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Fischsterben durch bewilligte Wasserkraftanlage - Umwelthaftungs-RL anwendbar?

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2004/35/EG: Art 2, Art 12, Art 13

B-UHG: § 4, § 11

Anlässlich der Beschwerde eines Fischereiberechtigten wegen erheblicher Umweltbeeinträchtigungen durch eine (wasserrechtlich bewilligte) Wasserkraftanlage (Beeinträchtigung der natürlichen Reproduktion der Fische, wiederholtes Fischsterben), richtet der VwGH einige Fragen zur RL 2004/35/EG (Umwelthaftungs-RL) an den EuGH zur Vorabentscheidung, mit denen er va wissen will, ob die Umwelthaftungs-RL anzuwenden ist, wenn das Kraftwerk bereits vor dem Wirksamkeitsbeginn der RL in Betrieb genommen wurde und die Schäden erst durch dessen laufenden Betrieb verursacht werden, wobei diese Schäden noch dazu durch die wasserrechtliche Bewilligung gedeckt sind. Weiters fragt der VwGH danach, ob Fischereiberechtigte überhaupt Umweltbeschwerde erheben dürfen.

VwGH 24. 9. 2015, 2012/07/0134 (EU 2015/0005)

Begründung der Fragen

1. Frage: Inbetriebnahme oder Betrieb als „Ereignis“ iSd RL?

Im Anlassfall liegt die Ursache für die behaupteten Umweltschäden im Betrieb einer Wasserkraftanlage, die über eine rechtskräftige Bewilligung nach dem WRG aus dem Jahr 1998 verfügt und 2002 in Betrieb gegangen ist. Sowohl die Bewilligung als auch die Inbetriebnahme liegen also zeitlich vor dem 30. 4. 2007, dem Ende der Umsetzungsfrist des Art 19 Abs 1 der Umwelthaftungs­RL. Der behauptete Schaden tritt aber auch noch nach diesem Zeitpunkt auf. Nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid ist der Betrieb der Anlage - und damit auch die durch ihn hervorgerufenen Umweltschäden - durch den Bewilligungsbescheid des Landeshauptmannes vom 20. 8. 1998 gedeckt.

Die Umwelthaftungs­RL gilt nach ihrem Art 17 erster Spiegelstrich nicht für Schäden, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die vor dem 30. 4. 2007 stattgefunden haben (vgl dazu die nationale Umsetzung in § 18 B­UHG). Für den VwGH stellt sich nun die Frage, was hier unter einem „Ereignis“ bzw einem „Vorfall“ zu verstehen ist, die Inbetriebnahme der Wasserkraftanlage oder deren dauernder Betrieb oder die - nach den Behauptungen des Bf in Abständen im Rahmen dieses Betriebes wiederkehrende - Reduzierung der Wassermenge im Fischereigewässer.

2. Frage: Umweltbeschwerde auch durch Fischereiberechtigte?

Umweltbeschwerde können nach § 11 Abs 1 B­UHG natürliche oder juristische Personen erheben, die durch einen Umweltschaden in ihren Rechten verletzt werden können. Welche Rechte geltend gemacht werden können, regelt § 11 Abs 2 B­UHG und nennt dazu ua - in Bezug auf Gewässer - „bestehende Rechte iSv § 12 Abs 2 WRG 1959“. Dazu gehören aber die Rechte der Fischereiberechtigten nicht. Fischereiberechtigte könnten daher bei wörtlicher Auslegung dieser Bestimmung für Schäden, die am Fischereirecht (durch eine Wasserkraftanlage) entstehen, keine Umweltbeschwerde erheben.

3. und 4. Frage: Deckung des Schadens durch Bewilligung nach WRG?

Nach § 4 Z 1 lit a B­UHG gilt als Umweltschaden „jede erhebliche Schädigung der Gewässer, das ist jeder Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen oder mengenmäßigen Zustand oder das ökologische Potential der betreffenden Gewässer iSd WRG 1959 hat und nicht durch eine Bewilligung in Anwendung des WRG 1959 gedeckt ist“.

Art 2 Z 1 lit b Umwelthaftungs­RL definiert den Umweltschaden im Wesentlichen gleich, enthält aber keinen generellen Ausschluss solcher Schäden, die durch eine Bewilligung gedeckt sind, sondern nimmt nur „nachteilige Auswirkungen“ aus, für die Art 4 Abs 7 der RL 2000/60/EG gilt (RL 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik).

Da nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid die Anlage entsprechend der rechtskräftigen wasserrechtlichen Bewilligung betrieben wird und der behauptete Schaden (Fischsterben) daher gem § 4 Z 1 lit a B­UHG nicht als Umweltschaden gelten würde, wirft der VwGH die weitere Frage auf, ob nicht Art 2 Z 1 lit b der Umwelthaftungs­RL der nationalen Regelung entgegensteht.

Sollte die generelle Ausnahme des § 4 Z 1 lit a B­UHG für Bewilligung nach WRG 1959 wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unanwendbar sein, stellt sich für den VwGH die Frage, ob bei der Prüfung, ob ein „Umweltschaden“ vorliegt, Art 4 Abs 7 der RL 2000/60/EG unmittelbar Anwendung finden kann.

Vorlagefragen des VwGH

1.Findet die RL 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl L 143 vom 30. 4. 2004, S 56, geändert durch die RL 2006/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 3. 2006, ABl L 102 vom 11. 4. 2006, S 15 und die RL 2009/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2009, ABl 140 vom 5. 6. 2009, S 114 (Umwelthaftungs-Richtlinie) auch auf Schäden Anwendung, die zwar auch noch nach dem in Art 19 Abs 1 der Umwelthaftungs-RL genannten Datum auftreten, aber aus dem Betrieb einer vor diesem Datum bewilligten und in Betrieb genommenen Anlage (Wasserkraftanlage) herrühren und von einer wasserrechtlichen Bewilligung gedeckt sind?
2.Steht die Umwelthaftungs-Richtlinie, insb deren Art 12 und 13, einer nationalen Vorschrift entgegen, welche es Fischereiberechtigten verwehrt, ein Prüfungsverfahren iSd Art 13 der Umwelthaftungs-RL in Bezug auf einen Umweltschaden iS dieses Art 2 Z 1 lit b der RL durchführen zu lassen?
3.Steht die Umwelthaftungs-Richtlinie, insb deren Art 2 Z 1 lit b, einer nationalen Vorschrift entgegen, welche einen Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen, chemischen oder mengenmäßigen Zustand oder das ökologische Potential der betreffenden Gewässer hat, vom Begriff des „Umweltschadens“ ausnimmt, wenn der Schaden durch eine Bewilligung in Anwendung einer nationalen gesetzlichen Vorschrift gedeckt ist?
4.Für den Fall, dass Frage 3 bejaht wird:
Ist in den Fällen, in denen bei der nach nationalen Vorschriften erteilten Bewilligung die Kriterien des Art 4 Abs 7 der RL 2000/60/EG (bzw dessen nationalen Umsetzung) nicht geprüft wurden, bei der Prüfung der Frage, ob ein Umweltschaden iSd Art 2 Z 1 lit b der Umwelthaftungs-RL vorliegt, Art 4 Abs 7 der RL 2000/60/EG unmittelbar anzuwenden und zu prüfen, ob die Kriterien dieser Bestimmung erfüllt sind?
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20372 vom 12.10.2015