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Jugendgerichtsbarkeit: JGG-ÄndG 2015 - RV

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

Bundesgesetz, mit dem das Jugendgerichtsgesetz 1988, das Strafgesetzbuch und das Bewährungshilfegesetz geändert werden sollen, und mit dem ein Bundesgesetz zur Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 sowie §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch erlassen werden soll (JGG-ÄndG 2015)

RV 20. 10. 2015, 852 BlgNR 25. GP

Gesetzwerdung bleibt abzuwarten.

Die Novelle umfasst insb folgende Maßnahmen:

Schaffung gesetzlicher Grundlagen

Junge Erwachsene

-Aufnahme der jungen Erwachsenen in den Gesetzestitel:
Die jungen Erwachsenen sollen im Gesetzestitel erwähnt werden („Bundesgesetz ... über die Rechtspflege bei Straftaten Jugendlicher und junger Erwachsener (Jugendgerichtsgesetz 1988 - JGG)“), um zum Ausdruck zu bringen, dass die Regelungen für junge Erwachsene inhaltlich ausgebaut und die bisher teils im StGB, teils im JGG enthaltenen Bestimmungen zur Gänze ins JGG aufgenommen werden.
-Begriffliche Definition der jungen Erwachsenen:
Aufnahme der Definition „Junger Erwachsener: wer das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat“ ( § 1 Z 5 JGG).

Jugendgerichtshilfe

Die Jugendgerichtshilfe unterstützt die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben; an den 6 verschiedene Aufgaben der Jugendgerichtshilfe (§ 48 Z 1 bis 5 und § 49 Abs 1 JGG) soll sich grds nichts ändern. Im Zuge des bundesweiten Ausbaus der Jugendgerichtshilfe sollen aber die gesetzlichen Grundlagen für die Jugendgerichtshilfe adaptiert, an die entsprechenden Regelungen der bereits bestehenden Familiengerichtshilfe im Außerstreitgesetz (§§ 106a, 106c AußstrG) angepasst und übersichtlicher strukturiert werden.

Die bestehenden Bestimmungen über die Jugendgerichtshilfe in Wien (im geltenden § 49 Abs 1 Sätze 1 und 3 JGG) werden im Wesentlichen beibehalten (§ 49 Abs 1 JGG), während für die anderen Bundesländer der BMJ - wie in § 106c Abs 1 AußStrG - die Verordnungsermächtigung für die Anordnung erhält, für welche Gerichte eine Jugendgerichtshilfe eingerichtet wird (§ 49 Abs 2 JGG).

Die Einführung der Jugendgerichtshilfe bundesweit soll es den Staatsanwaltschaften und Gerichten ermöglichen, in Strafverfahren gegen Jugendliche und junge Erwachsene durchgängig Haftentscheidungshilfe zu erhalten und Jugenderhebungen beauftragen zu können (vgl § 43 JGG: Erhebung der Lebens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten, seine Entwicklung und alle anderen Umstände, die zur Beurteilung seiner körperlichen, geistigen und seelischen Eigenart dienen können). Jugenderhebungen sollen nun nach dem Willen des Gesetzgebers vermehrt eingeholt werden - ausgenommen wie bisher in den Fällen, in denen deren Einholung unter Berücksichtigung der Art der Tat ein näheres Eingehen auf die Persönlichkeit des Beschuldigten entbehrlich erscheinen lässt.

Von den geplanten Änderungen ist va hervorzuheben, dass sich die Neuregelung der Befugnisse der Organe der Jugendgerichtshilfe (§ 50 Abs 1 JGG) weitgehend an § 106a Abs 2 AußStrG anlehnt: Die Jugendgerichtshilfe soll danach nunmehr auch berechtigt sein, „Personen, die über die Lebensumstände eines Jugendlichen Auskünfte erteilen könnten, zu laden und zu befragen, sowie unmittelbaren Kontakt mit dem Jugendlichen herzustellen. Personen, in deren Obhut der Jugendliche steht, sind verpflichtet, einen solchen Kontakt zu dulden. Gegen Personen, die ihre Pflicht zur Mitwirkung an Erhebungen der Jugendgerichtshilfe verletzen, kann das Gericht die zwangsweise Vorführung oder sonst angemessene Zwangsgewalt und Beugemittel (§§ 93f StPO) anordnen.“

Sozialnetzkonferenzen

Die Sozialnetzkonferenz ist ein neuer methodischer Ansatz der Sozialarbeit, der auf das zunächst in Neuseeland entwickelte Modell der „Family Group Conference“ (FGC) zurückgeht. Das Modell geht davon aus, dass Jugendliche, die sich in einer krisenhaften Lebensphase befinden (was sich namentlich durch die Begehung von Straftaten manifestiert), selbst entscheidungs- und problemlösungskompetent sind. Die Sozialnetzkonferenz zielt darauf ab, das soziale Umfeld der Jugendlichen (Eltern, andere Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, Lehrer etc) bei der Überwindung ihrer Krise und der Bearbeitung ihrer Konflikte einzubinden und sie dabei zu unterstützen, künftig keine Straftaten (mehr) zu begehen. Dazu werden die Jugendlichen von ihrem sozialen Umfeld bei der Ausarbeitung eines verbindlichen Zukunftsplans und dessen Einhaltung unterstützt.

Im Auftrag des BMJ hat der Verein Neustart ein auf zwei Jahre befristetes Projekt durchgeführt, und - ursprünglich - drei Typen von Sozialnetzkonferenzen angeboten, von denen zwei - die Untersuchungshaftkonferenz und die Entlassungskonferenz - ab 1. 11. 2014 bundesweit in den Regelbetrieb übergeführt wurden (Erlass des BMJ vom 6. 10. 2014, BMJ-S618.019/0001-IV 2/2014, eJABl Nr 7/2014). Mit den vorgeschlagenen Regelungen sollen nun die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, und zwar im BewHG (§ 29e BewHG) sowie im JGG (§ 17a und § 35a JGG) anschließend an die besonderen Regeln für Festnahme und Untersuchungshaft bzw bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe.

Für eine Untersuchungshaftkonferenz (§ 35a JGG) kommen Jugendliche und einer Jugendstraftat verdächtige einstweilen Erwachsene in Betracht, über die die Untersuchungshaft verhängt wurde. Die Jugendgerichtshilfe ist schon durch die Haftentscheidungshilfe mit den jeweiligen Fällen betraut und soll ihre Ansicht zur Sinnhaftigkeit und Eignung des jeweiligen Einzelfalles zur Durchführung einer Untersuchungshaftkonferenz darlegen. Sinn dieser Konferenz ist eine entsprechende Entscheidungsgrundlagen zu schaffen und aktiv darauf hinzuwirken, dass die Untersuchungshaft zugunsten der Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) aufgehoben werden kann.

Zielgruppe einer Entlassungskonferenz (§ 17a JGG) sind wegen einer Jugendstraftat Verurteilte, die sich in Strafhaft befinden. Diese Konferenz verfolgt das Ziel, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass eine Haftentlassung nach § 46 StGB und § 17 JGG möglich ist. Über den Zeitpunkt der Haftentlassung hinaus soll die Entlassungskonferenz wesentlich dazu beitragen, dass der Verurteilte keine neuerlichen Straftaten begeht. Die Betrauung des Vereins Neustart mit der Ausrichtung einer Entlassungskonferenz erfolgt im Rahmen der Vorbereitung der bedingten Entlassung (§§ 144, 145 Abs 2 StVG) durch den Anstaltsleiter. Die Anstaltsleiter sollen bei in Betracht kommenden Fällen so rechtzeitig (§ 145 Abs 1 und 2 StVG) eine Entlassungskonferenz anregen, dass eine Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe, spätestens aber nach zwei Dritteln, möglich wird. Auch der Staatsanwaltschaft bleibt es unbenommen, eine Entlassungskonferenz zu beantragen, weil auch sie einen Antrag auf bedingte Entlassung stellen kann (§ 152 Abs 1 StVG).

Sanktionspalette betr junge Erwachsene

-Vorrang der Spezialprävention:
Mit dem Verweis auf § 5 Z 1 JGG in § 19 Abs 2 JGG soll auch für junge Erwachsene die vorrangige Anwendung der Spezialprävention und die stark zurückgedrängte Anwendung der Generalprävention vorgesehen werden.
-Diversion:
Mit dem Verweis auf §§ 7 und 8 JGG in § 19 Abs 2 JGG soll künftig ein diversionelles Vorgehen iSd Sonderbestimmungen für Jugendliche auch für junge Erwachsene möglich sein. Damit soll den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit gegeben werden, noch besser auf die für das Jugendstrafverfahren spezifischen Eigenheiten reagieren zu können.

In den einzelnen Anwendungsbereichen, etwa in Verfahren wegen § 232 Abs 1 StGB, soll künftig nicht mehr zwingend die Einbringung einer Anklageschrift und die damit verbundene ressourcenfordernde Verhandlung vor einem Schöffengericht notwendig sein. Dies ist etwa bei Fällen des bloßen Farbkopierens von Geldscheinen durch junge Erwachsene die bisherige Vorgehensweise und stellt in einzelnen Fällen nicht nur eine überzogene Reaktion auf ein Verhalten jugendlicher Torheit dar, sondern es ließe sich darauf diversionell besser - weil maßgeschneidert auf den einzelnen Beschuldigten - reagieren.

-Annäherung der Strafrahmen:
§ 19 Abs 1 JGG soll künftig anstelle des § 36 StGB die Strafrahmen für Straftaten junger Erwachsener regeln: Gegen eine Person, die zur Zeit der Tat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, darf auf keine strengere als eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren erkannt werden, und das Mindestmaß aller angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen richtet sich nach jenem bei Jugendlichen (§ 5 Z 2 lit a, 3 und 4 JGG). Mit der Angleichung der Strafuntergrenzen soll den unabhängigen Gerichten künftig ein größerer Spielraum gegeben werden, um auf die Persönlichkeitsstruktur des einzelnen Täters besser eingehen zu können.
-Härteklausel bei vermögensrechtlichen Verfügungen:
In Strafverfahren gegen Jugendliche und junge Erwachsene soll (wieder) eine Härteklausel bei vermögensrechtlichen Verfügungen eingeführt werden (§ 5 7 6a JGG): Vom Verfall von Vermögenswerten, Nutzungen oder Ersatzwerten soll ganz oder zum Teil abgesehen werden können, wenn sie den Verurteilten unbillig hart treffen sollten.

Verfahren, Haft etc

-Schöffengericht für 14 bis 16-Jährige:
Mit der vorgeschlagenen Regelung (Beschränkung in § 27 Abs 1 Z 2 JGG auf die Fälle des § 5 Z 2 lit a JGG) soll der vor dem Budgetbegleitgesetz 2009 geltende Zustand wieder hergestellt werden, dass bei einem im Tatzeitpunkt noch nicht 16-Jährigen keine Geschworenengerichtszuständigkeit besteht.
-Entfall der Untersuchungshaft für Fälle, in denen das Bezirksgericht zuständig wäre (so etwa Sachbeschädigung, Körperverletzung oder Diebstahl).
-Verstärung des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft:
Untersuchungshaft für Jugendliche soll in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen verhängt werden, wenn gelindere Mittel nicht ausreichen. Eine derartige Entscheidung müssen Gericht und Staatsanwaltschaft überdies ausdrücklich begründen.
Durch § 35 Abs 3a JGG soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung über eine freiheitsentziehende Maßnahme bei Jugendlichen in regelmäßigen Zeitabständen auch nach der Einbringung der Anklage vom Gericht überprüft wird.
Da nach dem bestehenden System in einem Verfahren, in dem mehrere Beschuldigte zu unterschiedlichen Zeiten festgenommen wurden, unterschiedliche Haftfristen laufen können, soll das Fristensystem im Stadium des Hauptverfahrens, und zwar ab Rechtswirksamkeit der Anklageschrift bzw Anordnung der Hauptverhandlung vor dem LG als Einzelrichter neu zu laufen beginnen. Durch die Festlegung zuerst einer einmonatigen- und danach einer zweimonatigen Frist wird die regelmäßige von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Notwendigkeit einer Fortsetzung der Untersuchungshaft erreicht, gleichzeitig jedoch eine überbordende Mehrbelastung der Gerichte in Hauptverfahren vermieden (weil ja eine Haftverhandlung in jenen Fällen nicht notwendig ist, in denen über die Haft fristgerecht in der Hauptverhandlung entschieden werden kann).
Festgehalten wird in den Materialien weiters, dass außerhalb der Hauptverhandlung im Fall der Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts gem § 32 Abs 3 StPO der Vorsitzende zu entscheiden hat. Wird Untersuchungshaft nach oder mit Einbringen der Anklage beantragt bzw verhängt, so kommt die Haftfrist von 14 Tagen zur Anwendung; mit Rechtswirksamkeit der Anklage bzw Anordnung der Hauptverhandlung durch das Gericht im Verfahren vor dem LG als Einzelrichter wird sodann eine Frist von einem Monat ausgelöst. Eine Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft soll ebenso wenig wie ein Einspruch gegen die Anklageschrift eine neue Frist auslösen, regelmäßig wird daher das ErstG in diesen Fällen vor Vorlage eines Einspruchs an das OLG eine Haftverhandlung durchzuführen haben.
-Für junge Erwachsene sollen auch die Bestimmungen zum Ausschluss der bedingt-obligatorischen Festnahme bzw Untersuchungshaft anwendbar gemacht werden.
-Verlängerung des Strafaufschubs zu Ausbildungszwecken:
Mit der vorgeschlagenen Änderung soll die Möglichkeit zur Verlängerung des Strafaufschubs zu Ausbildungszwecken erweitert werden, indem dies nicht mehr nur bei einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr zulässig ist (§ 6 Abs 2 Z 1 StVG), sondern bei einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren (§ 52 JGG).
-Ausdehnung der Kostentragung für betreutes Wohnen:
Bisher war in § 46 JGG nur eine Kostentragung des Bundes für Entwöhnungs-, psychotherapeutische oder medizinische Behandlungen vorgesehen. Damit als Alternative zur Untersuchungshaft die Weisung der Wohnsitznahme in einer betreuten Wohneinrichtung nicht an der Kostenfrage scheitert (junge Menschen könnten diese nicht bezahlen), soll § 46 JGG dahingehend ergänzt werden.

Sonstiges

-EMRK-konforme Tilgung von Verurteilungen aus dem Strafregister:
Mit Erkenntnis VfGH 21. 6. 2002, G 6/02, wurde § 209 StGB idF BGBl 1988/599 („Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren“) mit Wirkung vom 14. 8. 2002 als verfassungswidrig aufgehoben. Da Verurteilungen nach § 209 StGB aF trotz dessen Aufhebung weiterhin im Strafregister aufscheinen, hat der EGMR eine Verletzung von Art 14 iVm Art 8 und 13 EMRK festgestellt (EGMR 7. 11. 2013, 31913/07 ua, LN Rechtsnews 16515 vom 7. 1. 2014).
Mit dem vorliegenden Entwurf soll nun dieser Entscheidung Folge geleistet werden und durch ein eigenes Bundesgesetz die Tilgung von Verurteilungen nach §§ 209 oder 210 StGB sowie deren Vorgängerbestimmungen §§ 129 I, 129 I lit b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 (StG) auf Antrag des Verurteilten, eines Angehörigen (§ 72 StGB) oder der Staatsanwaltschaft durch Gerichtsbeschluss ermöglicht werden.
-Legistische Anpassungen und begriffliche Angleichungen:
Weiters soll das JGG an moderne Terminologien angepasst werden (etwa Verwendung der Terminologie „Kinder- und Jugendhilfeträger“).

Inkrafttreten

Als Daten des Inkraftretens sind der 1. 1. 2016 und der Tag nach Kundmachung im BGBl vorgesehen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20531 vom 05.11.2015