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Fahruntüchtigkeit wegen Einnahme von Medikamenten

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

ABGB: § 1295 Abs 1, § 1304, § 1310, § 1311

EKHG: § 11

StVO: § 58 Abs 1

Nachdem der benachrangte Unfallgegner ihr Fahrzeug touchiert hatte, unterliefen einer Pkw-Lenkerin in Folge einer Schreckreaktion eine Reihe von Fahrfehlern (Verreißen, Beschleunigen statt Bremsen, keine Ausweichreaktion), die zur Sekundärkollision mit einem Baum führten. Bei dieser Sachlage besteht noch ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Vorrangverletzung des Unfallgegners und dem Gesamtschaden. Da die Fahrfehler deutlich über eine bloße Schreckreaktion hinausgehen, ist der Pkw-Lenkerin allerdings (sofern subjektiv vorwerfbar) ein Mitverschulden von einem Drittel an der Sekundärkollision anzulasten.

Einen Fahrzeuglenker, der Medikamente einnimmt, trifft eine aktive Erkundigungspflicht bezüglich der möglichen Auswirkungen auf seine Fahrtüchtigkeit. Er ist verpflichtet, die im Beipackzettel enthaltenen Gebrauchsinformationen (nicht aber im Internet abrufbare Fachinformationen) zu lesen und im Fall entsprechender Hinweise bei einem Arzt oder Apotheker nachzufragen. Im Zweifel muss er auf das Lenken eines Fahrzeugs verzichten.

Einem Fahrzeuglenker, der trotz fehlender Fahrtauglichkeit wegen Einnahme ärztlich verordneter Medikamente ein Fahrzeug in Betrieb nimmt, ist ein schuldhafter Verstoß gegen das Schutzgesetz des § 58 Abs 1 StVO vorzuwerfen, wenn er die Fahruntauglichkeit kannte bzw kennen hätte müssen oder gegen seine Erkundigungspflicht verstoßen hat. Anders als eine Alkoholisierung wirkt dieser Verstoß nicht nur im Rahmen anderer Verstöße gegen die StVO schulderschwerend, sondern bei einem kausalen Unfall per se haftungs- bzw mitverschuldensbegründend. Der Beweis, dass kein Verschulden vorliegt oder der Schaden auch bei Fahrtüchtigkeit eingetreten wäre (rechtmäßiges Alternativverhalten), obliegt dem beeinträchtigten Fahrzeuglenker.

Wenn bei einem durch medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit mitverursachten Unfall der Verstoß gegen die Erkundigungspflicht einer Vorrangverletzung des Unfallgegners als Primärursache gegenübersteht, erscheint eine Schadensteilung im Verhältnis 1:2 zu Lasten des Unfallgegners sachgerecht.

Wenn dem durch Medikamenteneinnahmen in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten Fahrzeuglenker kein Verschulden vorzuwerfen ist, können die analoge Anwendung des § 1310 ABGB und (sofern er zugleich Fahrzeughalter ist) die Gefährdungshaftung nach dem EKHG dazu führen, dass er einen Teil des Schadens zu tragen hat.

Wenn zwar die Teileinklagung von 75 % des Schadens laut Klagebegehren bloß „aus prozessökonomischen Gründen“ erfolgt ist, sich der Kläger im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens aber ausdrücklich eine „Mithaftung von einem Viertel anrechnen“ lässt, ist er in der gleichen Lage, als ob er die Teileinklagung gleich unter Anrechnung eines Mitverschuldens vorgenommen hätte.

OGH 20. 6. 2017, 2 Ob 117/16v

Zak-Verkehrsunfalltabelle zur Schadensteilung

http://zak.lexisnexis.at/tabellen

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24502 vom 15.11.2017