabschluss eines Jahres zwingend auf jenem des Vorjahres aufbaut, also etwa die Schlussbilanz des Vorjahres mit der Eröffnungsbilanz des Folgejahres übereinstimmen muss (Bilanzidentität – § 201 Abs 2 Z 6 UGB) oder einmal gewählte Gliederungen und Bezeichnungen der Bilanzpositionen sowie einmal gewählte Bewertungs- und Bilanzierungsmethoden grds beizubehalten sind (Bilanzkontinuität bzw Bilanzierungsstetigkeit), begründet keinen wirtschaftlichen Zusammenhang, weil ansonsten selbst bei, wie hier, jährlich neu geschlossenen Prüfverträgen und wechselnden Prüfungsschwerpunkten stets auch ein wirtschaftlicher Zusammenhang bestünde.
Da somit Art 2.2.3 AHVB-KWT 2016 nicht anzuwenden ist, muss weder die Ungewöhnlichkeit (§ 864a ABGB) noch die gröbliche Benachteiligung (§ 879 Abs 3 ABGB) der Klausel beurteilt werden, sondern steht der Kl die Versicherungssumme aus dem Vertrag nicht nur einmal, sondern für jeden der fünf Schadensfälle gesondert zur Verfügung.
Risikoausschluss Vorsatz?
Die Frage, ob zu Recht oder zu Unrecht die Deckung für mehrere Versicherungsfälle begehrt wird oder ob lediglich ein Serienschaden und damit ein Versicherungsfall vorliegt, ist keine Frage der Höhe des Anspruchs, sondern betrifft den Grund, nämlich ob und welcher Versicherungsfall gegeben ist (vgl 7 Ob 245/09v, Zak 2010/425). Es ist daher ebenfalls zu klären, ob die Kl überhaupt einen Anspruch auf Deckung hat, also ob der von der Bekl geltend gemachte Risikoausschluss vorsätzlicher oder diesem Verhalten gleichgestellter Herbeiführung des Versicherungsfalls greift (Art 10.1 AHVB-KWT 2016) zu prüfen:
Die Bekl behauptet, die Kl habe ihre Pflicht als Abschlussprüferin zur gewissenhaften Prüfung gem § 275 Abs 2 UGB verletzt, was ihr offensichtlich bewusst gewesen sei. Zur Konkretisierung dieser Pflicht des Abschlussprüfers seien auch die Verlautbarungen nationaler und internationaler Berufsorganisationen heranzuziehen. Die Kl habe sich jedoch offenbar auf das Gutachten zur Plausibilität des Businessmodells und zur Werthaltigkeit des Vermögens beschränkt, das ihr bereits 2008 übergeben worden war, und keine weiteren kritischen Prüfungshandlungen bei den folgenden Jahresabschlüssen vorgenommen.
Ob ein bewusster Verstoß vorliegt, ist eine irrevisible Tatfrage, die vom OGH nicht aufgegriffen werden kann (RS0073001 [T1]; Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler, § 152 VersVG Rz 39). Hier konnte das ErstG nicht feststellen, dass die Kl aufgrund von Kostenüberlegungen bewusst von der Durchführung lege artis geforderter Prüfungshandlungen abgesehen hätte.
Überdies hat die behauptungs- und beweispflichtige Bekl (vgl RS0107031) nicht dargelegt, gegen welche konkreten Vorschriften die Kl verstoßen haben soll und woraus sich die bewusste Verletzung dieser Vorschriften oder die Inkaufnahme des Schadenseintritts ergibt. Insoweit liegt daher auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
Der von der Bekl behauptete Risikoausschluss liegt daher nicht vor.