Dieser Inhalt ist frei verfügbar. Mit einem Abonnement der Zak erhalten Sie die Zeitschrift in Print und vollen digitalen Zugriff im Web, am Smartphone und Tablet. Mehr erfahren…
Testen Sie
ALLE 13 Zeitschriftenportale
30 Tage lang kostenlos.
Der Zugriff endet nach 30 Tagen automatisch.
1. Die Fälle, in denen ein Ersatzanspruch nach § 1 Abs 1 StEG 2005 besteht, werden in § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 StEG 2005 genannt: „gesetzwidrige Haft“ (Z 1), „ungerechtfertigte Haft“ (Z 2) und „Wiederaufnahme“ (Z 3). Bei der gesetzwidrigen Haft wird an rechtswidriges Verhalten angeknüpft; bei der ungerechtfertigten Haft und in den Fällen der Wiederaufnahme wird aus übergeordneten Gerechtigkeits- bzw Fairnesserwägungen im Wege einer verschuldensunabhängigen Eingriffshaftung eine Entschädigung für rechtmäßig verhängte Haft gewährt.
Dem StEG 2005 ist keine Rechtfertigung für eine Besserstellung desjenigen zu entnehmen, der erst nach Wiederaufnahme (Z 3) zu einem Freispruch gelangt (vgl dazu auch die Erläut zum ME 367/ME 21. GP 12). Daher besteht auch im Fall der Wiederaufnahme ein Ersatzanspruch für die in Untersuchungshaft verbrachte Zeit und die damit zusammenhängenden Schäden nur soweit die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 erfüllt sind; zum selben Ergebnis führte auch eine direkte Anwendung der Regelung der Z 2 für die Untersuchungshaft, die durch den Wortlaut dieser Norm ohne weiteres gedeckt wäre.
2. Seit der Änderung des § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 durch das BBG 2011 (BGBl I 2010/111; Einfügung der Wortfolge „in Ansehung dieser Handlung [freigesprochen]“) steht ein Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter Haft nur einer Person zu, die in Ansehung der – den Anlass zur Anhaltung oder Festnahme bietenden – einheitlichen Tat als historisches Geschehen („in Ansehung dieser Handlung“) freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt wird, nicht aber dann, wenn sie wegen derselben Tat, aber wegen einer anderen strafbaren Handlung als der in der Anklage angenommenen verurteilt wird.
3. § 2 Abs 1 Z 3 StEG 2005 („Wiederaufnahme“) hingegen stellt (unverändert) allein auf die – hier relevante – Verhängung einer milderen Strafe bei einer neuerlichen Verurteilung ab. Anders als im Fall der Z 2 entfällt die Ersatzpflicht daher nicht, wenn diese Verurteilung dieselbe Tat im oben dargelegten Sinn betrifft.
OGH 15. 11. 2017, 1 Ob 116/17s
Entscheidung
Ungerechtfertigte Haft
Ungerechtfertigte Haft iSd § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 idF vor dem BBG 2011 lag nach der Rsp auch ohne formellen Freispruch oder „Außer-Verfolgung-Setzen“ dann vor, wenn die Verurteilung wegen einer (strafrechtlich als Einheit anzusehenden) Tat erfolgte, aber „nur“ wegen einer strafbaren Handlung, die keinen Anlass zur Verhängung einer Haft gegeben hätte (RIS-Justiz RS0122965; 1 Ob 2/13w, Rechtsnews 15366).
Diese Rsp nahm der Gesetzgeber zum Anlass, die noch im StEG 1969 enthaltene Wendung „in Ansehung dieser Handlung“ im Rahmen des BBG 2011 wieder in § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 einzufügen. Beim verwendeten Begriff „Handlung“ kann angesichts des eindeutigen in den Mat niedergelegten Regelungswillens und des gesamten Gesetzeszwecks (Änderungen einiger Bundesgesetze in „budgetwirksamer Weise“ ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 1 f) trotz der sprachlichen Nähe zum terminus technicus „strafbare Handlung“ nur davon ausgegangen werden, dass nicht dieser sondern der Fachbegriff „Tat“ umschrieben werden sollte.
Die von der Rsp aufgedeckte Lücke des Gesetzes wollte der Gesetzgeber nämlich nicht iSd Auslegung des OGH schließen. So heißt es wörtlich: „Der Entwurf stellt ausdrücklich klar, dass nur ein Freispruch oder ein 'Außer-Verfolgung-Setzen' von der dem Betroffenen angelasteten Tat einen Entschädigungsanspruch eröffnet. Wird der Betroffene zwar wegen der selben Tat, aber aufgrund einer anderen Bestimmung des Strafgesetzbuchs verurteilt, so soll ihm kein Anspruch auf Ersatz nach diesem Bundesgesetz zustehen. Die strafrechtliche Einordnung als 'einheitliche Tat' soll also auch auf den zivilrechtlichen Ersatzanspruch durchschlagen. Dagegen soll sich nichts daran ändern, dass dem Betroffenen nach einem Teilfreispruch von mehreren real zusammentreffenden strafbaren Handlungen ein Ersatzanspruch gewährt werden kann“ (ErläutRV aaO 69).
Eindeutig sollte also mit „Handlung“ nicht die normative Kategorie bezeichnet werden, sondern die historische Sachverhalts-Ebene, und ein Entschädigungsanspruch aus ungerechtfertigter Haft sollte im Geltungsbereich des BBG 2011 nur dann zugestanden werden, wenn der vom Täter verwirklichte Lebenssachverhalt (die – angenommene – „einheitliche Tat“) überhaupt nicht zu einer Verurteilung geführt hat (vgl auch Kodek/Leupold in Höpfel/Ratz, WK2 StEG Vorbemerkungen zu §§ 1–16 Rz 33).
Wenn sich Verfahrenseinstellung und/oder Freispruch bei mehreren (realen) Taten auf jene beziehen, die zur Verwahrungs- oder Untersuchungshaft geführt haben, kann auch nach dem BBG 2011 ein Teilfreispruch einen Entschädigungsanspruch auslösen (ErläutRV 981 aaO).
Allerdings muss auch in einem solchen Fall auf die Verurteilung hinsichtlich der verbleibenden Taten Bedacht genommen werden. Wenn die Haft auch (allein schon) wegen jener Taten, derentwegen eine Verurteilung erfolgte, verhängt worden wäre, entfällt der Entschädigungsanspruch (vgl Kodek/Leupold aaO Rz 32a zu diesem Aspekt der [hypothetischen] Kausalität mwN).
Bei Idealkonkurrenz kommt ein Ersatzanspruch nach § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 idF des BBG 2011 nur mehr dann in Betracht, wenn ein formeller Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens zur (ganzen) die Haft auslösenden (angenommenen) einheitlichen Tat erfolgt.
Dem stehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen: Wie der VfGH in seiner E G 235/2015 (= Rechtsnews 22214) anlässlich der Abweisung eines Parteiantrags zur Aufhebung der mit dem BBG 2011 neu eingeführten Ober- und Untergrenze für die Haftentschädigung (§ 5 StEG 2005) ausführte, ergibt sich weder aus Art 5 Abs 5 EMRK noch aus Art 7 B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG 1988) ein Anspruch darauf, nach einem Freispruch oder einer sonstigen Außer-Verfolgung-Setzung Entschädigung für die Zeit der vorausgegangenen Untersuchungshaft zu erlangen. Art 3 7. ZPEMRK gewährleistet ein Recht auf Entschädigung lediglich bei „Fehlurteilen“ und ist daher ebenfalls nicht auf Fälle von Untersuchungshaft anwendbar, die sich im Nachhinein wegen eines Freispruchs als ungerechtfertigt erweist. Auch aus Art 6 EMRK lässt sich ein „Recht auf Entschädigung“ für ungerechtfertigte Haft iSv § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 nicht ableiten.
Vorliegender Fall (Wiederaufnahme)
Untersuchungshaft
Bei realkonkurrierenden Taten besteht trotz teilweiser Einstellung kein Ersatzanspruch, wenn es schon wegen der verbliebenen Tat zur Verhängung der Haft gekommen war. Eine sogenannte „Subsumtionseinstellung“ hinsichtlich einer idealkonkurrierenden strafbaren Handlung bei gleichzeitiger Anklage der Tat unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt ist ohne Wirkung (vgl RIS-Justiz RS0097010 [T2]; Nordmeyer in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 190 Rz 18 ff).
Da der Kl letztlich für die Tat verurteilt wurde, die Anlass für die Verhängung der Untersuchungshaft gewesen war, fehlt für eine Zuerkennung einer Entschädigung für den Zeitraum der Untersuchungshaft die Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 idF BBG 2011, nämlich ein Freispruch oder ein Außer-Verfolgung-Setzen in Ansehung (all) jener Handlung(en) iSv Taten, derentwegen er festgenommen oder in Haft gehalten wurde.
Strafhaft
Wesentlich anders stellt sich die rechtliche Situation für die anschließende Strafhaft dar, stellt doch § 2 Abs 1 Z 3 StEG 2005 insoweit allein auf die – hier relevante – Verhängung einer milderen Strafe bei einer neuerlichen Verurteilung ab, ohne dass es – wie im Fall der Z 2 – zu einem Entfall der Ersatzpflicht käme, wenn diese Verurteilung dieselbe Tat im oben dargelegten Sinn betrifft.
Höhe der Entschädigung
Nach § 5 Abs 2 StEG 2005 umfasst der Ersatzanspruch wegen des Entzugs der persönlichen Freiheit auch eine „angemessene Entschädigung für die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene Beeinträchtigung“. Nur die durch das unmittelbare „Haftübel“ erlittene Beeinträchtigung (im engeren Sinn) soll damit abgegolten werden, ohne dass es auf ein Verschulden der Organe ankäme (ErläutRV 618 BlgNR 22. GP 10). Nicht abgegolten werden sollen hingegen die – vom StEG ganz generell nicht erfassten – (ideellen) Schäden, die Folge der Einleitung des Strafverfahrens sind und auch entstanden wären, wenn es zu keiner Verhaftung gekommen wäre. Dass die durch die Haft erlittenen seelischen Leidenszustände Krankheitswert erreichen, ist nicht erforderlich (Kodek/Leupold aaO § 5 Rz 27).
Zur Frage der Bemessung der Höhe der Entschädigung wiederholen die Mat ohne weitere Erklärung den Gesetzeswortlaut, wonach bei der Beurteilung der Angemessenheit die Dauer der Anhaltung sowie die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person und deren Änderung durch die Festnahme oder Anhaltung zu berücksichtigen sind (§ 5 Abs 2 StEG 2005; ErläutRV aaO).
Mit dem BBG 2011 wurden in § 5 Abs 2 StEG 2005 Mindest- und Höchstbeträge eingeführt (mindestens 20 € und höchstens 50 € pro Tag des Freiheitsentzugs). Dieser Rahmen wurde wohl primär aus budgetären Gründen eingezogen und vom VfGH nicht als sachwidrig angesehen (vgl VfGH G 235/2015 = Rechtsnews 22214). Die Ausmessung innerhalb dieses Rahmens soll also die Änderung der persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person nachvollziehen und diese bewerten.
Der Kl war hier während der Strafhaft wegen eines Sexualdelikts nicht nur dem typischen Leid eines jeden Freiheitsentzugs ausgesetzt: Durch die Unterbringung in einer Sonderanstalt erhielt er weniger häufig Besuch und keine Vollzugslockerungen und konnte seine Ausbildung nicht fortsetzen. Die Zumessung der Haftentschädigung mit 50 € pro Tag durch die Vorinstanzen begegnet unter diesen Umständen keinen Bedenken.