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Rettungspflicht im Amtshaftungsrecht

Bearbeiter: Barbara Tuma

AHG § 2

Im Ermittlungsverfahren nach der StPO sind allein die Ermittlungsbehörden, insb die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde, zur Abklärung der Tatsachengrundlage verpflichtet, auf deren Basis die Entscheidung über eine Anklageerhebung zu treffen ist. Den Verdächtigen hingegen trifft keine Mitwirkungspflicht oder „Verfahrensförderungspflicht“ (vgl die Prinzipien des Strafverfahrens wie Anklagegrundsatz, Amtswegigkeit, Objektivitätsgebot, Unschuldsvermutung, Selbstbelastungsverbot [nemo-tenetur-Prinzip]). Außerdem ist dem Verdächtigen idR ja auch nicht bekannt, aus welchen bereits vorhandenen Mosaikstückchen an Beweisergebnissen der zuständige Staatsanwalt auf die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung schließt, und es kann ihm auch nicht abverlangt werden, selbst weitere Beweismittel beizubringen, die den Ermittlungsbehörden (der Kriminalpolizei) bekannt sind oder (der Staatsanwaltschaft) leicht zugänglich.

Den Verdächtigen trifft daher keine Rettungspflicht iSd § 2 Abs 2 AHG, im Ermittlungsverfahren nach der StPO die Vorlage eines nicht bekannten Berichts (hier: über verdeckte Ermittlungen) zu beantragen, mit dem Ziel, eine etwa später von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage oder einen Strafantrag abzuwenden.

OGH 27. 8. 2015, 1 Ob 123/15t

Entscheidung

Nach seinem rechtskräftigen Freispruch im sog „Tierschützerprozess“ begehrt der Kl im Rahmen der Amtshaftung Ersatz des Schadens (Verdienstentgang, Verfahrenskosten) durch die falsche Anklageentscheidung der Staatsanwaltschaft, die der Kl va darauf zurückführt, dass eine verdeckte Ermittlung wesentlich entlastende Beweisergebnisse erbracht habe, die Kriminalpolizei das Ergebnis der verdeckten Ermittlung aber pflichtwidrig nicht der Staatsanwaltschaft vorgelegt bzw die Staatsanwaltschaft die Ergebnisse trotz Kenntnis von der verdeckten Ermittlung nicht beigeschafft habe. Im Hinblick auf das Vorbringen des Kl - er stützt sich weder auf ein vorsätzliches Vorgehen der Behörden noch einen Schädigungsvorsatz der Beamten - kam hier nur die dreijährige, nicht aber die zehnjährige Verjährungsfrist zur Anwendung.

Konkret als verspätet erwies sich die erst in einem späteren Schriftsatz relevierte Rechtsverletzung der Staatsanwaltschaft (keine Beischaffung der Ermittlungsergebnisse oder Vernehmung der Ermittlerin trotz Kenntnis von der verdeckten Ermittlung), eine Verjährung der Ansprüche verneinte der OGH jedoch nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rettungspflicht im Amtshaftungsrecht aus den im Leitsatz angeführten Gründen, soweit sich der Kl auf den schon davor geltend gemachten Haftungsgrund des Zurückhaltens von Ermittlungsergebnissen durch die Kriminalpolizei stützt.

Außerdem hält der OGH ua fest, dass es auch bei einer verdeckten Ermittlung zwar nahe liegt, dass darüber ein Bericht verfasst worden ist. Daraus könne aber weder auf den Umfang noch auf den Inhalt und schon gar nicht auf den Beweiswert eines solchen Berichts geschlossen werden. Strebt daher der Angeklagte mit seinen Einsprüchen ihrem Sinn nach erkennbar eine Vorlage und Berücksichtigung auch des Berichts über die verdeckte Ermittlung an und legt die Kriminalpolizei den Bericht trotzdem nicht vor, müsse der Angeklagte der Behörde nicht gleich pflichtwidriges Vorgehen unterstellen, sondern könne davon ausgehen, dass aus dem Bericht nichts Relevantes für das Verfahren zu gewinnen sein werde. Davon dass er mit ausreichender Wahrscheinlichkeit annehmen hätte müssen, der Bericht werde ihn entlasten - und zwar so weit, dass es gar nicht zu einer Anklage gekommen wäre -, könne keinesfalls gesprochen werden.

Im Ergebnis bestätigte der OGH daher den Aufhebungsbeschluss des BerufungsG, das eine Ergänzung der Feststellungen für erforderlich gehalten hatte.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20342 vom 06.10.2015